Zwischen Tee und Trümmerhaufen: Atomfall beweist, dass die Postapokalypse auch anders kann

Ein bisschen Mystery, ein bisschen Action, ein bisschen Horror – Das neue Spiel der Sniper Elite-Macher hat einige Facetten. Als größte Stärke entpuppt sich im Test aber etwas, das ich nicht unbedingt erwartet hatte.

Atomfall im Test für PlayStation 5 und Xbox Series XS. Atomfall im Test für PlayStation 5 und Xbox Series X/S.

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Was ist hier genau passiert? Und wie komme ich hier wieder weg? Nachdem ich in Rebellions neuem First Person-Spiel Atomfall in einem unterirdischen Bunker zu mir komme und kurze Zeit später ans Tageslicht stolpere, gilt es vor allem, diese beiden Fragen zu beantworten. 

Denn aus der abgeriegelten Quarantänezone rund um das britische Windscale-Kraftwerk gibt es mutmaßlich erst mal kein Entkommen und nach und nach tauchen immer mehr Fragen auf.

Wer ist beispielsweise dieser ominöse Oberon, von dem eine fremde Stimme am Telefon erzählt – und warum soll er sterben? Was hat es mit dem großen Übergangs-Bunker auf sich? Und warum laufen hier so viele komische Gestalten herum?

Die historische Vorlage

Atomfall basiert lose auf dem Windscale-Unfall im Jahr 1957. Damals brannte im gleichnamigen britischen Kernkraftwerk ein Reaktor. Dabei wurde eine große Menge radioaktives Materials freigesetzt, eine größere Katastrophe konnte durch rechtzeitige Löschung des Feuers aber vermieden werden – anders als im Spiel. Der Vorfall wurde durch die britische Regierung lange Zeit vertuscht.

Schnüffeleien in der Quarantänezone

Ich hatte schon in meiner Preview zu Atomfall geschrieben, dass das Spiel mit seinem übergreifenden Mysterium von Beginn an eine ziemliche Sogwirkung entfaltet und beim Test ist mir das nicht anders gegangen. Und angetrieben von meiner Neugier hat sich die Erkundung bzw. Detektivarbeit als das große Highlight des Spiels entpuppt.

Der Grund: Anders als viele Titel mit ähnlicher Ausrichtung wie Fallout oder Stalker gibt es in Atomfall keine klassischen Haupt- und Nebenquests. Stattdessen arbeitet das Spiel mit Hinweisen, die auch in der deutschen Version "Leads" heißen.

In Situationen wie dieser empfiehlt sich zunächst ein beherzter Tritt (vordere linke Schultertaste). Der bringt den Gegner ins Wanken und gibt euch dann ein Zeitfenster, um den Gegner ohne Gegenwehr anzugreifen. In Situationen wie dieser empfiehlt sich zunächst ein beherzter Tritt (vordere linke Schultertaste). Der bringt den Gegner ins Wanken und gibt euch dann ein Zeitfenster, um den Gegner ohne Gegenwehr anzugreifen.

Durch Gespräche oder Entdeckungen bekommt ihr neue Einträge ins Logbuch gepackt, denen ihr anschließend nachgehen könnt. Das beginnt noch recht überschaubar, flott sammelt ihr aber immer mehr lose Enden, die teilweise für sich stehen, oft aber auch auf das große Ganze einzahlen. 

Ziemlich schnell kristallisieren sich zudem bestimmte Schlüsselpersonen heraus. Hauptmann Sims beispielsweise, der Befehlshaber über die Truppen im Örtchen Wyndham. Die Kräuterfrau Mutter Jago, die gemeinsame Sache mit den Druiden in den Casterfell-Wäldern zu machen scheint. Oder die Wissenschaftlerin Joyce Tanner, die ebenso wie ich großes Interesse an der Windscale-Anlage hat. 

Ein Fest für Entdecker*innen

Die Aufgaben selbst sind dann wiederum sehr "questig": Mal gilt es, ein Buch wiederzubeschaffen, dann wieder soll ein mysteriöser Mord in einer Kirchen aufgeklärt  oder jemand soll aus einem Gefängnis befreit werden. Als Belohnungen winken dann die nächsten Hinweise – und mögliche Verbindungen zu bisherigen Plotpunkten. 

Dieses Detektivspiel hat mir unheimlich viel Spaß gemacht und ich habe mich tatsächlich wie jemand gefühlt, der hier nach und nach ein großes Puzzle zusammensetzt und den unbequemen Wahrheiten des Ortes und der Katastrophe rund um den Kernreaktor auf die Spur kommt. Durch die Kombination aus Hinweis-System und Setting fühlt sich Atomfall angenehm frisch und eigenständig an – trotz einiger Parallelen zu Fallout oder Stalker.

Rätsel Hier und da streut Atomfall auch kleinere Rätsel ein. Mit dem Signalumleiter lassen sich beispielsweise Stromkreise manipulieren, um Türen zu öffnen oder bestimmte Mechanismen zu deaktivieren.

