Größe ist alles
The Witcher 3 besitzt erstmals eine große, offene Welt, aber keine komplett durchgehende. Stattdessen sind die einzelnen Gebiete voneinander getrennt. Puh, »einzelne Gebiete«, »voneinander getrennt«, das klingt mickrig. Ist es aber nicht! Schon alleine im Prolog-Dörfchen Weißgarten samt Umland können wir locker drei bis vier Stunden mit Haupt- und Nebenquests verbringen, Wälder erkunden, Monster jagen und in Seen tauchen (das darf Geralt nämlich erstmals). Nicht schlecht für einen Auftakt.
Weiter geht die Reise ins vom Krieg verheerte Niemandsland, das gemeinsam mit der Metropole Novigrad im Norden zu einem einzigen, riesigen Gebiet verschmilzt. Und mit »riesig« meinen wir auch »riesig«, hier gibt es zahlreiche weitere Dörfchen, die Stadt Oxenfurt, Höhlen, Ruinen, Wälder, Flüsse, Hügel, Monsternester, Sümpfe, Seen, Inseln - wow!
Als wir zum ersten Mal die Karte öffnen, blasen uns die Ausmaße dieses Areals regelrecht aus den Stiefeln. Wir könnten Tage nur damit verbringen, alle Winkel und die vielen betretbaren Häuser sowie Hütten zu erkunden oder auf Berge zu springen und zu kraxeln (das darf Geralt nun nämlich auch). Und das war's ja immer noch nicht.
Denn nachdem wir im Rahmen der Hauptquest erst das Niemandsland und danach die Stadt Novigrad unsicher (beziehungsweise sicher) gemacht haben, schippern wir zum frostigen Skellige-Archipel, das mit seiner gewaltigen Hauptinsel, vier kleineren Nebeninseln und zahllosen weiteren Mini-Eilanden ebenfalls reichlich Erkundungsboden bietet. Wir können auch schon direkt nach dem Prolog nach Novigrad oder Skellige reisen, was aber wegen der härteren Gegner nicht empfehlenswert ist.
Hier hausen zähe Wikingerclans, die man im Hexer-Kontext wohl noch zu den edelsten Völkern zählen darf, weil sie nicht ganz so verdorben daherkommen wir die Festlandbewohner. Wohlgemerkt »nicht ganz so«, und nicht »überhaupt nicht«. Außerdem hat der Krieg hier noch keine Spuren hinterlassen, das Archipel ist weitgehend unverwüstet.
Das letzte größere Gebiet ist … Sekunde, da haben wir wieder einen Spoiler! Denn auch dieses Areal hat CD Projekt zwar schon vorab angekündigt, manch Spieler möchte sich aber vielleicht davon überraschen lassen.
Warnung: der folgende Absatz enthält Spoiler
Das letzte größere Gebiet ist die Hexerburg Kaer Morhen, in die uns die Hauptquest nach dem Skellige-Abstecher und diversen anderen Aufgaben führt. Und auch die Festung endet nicht an ihren Mauern, wir dürfen und müssen auch ihr Umland erkunden, das in etwa so umfangreich ausfällt wie das Prologdorf Weißgarten.
Eine Welt zum Verlieben
Dazu gibt's noch ein paar kleinere, an dieser Stelle aber vernachlässigbare Gegenden. Der Punkt ist: The Witcher 3 entführt uns in eine faszinierend riesige Welt - die noch dazu verdammt schön und mit viel Liebe zum Detail gestaltet ist. Etwa die Gassen der Stadt Novigrad, in denen tagsüber geschäftiges Treiben herrscht und nachts Gauklertruppen musizieren. Oder die stürmischen Wälder, schroffen Klippen und schneebedeckten Gipfel von Skellige. Oder die schäbigen Dörfer, Hügel und Sümpfe des Niemandslands, die prächtigen Felder des Vegelbud-Anwesens, die Brückentürme von Oxenfurt - alle Schauplätze und Landschaften wirken einfach »echt«, lebendig, detailliert und realistisch. Kurzum: so, wie sie auszusehen haben.
Und, noch mal: Die Liebe zum Detail ist beachtlich. Selbst auf dem letzten Tisch des letzten Hauses im letzten Winkel von Oxenfurt liegen noch Teller und Würste und Obst. Selbst die entlegenste Landzunge von Skellige ist noch dicht bewachsen mit Gräsern und Büschen, selbst im sumpfigsten Morast wogen Schilfhalme hin und her und ragen die Überreste von Bauernhütten empor. Noch dazu kann das Wetter jederzeit wechseln, es kann regnen, schneien, gewittern oder derart stürmen, dass sich die Bäume biegen.
Auch die Tageszeiten wechseln fließend, die Bewohner gehen sogar simplen Tagesabläufen nach. Beispielsweise fegt eine Wikingerfrau tagsüber die Straße, übt zwischendurch immer mal wieder ein paar Schwertstreiche und geht dann brav um 20 Uhr in die Heia. Allerdings werden nicht alle Bürger wirklich simuliert, manche scheint The Witcher 3 zufällig zu generieren und zur passenden Tageszeit in den Straßen zu verteilen.
