Welt ohne Gleichgewicht
Zu tun gibt's also genug. Sogar mehr als genug, und damit kommen wir zu einem Pferdefuß der offenen Spielwelt: der Balance. Denn The Witcher 3 schüttet uns derart mit Aufträgen zu, dass wir niemals alle innerhalb der Levelspanne lösen können, für die sie eigentlich gedacht sind. Also müssen wir später zurückkehren - und dann ist der Auftrag viel zu einfach, weil wir die Gegner locker umblasen, und bringt zudem keine wirklich brauchbaren Belohnungen und keine Erfahrungspunkte mehr.
Klar, das ist ein Problem aller Open-World-Spiele, macht sich im Hexer-Abenteuer aber eben deutlich bemerkbar. Es macht trotzdem Spaß, die Quests zu erfüllen, alleine der Geschichten wegen. Nur fehlt dann eben die Herausforderung. Es hilft ein bisschen, den Schwierigkeitsgrad hochzuschrauben, der lässt sich nämlich jederzeit in vier Stufen einstellen. Dann werden wenigstens die Kämpfe kniffliger. Und ein paar hochstufige Quests gibt's ja auch. Dennoch: Austariert ist das alles nicht.
Und das gilt nicht nur für die Aufträge, sondern auch für die Monster. Standardbestien sind nämlich gerne mal stärker als Bosse. Auf einer Insel etwa bekämpfen wir zähe Eistrolle und sollen dann einen Riesen plätten, der jedoch deutlich dünnhäutiger ausfällt als seine vermeintlich kleineren Brüder. Der Schwierigkeitsgrad wiederum passt sich zwar dezent an unsere Charakterstufe an, auf höheren Levels treffen wir zwar nicht härtere, aber zahlreichere Gegner. Beispielswiese statt einzelner Wölfe ganze Rudel. Herausfordernder wird The Witcher 3 dadurch aber nicht, niedrigstufige Widersacher sind auch in der Gruppe schnell besiegt.
Taktisches Todesballett
Apropos: Wie spielen sich denn nun eigentlich die Kämpfe? Gut, flüssig, flott, kurz gesagt: spaßig! Mit Hechtrollen weichen wir Schlägen aus, mit dem Schwert blocken wir Hiebe, bevor wir zu schnellen und schwachen oder langsamen, aber starken Hieben ansetzen. Vor allem das Ausweichen ist sehr wichtig: Wer nur herumsteht und Schläge einsteckt, geht schnell in die blutarme Bodenlage über. Das macht die Gefechte schön dynamisch: Wir schlagen zu, hechten weg, blocken, schlagen wieder zu, hechten wieder weg - und so weiter. All das fein animiert und mit dem Gamepad hervorragend bedienbar, schon mit ein wenig Übung flutscht das Klingenballett wie geschmiert.
Auf den niedrigeren Schwierigkeitsgraden müssen wir abgesehen vom Ausweichen vor allem darauf achten, nicht mitten in Feindgruppen herumzustehen. Gegen viele Gegner reicht es dann schon, wenn wir sie mit Dauerattacken in die Defensive drängen. Noch dazu kann der Hexer in Kampfpausen jederzeit meditieren und sich damit vollständig heilen.
Auf höheren Schwierigkeitsgraden geht das nicht, außerdem kommt hier eine gehörige Prise Taktik hinzu. Denn jeder Gegnertyp kämpft anders und hat individuelle Stärken sowie Schwächen, die wir ausnutzen müssen. Und zwar bei Mensch und Monster gleichermaßen. Bogenschützen etwa sollten wir rasch in Nahkämpfe verwickeln, damit sie Geralt nicht mit Pfeilen spicken; Schildträgern müssen wir in den Rücken fallen, oder wir erschöpfen sie mit Dauerattacken derart, dass sie ihre Schutzbretter fallen lassen.
Noch größer sind die Unterschiede bei unseren übernatürlichen Kontrahenten. Sumpfmonster etwa sind recht leicht zu besiegen, zerplatzen aber beim Ableben in einer schmerzhaften Explosion - weghechten! Geflügelte Sirenen greifen aus der Luft an und wollen erst mal per (neuer!) Armbrust auf den Boden der Tatsachen zurückgebolzt werden. Zyklopen hüpfen in die Luft und krachen zu Boden, da sollten wir nicht daneben stehen, Golems setzen zum Sturmangriff an und prügeln alles aus dem Weg.
Die Schwächen der jeweiligen Viecher lesen wir im Bestiarium nach, Werwölfe etwa sind allergisch auf Silberbomben, vor dem Kampf gegen steinerne Gargoyles sollte Geralt sein Schwert mit »Konstruktöl« einreiben, um mehr Schaden anzurichten. Hier kommen überdies die fünf Zauberzeichen zum Tragen: Ertrunkene (gewissermaßen Wasser-Zombies) reagieren empfindlich auf Igni-Feuerwellen, Wyvern sind nach Aard-Luftstößen kurz benommen. Gruftbestien wollen per Axii-Gedankenkontrolle betäubt, schemenhafte Erscheinungen erst per Yrden-Lähmfalle »verfestigt« und dann fachgerecht zerschwertet werden. Und der Quen-Schutzschild nutzt vor allem gegen teleportfähige Geister, die sich urplötzlich in unseren Rücken beamen und zustechen.
