Seite 2: The Witcher 3: Wild Hunt im Test - Des Hexers Meisterstück

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Jetzt musst du dich entscheiden

Denn im Verlauf der Hauptstory erleben wir immer wieder Momente und Handlungsbögen, die uns lange im Gedächtnis bleiben werden. Sei's eine Quest, die sich um Vergewaltigung und Abtreibung dreht, sei's ein Schäferstündchen, sei's ein Theaterstück, in dem Geralt eine interessante Rolle spielt, sei's eine klasse inszenierte Entscheidungsschlacht, die gar keine ist, weil das Spiel danach noch mal knapp 15 Stunden weitergeht, sei's der Perspektivwechsel, wir steuern nämlich nicht nur … Moment! Das haben die Entwickler zwar schon enthüllt, trotzdem verwenden wir sicherheitshalber die Spoiler-Funktion:

Warnung: der folgende Absatz enthält Spoiler

Sei's der Perspektivwechsel, wir steuern nämlich nicht nur Geralt, sondern auch Ciri, die nach ihrem kindlichen Hexertraining im Tutorial inzwischen zur jungen Frau und furchtlosen Schwertschwingerin herangewachsen ist, mit eigenen und sehr mächtigen Teleport-Fähigkeiten. Wir dürfen die weißhaarige Nachwuchs-Monsterjägerin zwar weder ausrüsten noch ihre Charakterwerte und Fähigkeiten anpassen, die Kämpfe mit ihr machen aber großen Spaß, weil sie dank ihrer Beamtalente noch beweglicher ist als der Hexer - eine hervorragende Idee!

Oder sei's das Finale, das diesmal - in Gegensatz zum dürren Abschlusskapitel von The Witcher 2 - absolut mitreißend ausfällt, die Hexer-Trilogie würdig beendet und noch dazu von unseren vorherigen Entscheidungen abhängt. Gemäß der Serientradition dürfen wir im Verlauf aller Haupt- und vieler Nebenmissionen von The Witcher 3 zwischen mehreren Vorgehensweisen wählen und dabei häufig sogar über Leben und Tod bestimmen. In letzter Konsequenz bedeutet das auch, dass wir nicht alles sehen, was The Witcher 3 zu bieten hat, weil wir durch unsere Entscheidungen ganze Auftragsketten verpassen können. Wie in den Vorgängern beweisen die Entwickler hier Mut zur Lücke.

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Das geschieht nun häufig sogar auf Zeit, wie beispielsweise in Telltales The Walking Dead tickt ein Timer herunter, sodass wir innerhalb weniger Sekunden und entsprechend aus dem Bauch heraus entscheiden müssen. Was verflucht schwierig ist, denn hier geht's selten klassisch um Gut und Böse, sondern ums kleinere Übel. Witcher-Entscheidungen loten seit jeher Grauzonen aus, oft wissen wir nicht, wozu sie später führen. Selbst an sich gute Taten können schreckliche Folgen haben - und umgekehrt, was uns das Spiel dann stets auch vor Augen führt (Hallo, Dragon Age: Inquisition!).

Konsequenz ... Gemeinsam mit der feurigen Triss kämpfen wir gegen Hexenjäger. Das wäre nicht nötig gewesen ...

... und Entscheidung ... wenn wir die Herren nicht nachdrücklich gebeten hätten, Triss nicht zu beleidigen. Aber hey, das Dreckspack hat es verdient!

Und einige dieser Entscheidungen wirken sich eben auch gravierend auf das Ende aus - so gravierend, dass es davon gleich drei komplett unterschiedliche Varianten gibt. Alle sind auf ihre Weise schlüssig, aber … na ja, sagen wir, es gibt befriedigendere und unbefriedigendere. Welche unserer Entscheidungen (auch aus bestimmten Nebenmissionen) wozu geführt haben, zeigt The Witcher 3 in Rückblenden, teils in Spielgrafik, teils in Zeichentrick-Sequenzen. Wie wir's besser machen können (oder schlechter), müssen wir dann aber selber herausfinden. Hat da jemand »Wiederspielwert« gemurmelt?

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Wenige Übernahmen

Wenn uns an der Story irgendwas enttäuscht, dann nur ein Detail: Zum Ende des Prologs dürfen wir in einem Gespräch mit einem General fünf unserer Entscheidungen aus The Witcher 2 nachvollziehen, die dann ins Spiel übernommen werden. Fünf. Von Dutzenden, die wir im Vorgänger getroffen haben. Und diese fünf beeinflussen auch nur, ob bestimmte Nebenfiguren im Spiel auftauchen; einige davon absolvieren lediglich ultrakurze Gastauftritte.

Die Scoia’tael-Widerstandskämpfer spielen keine große Rolle mehr. Die Scoia’tael-Widerstandskämpfer spielen keine große Rolle mehr.