Tagsüber etwa begegnen uns spielende Kinder, nachts Dirnen und besoffene Bauern. Die haben aber allesamt kein echtes Zuhause, sondern verschwinden einfach wieder, sobald sich die Tageszeit ändert und wir das Gebiet verlassen. Das hat sogar einen Vorteil: Weil diese Zierbürger offenbar zufällig generiert werden, treffen wir immer andere. Mal übt ein Steppke am Wegesrand Bogenschießen, mal plaudern an derselben Stelle Feldarbeiter. Schön, ein bisschen Abwechslung.
Im Vergleich zu Vorab-Präsentationen scheint CD Projekt jedoch die NPC-Dichte reduziert zu haben, in Novigrad etwa stehen weniger Bürger herum, als 2014 im halbstündigen Walkthrough-Video zu sehen waren. Das dürfte der Performance geschuldet sein und tut der Atmosphäre keinen Abbruch, auch so sind Stadt und Welt belebt genug. Gut, es mag auch Spieler geben, die sich daran stören, dass Dienstahl nur dann bestraft wird, wenn eine Wache ihn mitbekommt. Normale Weltbewohner lassen sich ohne Murren die Schränke ausräumen.
Die Skyrim-Welt wirkt zudem generell lebendiger und »durchsimulierter«, weil alle Bewohner ein Zuhause haben. Außerdem kann in Skyrim viel mehr Unvorhergesehenes passieren als in The Witcher 3: Da greift schon mal ein Drache ein Dorf an, oder ein zufallsgenerierter Kopfgeldjäger lauert uns auf. Die Witcher-Welt wirkt statischer, wenn auch nicht so statisch wie die von Dragon Age: Inquisition. Zum Beispiel erleben wir in The Witcher 3 gelegentlich, wie sich Tiere und Monster gegenseitig bekämpfen - etwa Zyklopen und Wölfe, wobei wir auf die Zyklopen wetten würden. Einmal haben wir auch erlebt, wie Ertrunkene ein Dorf angriffen, dabei aber Geralt komplett ignorierten. Doof.
Zum Reiz der Witcher-Welt trägt auch die grandiose Lichtstimmung bei, manchmal haben wir uns dabei ertappt, wie wir einfach nur in den Sonnenuntergang ritten. Oder durch den Wald spazierten, durch dessen Blätterdach Lichtstrahlen tasteten. Oder auf irgendeinem Hügel pausierten, um den Ausblick zu genießen; die Fernsicht ist hervorragend, auch wenn der Nebel in der Distanz teils etwas unnatürlich aussieht. Dennoch: Dies ist eine Welt zum Verlieben, eine Welt, die Atmosphäre blutet und zum Erkunden einlädt. Die Gretchenfrage lautet natürlich: Bringt dieses Erkunden tatsächlich etwas?
Die vollste Welt der Welt
Also, The Witcher 3, wie hältst du's mit der Weltbefüllung? Nun, sagen wir's so: Wenn Hexer unter Burnout leiden könnten, wäre Geralt ein Risikopatient erster Güte. Denn in The Witcher 3 gibt es nicht viel zu tun, es gibt nicht sehr viel zu tun - es gibt abartig viel zu tun! In jedem schimmligen Sumpfkaff steht ein Schwarzes Brett mit Aufträgen (sowie Gesuchen à la »Ich brauche einen potenten Mann«, die keine Quests nach sich ziehen und einfach nur der Atmosphäre dienen).
Oft reiten wir auch einfach auf der Straße an NPCs vorbei, die manchmal vollwertige Missionen anbieten, mal nur Mini-Ereignisse auslösen. Da drüben hämmert ein brüllender Mann gegen eine Tür, dort fordert uns ein fahrender Ritter zum Duell, um die Ehre seiner Angebeteten zu verteidigen - die wir nicht mal kennen. Und als wir ein weinendes Kind fragen, ob wir helfen können, lockt uns das Balg zu Banditen! Na warte!
Die Nebenaufträge erzählen ihrerseits mal simplere, mal ausgefeiltere Geschichten, die fast immer mit interessanten Charakteren, Gesprächsoptionen und Hintergründen aufwarten, selbst wenn die Aufgabe an sich keine Originalitätspreise gewinnt. Beispielsweise sollen wir für einen Wahrsager eine Wurzel aus einer nahen Höhle holen, okay, schnarch. Das macht das Spiel aber dadurch wett, dass uns besagter Seher anschließend von einer Zukunftsvision berichtet, die zunächst kryptisch bleibt, später aber … ach, das behalten wir lieber für uns.
Auch andere Aufträge spinnen feine Geschichten. Beispielsweise untersuchen wir auf Skellige einen Zauberturm, der plötzlich neben einem Dorf erschienen ist. Oder wir jagen einen Mörder in Novigrad, untersuchen Tatorte und wohnen sogar Obduktionen bei - CSI lässt grüßen. Gut, literarischen Tiefgang entfaltet kaum eine Quest, egal, Spaß macht's trotzdem. In längeren Auftragsketten erwarten uns zudem wie in der Hauptstory folgenreiche Entscheidungen, ebenfalls bevorzugt über Leben und Tod und ohne offensichtliches Gut und Böse. Wenn wir später an denselben Ort zurückkehren, zeigt uns The Witcher 3 in einem Zeichentrickfilm die Konsequenzen unserer früheren Wahl, die manchmal sogar positiv sind. Manchmal.
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