Entdeckungen In Rucksäcken und Kisten findet ihr in der Quarantänezone Vorräte und andere nützliche Items. Das Symbol unten links bedeutet übrigens, dass ihr euren Metalldetektor einsetzen könnt.

Perfekt ist das System allerdings nicht. Ich habe etwa die Option vermisst, Schlüsselpersonen auf konkrete Probleme ansprechen zu können (z.B. "Weißt du, wo ich Schlüssel xy finden könnte?"). Und das Menü für die Leads ist derart unübersichtlich und verschachtelt, dass es manchmal schwer fällt, bestimmte Zusammenhänge nachzuvollziehen.

Dafür gefällt, dass es oft alternative Wege, Lösungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte gibt, das sorgt dann auch für den ein oder anderen Aha-Moment. Den Signalumleiter, der später wichtig für das Spiel ist, bekam ich beispielsweise durch eine recht lange und stellenweise auch knifflige "Mission", später entdeckte ich aber durch Zufall, dass ich das gleiche Gerät nach einer Reihe von Hinweisen auch in einer Kiste in einem Bunker hätte finden können.

Überhaupt belohnt Atomfall die Erkundung der Spielwelt sehr stark, lohnende Hinweise oder Materialien für die Herstellung von Medikits und anderen Items findet man jedenfalls an etlichen Stellen.

Atomfall: Neues Video verrät, was euch im Survival-Action-Spiel des Sniper Elite-Studios erwartet Video starten 7:41 Atomfall: Neues Video verrät, was euch im Survival-Action-Spiel des Sniper Elite-Studios erwartet

Britisches Idyll mit einer Prise Horror

Das Erkundungslust in Atomfall kommt aber auch durch die Spielwelt selbst, da diese angenehm überschaubar ausfällt. Es gibt kein großes Areal, sondern vier kleinere, die miteinander verbunden und jeweils in etwa so groß sind wie die Level der Sniper Elite-Spiele.

In Casterfell Woods, Slatten Dale, Skethermoor und Wyndham gibts aber keine karge Ödnis, sondern fast schon idyllische britische Landschaften mit viel Grün, plätschernden Bächen und roten Telefonzellen. 

Slatten Dale Hier beginnt das Abenteuer. Nehmt euch vor den herumstreifenden Outlaws in acht!

Wyndham Das Örtchen wird von Protokollsoldaten geschützt, die euch in Ruhe lassen, wenn ihr keinen Quatsch macht.

Casterfell Woods Hier findet ihr unter anderem einen Druidenclan und Mutter Jago, die eine der Schlüsselfiguren des Spiels ist.

Skethermoor Das Gebiet word von einer großen Kontrollbasis dominiert, in der ihr später eine weitere wichtige Person trefft.

Das ist ein ebenso stimmungsvolles wie unverbrauchtes Setting und versprüht zusammen mit der (nur englischen) Sprachausgabe britischen Charme, ein wenig mehr hätten sich die Areale aber doch unterscheiden dürfen. 

Dafür gibt es aber zahlreiche Bunker, deren Erkundung genauso viel Spaß macht wie die Gebiete an der frischen Luft. In den düsteren Bauwerken streut Rebellion dann auch eine angenehme Prise Horror mit ein, vor allem vor den Gasmasken und Schutzanzug tragenden Forschern mit den blau leuchtenden Augen schaudert es mich jetzt noch.

Schwierigkeitsgrade und Accessibility-Optionen

Atomfall hat grundsätzlich fünf Schwierigkeitsgrade, diese lassen sich aber auch während des Spiels in den Kategorien "Kampf", "Überleben" und "Erkundung" noch einmal graduell anpassen. Unter anderem könnt ihr die Feinddichte in der Spielwelt verändern oder Hinweismarker aktivieren, die grundsätzlich ausgeschaltet sind.

Auch im Accessibility-Bereich werden einige Einstellungen geboten, darunter Optionen für die Texte und Huds, die Kamera im Spiel und Zielhilfen. Alles in allem ein ziemlich rundes Paket.

Da merkt man die Sniper Elite-Kompetenz

Aber natürlich ist Atomfall kein reines Detektivspiel, auch wenn es für mich genau dort seine größten Qualitäten hat. Es gibt ein paar Survival-Elemente und Crafting, da ihr aber nur auf eure Gesundheit und euren Puls achten müsst, fällt dieser Aspekt weniger nervig aus als in anderen Titeln.

Gekämpft wird auch, unter anderem im Nahkampf mit diversen Sicheln, Knüppeln und Äxten oder im Fernkampf mit diversen Schießeisen, wie Schrotflinten oder Pistolen. Beides spielt sich solide, wobei speziell die Kloppereien aber oft etwas unbeholfen wirken und eine Blocken-Aktion fehlt. 

Neben Schusswaffen wie Pistolen oder Gewehren gibt es auch einen Bogen. Dessen größter Vorteil ist, dass er beim Schießen kaum Geräusche macht. Neben Schusswaffen wie Pistolen oder Gewehren gibt es auch einen Bogen. Dessen größter Vorteil ist, dass er beim Schießen kaum Geräusche macht.

