Worte sind Symbole für Dinge. Doch manchmal werden Worte den Dingen, die sie beschreiben, nicht gerecht. Das Wort »Buch« ist ein gutes Beispiel. So würde sicherlich niemand die berühmte King James Bibel als schnödes Buch bezeichnen, sondern Ausdrücke wie Foliant, Schinken, Schwarte oder Wälzer verwenden. Bei Spielen verhält es sich ähnlich, denn es gibt immer wieder Titel, denen das Wort »Spiel« einfach nicht gerecht wird.
Selbstverständlich ist The Elder Scrolls 5: Skyrimoberflächlich betrachtet nichts anderes als ein Rollenspiel westlicher Prägung für PlayStation 3, Xbox 360 und PC. Skyrim ist aber auch ein Ort der Abenteuer, ein virtuelles Refugium, in dem es dem Spieler erlaubt ist, die Fesseln der Realität abzustreifen und mit den Augen eines Kindes eine neue Welt zu entdecken. Es ist eine Bühne, auf der man sich wieder und wieder neu erfinden kann, und ein Raum für die guten und die schlechten Angewohnheiten, die in jedem von uns schlummern. Mit anderen Worten: Skyrim ist Polygon gewordener Eskapismus in seiner schönsten Form.
Hinter dem Ladebildschirm wartet eine ganze Welt
Der zum Testen des Fernseher-Schwarzwertes hervorragend geeignete Ladebildschirm verschwindet und wirft uns als rassen-/ klassen-/ geschlechts- und gesichtsloses Neutrum in die Welt von Skyrim (dt. Himmelsrand). Unter uns rumpeln die Räder eines Pferdekarrens über grobes Steinpflaster, die wuchtige Berglandschaft von Himmelsrand verbirgt sich hinter einem Vorhang aus Nebel und traurigen, großen Tannen. Allerdings wirken nicht nur die im Wind wiegenden Bäume traurig, auch in den Gesichtern unserer Mitfahrer ist keine Freude zu erkennen. Wie wir dem leisen Gemurmel eines dreckverschmierten Elfen entnehmen können, sind wir auf dem Weg zu einer Hinrichtung. Die ebenfalls auf dem Karren reisenden, grimmig dreinblickenden Soldaten sind ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir nicht zu irgendeiner Hinrichtung unterwegs sind, sondern zu unserer eigenen.
Der Grund für den nahenden Tod unseres virtuellen Alter-Egos? Willkür! Einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Pech gehabt. Wie wir von einem schlotternden Schicksalsgefährten erfahren, haben Sturmmantel-Rebellen einen Großkönig des Kaiserreichs getötet. Nun nimmt die kaiserliche Armee Rache, indem sie jeden, der verdächtig aussieht, verhaftet und hinrichten lässt. Mittlerweile haben wir die Festung Helgen erreicht, wobei das Wort »Festung« angesichts der löchrig verwitterten grauen Steinmauern ein wenig hoch gegriffen scheint. Nachdem wir unsanft von dem Karren geschubst werden, wird es Zeit sich einem Feind zu stellen, den wir in Skyrim nicht erwartet hätten: Wir bekommen es mit Bürokratie zu tun. Da unser Name auf keiner Liste des Kaiserreichs auftaucht, werden wir von einem Wächter unsanft ausgefragt und finden uns im Charakter-Editor wieder.
Immerhin hat der Hauptdarsteller bis zu diesem Zeitpunkt keinen Namen, kein Gesicht, keine Identität. Er ist ein leeres Gefäß, das vom Spieler gefüllt werden will (und muss). In dem umfangreichen Editor werden Rasse, Geschlecht und Aussehen unseres potentiellen Kriegers/ Magiers/ Diebs/ Waldläufers/ Totenbeschwörers/ Meuchelmörders festgelegt. Bereits hier wird deutlich, wie groß der technische Sprung im Vergleich zum direkten Vorgänger Oblivion ist. Die zur Auswahl stehenden Gesichter sind wesentlich markanter und realistischer als die konturlosen, etwas aufgeblasenen Antlitze der Oblivion-Bevölkerung.
Obwohl es keine vorgegebenen Klassen gibt, sollte man sich an dieser Stelle gut überlegen, in welche Richtung sich der Charakter entwickeln soll, denn jede der zehn Rassen bringt spezielle Vorteile mit sich. Die Nord lernen zum Beispiel das Kriegshandwerk schneller als andere Rassen, Elfen sind Magiebegabt, und die Stärken der Katzenhaften Khajiit liegen im Schleichen und im Taschendiebstahl. Unzählige Augenpaare, Frisuren, Münder, Narben und Nasen später haben wir einen stämmigen Nord-Krieger erschaffen, von dem wir uns eigentlich gleich wieder verabschieden müssen, denn gerade ist das obere Ende eines Mitgefangenen in einen Korb gepurzelt -- nun ist es an uns, den Kopf auf den blutbesudelten Hackklotz des Henkers zu legen.
Es grölt, es faucht, es stinkt!
Natürlich wissen wir, dass irgendetwas passieren wird, trotzdem lässt Skyrim den Spieler erstaunlich lange zappeln, bevor die Hinrichtung abgeblasen wird. Wind kommt auf, das Schlagen mächtiger Schwingen lässt den Boden (und die Vibrationsmotoren des Controllers) erzittern. Ein geflügelter Schatten huscht über den Boden, die Stille wird von einem mächtigen Brüllen zerrissen. Der Drache landet geifernd auf einem Wachturm. Ehrfürchtig und verschreckt starren wir das Fabelwesen an. Dann lässt der schuppige Gigant den Zorn Gottes in Form eines gewaltigen Feuersturms auf die Festung herabregnen. Höchste Zeit, sich zusammen mit ein paar anderen Gefangenen aus dem Staub zu machen.
In der nun folgenden atemlosen und schön inszenierten Fluchtsequenz lernen wir die Grundlagen der Steuerung kennen, schnappen uns ein paar Waffen, kämpfen mit kaiserlichen Soldaten und flüchten in die Wildnis. Ab jetzt gilt nur noch jenes Gesetz, das Michael Ende seinem Helden in »Die unendliche Geschichte« um den Hals hängt: »Tu was du willst!«
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