Die politische Großwetterlage und der generelle Verlauf der Handlung bleiben davon unbeeinflusst. Und vom ersten The Witcher ist hier gleich gar keine Rede. Schade um all den Hirnschmalz, den wir seinerzeit in die Entscheidungen gesteckt haben. Eine Spielstand-Importfunktion gibt es zudem nur in der PC-Version. Sie soll nach Aussage der Entwickler aber immerhin mehr Entscheidungen aus The Witcher 2 übernehmen als nur besagte fünf. Geralts Vorgehen im PC-exklusiven ersten The Witcher bleibt jedoch auch hierbei unberücksichtigt, selbst wenn man einen Spielstand aus dem ersten Teil in The Witcher 2 importiert hat.

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Ebenfalls schade ist, dass einige prominente Parteien und Charaktere aus den Vorgängern keine großen Rollen mehr spielen. Den Elfen- und Zwergen-Guerillakämpfern der Scoia'tael begegnen wir allenfalls kurz im Rahmen einiger Nebenquests; Geralts eventuelle Ex-Geliebte Shani spielt nicht mit, und auch der fanatische Orden der Flammenrose taucht nicht mehr auf, seine Rolle übernehmen die redanischen Hexenjäger. Andererseits treffen wir natürlich auch viele alte Bekannte, Kenner der Vorgänger werden durchaus das eine oder andere Mal wissend grinsen.

Eine Seefahrt, die ist lustig. Es sei denn, Sirenen hängen sich ans Boot und reißen es kaputt. Eine Seefahrt, die ist lustig. Es sei denn, Sirenen hängen sich ans Boot und reißen es kaputt.

Und Story und Entscheidungen sind ja noch nicht alles. Viel mehr noch als seine Vorgänger ist The Witcher 3 nicht nur ein Erzähl-, sondern auch ein Erkundungsspiel, das erstmals eine komplett offene Spielwelt und an jeder Ecke irgendwelche Ablenkungen bietet! Also Vorhang auf für die zweite Stärke des Hexer-Abenteuers: die Spielwelt!

Willkommen im Dreck

Es gibt Tage, da sollte man lieber im Bett bleiben. Für die meisten Bewohner der Witcher-Welt ist jeder Tag ein solcher Tag. Wer das Hexer-Universum als »düster« bezeichnet, könnte nämlich auch behaupten, die Oberfläche der Sonne sei »warm«. Die Welt von The Witcher 3 taumelt am Abgrund, seitdem das Imperium von Nilfgaard in den Nördlichen Königreichen eingefallen ist, die nach den, sagen wir, Ereignissen von The Witcher 2 nur noch bedingt abwehrbereit waren.

Lediglich das stolze Redanien stemmt sich noch gegen die Invasoren, durchaus erfolgreich sogar, es herrscht ein Patt. Was eine gute Nachricht wäre, hätte der redanische König Radovid nicht die unangenehme Angewohnheit, Zauberkundler und »Anderlinge« (Elfen, Zwerge) dem Scheiterhaufen zuzuführen. Drumherum drangsalieren Monster, Banditen und andere Armleuchter die verarmte Landbevölkerung, während im umkämpften Niemandsland die Flüchtlinge verelenden. Wir halten also fest: Krieg, Rassismus, Gier, Hass und Hunger - yeah, die Welt von The Witcher 3 könnte kaum einladender sein!

Rassismus ... Magier und Nichtmenschen enden in Novigrad auf dem Scheiterhaufen.

... Verbrechen ... Sichtbare Kriegsfolgen: Im Niemandsland begrüßt uns ein Baum voller Erhängter.

... und Krieg Auf einem leichenübersäten Schlachtfeld helfen wir einem Bauern bei der Suche nach seinem Bruder.

Wir finden nämlich klasse, dass der Entwickler CD Projekt in The Witcher 3 eine Dreckswelt fernab amerikanischer Plastik-Fantasy inszeniert, in The Witcher 3 gibt es wenig wirklich Gutes. So wenig, dass es klar überzeichnet ist; wer hier als Kind nicht vom versoffenen Vater verprügelt wurde, hat offenbar etwas falsch gemacht. Sei's drum, das gehört zum Universum, genauso wie die Beschäftigung mit heiklen Themen à la Rassismus. Der reicht von lodernden Scheiterhaufen im Großen bis zum kleinen Pferdehändler, der sich weigert, an Elfen zu verkaufen.

Eine Auftragskette konfrontiert uns sogar mit Alkoholmissbrauch, Vergewaltigung und Abtreibung. Nur den Anblick ausgemergelter Hungeropfer erspart uns The Witcher 3. Was wir sehr wohl sehen, sind Kriegsfolgen. Auf Geralts Pferd Plötze reiten wir über leichenübersäte Schlachtfelder und durch Flüchtlingslager, an jedem zweiten Ast baumeln Erhängte. Wohlgemerkt vor allem im Niemandsland. Denn die Welt hat noch mehr zu bieten, The Witcher 3 ist groß. Und die Oberfläche der Sonne warm.

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