Beim Schießen merkt man dagegen sofort die durch die Sniper Elite-Serie aufgebaute Kompetenz in diesem Bereich und wer fleißig alles lootet, muss sich auch um Munitionsmangel keine Sorgen machen – zumal Kopftreffer in den allermeisten Fällen sofort tödlich sind.

Waffen gibt es übrigens in drei Fertigkeitsstufen und können verbessert werden, da aber auch die rostigen Exemplare zufriedenstellend treffen und zudem nicht kaputtgehen, musste ich dieses System zu keinem Zeitpunkt in Anspruch nehmen.

Die Stealth-Mechaniken wirken im Gegensatz zu den Ballereien unausgegoren. Zwar ist es möglich, sich etwa im hohen Gras oder dunklen Ecken zu verstecken, Gegner sahen mich aber regelmäßig dennoch, sodass ich oft den rabiaten Weg wählte. Laut Rebellion soll es angeblich möglich sein, bei einem Spieldurchlauf niemanden zu töten, das kann ich mir aber nur schwer vorstellen – zumal Gegner auch bei Schleichangriffen von hinten automatisch getötet werden und es keine "K.O"-Funktion gibt. 

Technischer Eindruck

Ich habe für den Test die PlayStation 5-Version von Atomfall gespielt und hatte die gesamte Spielzeit keine Probleme. Das Spiel läuft auf der Sony-Konsole flüssig und sieht gut aus, eine Auswahl zwischen Performance- und Qualitäts-Modus gibt es nicht.

Hier und da sind mir ein paar kleinere Bugs aufgefallen (z.B. schwebende Gegenstände, französischer statt deutscher Text), aber nichts, was dem Spieleindruck nachhaltig geschadet hätte. Kollege Dennis hatte auf der Xbox Series X einen Soundbug, bei dem der Spielsound erst nach einem Neustart wieder hörbar war.

Einige Ärgernisse – und ein nicht ganz eingelöstes Versprechen

Wirklich geärgert habe ich mich über andere Dinge. Das zu kleine Inventar zum Beispiel, das sich auch später nicht vergrößern lässt. Noch schlimmer ist aber die wirklich doofe Gegner-KI.

Mein "Highlight": Als mich eine Gruppe von Outlaws auf einem Hügel entdeckte, kraxelten sie alle (!) die nahestehende Leiter nach oben und wurden hübsch nacheinander von mir abgeknallt. Weil sich viele Kämpfe vermeiden lassen, fällt das nicht groß ins Gewicht, sehr auffällig ist die virtuelle Blödheit der Feinde dennoch – auch auf der höchsten Schwierigkeitsstufe.

Während der Storyverlauf in Atomfall ein ziemlich gutes Fortschrittsgefühl vermittelt, gilt das für die Charakter-Entwicklung nicht unbedingt. Zwar gibt es die Möglichkeit, über Trainingstimulanzien Skills wie das Entschärfen von Fallen zu lernen oder Parameter wie das Gesundheitsmaximum zu erhöhen, als wirklich lohnend habe ich diese Verbesserungen aber nicht empfunden.

Skill-System Zu Beginn sind nur zwölf der erlernbaren Skills verfügbar, mehr müsst ihr erst über Trainingsbücher finden und freischalten.

Händler In Atomfall gibt es keine Währung, stattdessen wird hier getauscht. Ihr müsst also auch etwas abgeben, wenn ihr etwas bekommen wollt.

Ich habe allerdings beim Test auch nicht alle entdeckt, insgesamt 24 der 36 müssen nämlich erst einmal über Trainingsbücher freigeschaltet werden, die aber – wie so vieles in in diesem Spiel – gut versteckt sind. 

Und was ist mit den anfänglichen Fragen rund um den mysteriösen Oberon und den Bunker: beantwortet Atomfall die wenigstens zufriedenstellend? Nach dem Durchspielen lautet mein Urteil: nicht hundertprozentig.

Denn so sehr die Mysterien anfangs ins Spiel hineinziehen, löst die Geschichte dieses anfängliche Versprechen später nicht ganz zufriedenstellend ein. Größere Twists oder -Enthüllungen hält der Plot von Atomfall nämlich nicht bereit – abgesehen von einem überraschend kniffligen Entscheidungsmoment. 

Und auch das Finale fand ich vergleichsweise enttäuschend, weil es dann doch ziemlich vorhersehbar war. Es gibt übrigens sechs unterschiedliche Enden, die sich allerdings nur in Nuancen voneinander unterscheiden. Und doch haben sie dafür gesorgt, den Schluss von Atomfall mehrmals zu spielen. Und bei aller Kritik werde ich nach dem Schreiben dieser Zeilen direkt wieder ins Spiel hüpfen – denn einige Geheimnisse rund um die Windscale-Anlage habe ich garantiert übersehen. 

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