Abgesehen von solchen spezifischen Monsterkontern haben wir vor allem Quen verwendet. Dank der Magiehülle können wir nämlich einen Treffer ohne Lebenspunktverlust wegstecken, falls wir zu spät ausweichen. Auch Aard fanden wir hilfreich, um menschliche Gegner umzuschubsen. Wenn sie dann wehrlos am Boden liegen, können wir sie einfach ausschalten. Und Igni eignet sich, um Angreifer in Brand zu stecken. Zum Beispiel, damit sie ihren Schild fallen lassen.
Ohne Nachdenken sind die Kämpfe also auf den höheren Schwierigkeitsgraden kaum zu gewinnen. Wer einfach nur auf den Schlagbutton hämmert und nicht überlegt, womit er es eigentlich zu tun hat, kann schon mal den Kranz fürs eigene Grab vorbestellen. Oder den jederzeit speicherbaren Spielstand laden. Es sei denn natürlich, die Monster haben eine niedrigere Charakterstufe als der Hexer. Dann reicht auch geistloses Draufkloppen. Noch dazu ist die KI in unserer Testversion nicht immer ganz auf der Höhe, manchmal stehen Gegner einfach nur herum und warten, dass wir angreifen. So können wir schön einen Feind nach dem anderen schnetzeln. Assassin's Geralt, gewissermaßen.
Dürre Charakterentwicklung
Wo wir gerade bei den Stufen sind, ein Wort zur Charakterentwicklung von The Witcher 3. Die ist nämlich unbefriedigend. Pro Stufenaufstieg (und beim erstmaligen Meditieren an einem »Ort der Macht«) bekommen wir einen Fähigkeitspunkt, mit dem wir im Charaktermenü irgendwas steigern können. Dieses »Irgendwas« ist aber meist nur ein mickriger Prozentwert (etwa ein Prozent auf die kritische Trefferchance), wirklich neue Fertigkeiten lernen wir erst später - und auch nur dann, wenn wir uns spezialisieren auf Nahkampf, Magie oder Alchemie (dazu gleich mehr). Außerdem schalten wir allgemeine Boni frei, etwa eine schnellere Lebensenergie-Regeneration tagsüber.
Am sinnvollsten erscheint uns der Magie-Fähigkeitszweig, weil wir damit wenigstens alternative »Feuermodi« für Geralts Zauber freischalten. Die Igni-Feuerwelle wird dann zum Flammenstrahl, der Quen-Schutzschild kurzfristig zur undurchdringlichen Schutzblase. Nützliche Sache, aber dennoch dünn, da haben wir schon facettenreichere Charaktersysteme gesehen. Im Grunde spielt sich The Witcher 3 so vom Prolog bis zum Endkampf weitgehend gleich, abgesehen von den alternativen Hexereien lernen wir kaum neue Kampftricks.
Noch dazu müssen wir neue Talente erst mal einem von höchstens zwölf Slots zuweisen, um sie zu aktivieren. Im Klartext: Geralt darf insgesamt nur zwölf Fähigkeiten einsetzen, und selbst das erst mit Level 30. Zum Spielbeginn sind wir auf zwei Fähigkeiten beschränkt. Die aktiven Talente könnten wir außerhalb von Kämpfen zwar theoretisch wechseln, um sie an die aktuelle Herausforderung anzupassen, was im Test aber nie nötig war.
Manche Fertigkeiten sind noch dazu überflüssig. Wenn wir etwa unseren Axii-Gedankenkontrollzauber verbessern, dürfen wir Feinde nicht nur im Kampf zum kurzfristigen Seitenwechsel zwingen, sondern manchmal auch schon vor dem Waffengang zur Aufgabe überreden. Doch diese Option bietet uns The Witcher 3 nur selten an, und selbst wenn wir sie einsetzen, wird manchmal trotzdem gekämpft.
Eine nette Ergänzung gibt's immerhin: Je drei aktivierten Fähigkeiten dürfen wir im Charaktermenü ein Mutagen zuordnen. Mutagene sind spezielle Items, die wir von Monstern erbeuten und die umso höhere Werteboni bringen, je mehr gleichfarbigen Talenten wir sie zuordnen. Wenn wir ein blaues Mutagen einer ebenfalls blauen Magiefähigkeit zuweisen, erhöht es unsere generelle Zauberkraft um 20 Prozent. Wenn wir es drei Magiefähigkeiten zuweisen, steigt der Bonus sogar auf 40 Prozent. Klingt kompliziert, ist aber schnell durchschaut und dann auch schnell optimiert. Sobald wir unsere ideale Mutagen-Talent-Kombo gefunden haben, müssen wir sie nicht mehr ändern.
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