Remothered: Tormented Fathers für PS4 und Xbox One zieht seine Inspiration aus einem italienischen Filmgenre namens Giallo. In Kurzform sind das Horror-Thriller, die als Kriminalgeschichte beginnen, aber meist in Verfolgungsjagden mit ausufernd inszenierten Todesszenen eskalieren. Die perfekte Grundlage also für ein Survival-Horrorspiel.
In Remothered steuern wir Ermittlerin Rosemary Reed, die das Verschwinden eines jungen Mädchens aufklären möchte. Dabei geht es um die Tochter des alten Richard Felton, der wegen den Nebenwirkungen eines experimentellen Medikaments seine letzten Tage in seiner heruntergekommenen Villa verbringt. Die Identifikation mit Rosemary fällt leicht. Sie ist eine einfache Frau mittleren Alters, die im Alltag nicht auffallen würde, aber eine verblüffende Ähnlichkeit zu Jodie Foster in "Das Schweigen der Lämmer" aufweist. Eine Person ohne besondere Kampferfahrung, die Emotionen wie Angst oder Verzweiflung zeigt und nur durch ihren Intellekt in der Lage ist, die Horrorsituation zu überleben.
Zu der kommt es, als sie von Felton abgewiesen wird und sich nachts in die Villa schleicht. Ein schwerer Fehler: Ist die Sonne erst einmal unter gegangen, wandert der alte Mann mit Schnittwerkzeugen durch das knarzende Gebäude. Im Moment, als Rosemary eine verwesende Frauenleiche findet, ist ihr sofort klar: Ich muss hier raus! Aber Felton hat den Eingang blockiert und macht Jagd auf die Ermittlerin. Auf der Suche nach einem Ausweg entdeckt sie die düsteren Geheimnisse der Familie Felton, die tief in der Villa vergraben sind. Als dann auch noch eine mysteriöse Nonne auftaucht und Rosemary an den Kragen will, wird klar: Hier gehen bizarre Dinge vor sich.
Verborgen im Schatten
Rosemary findet im Haus Gegenstände, die sie als Ablenkung oder sogar zur Verteidigung nutzen kann. Töten kann sie damit niemanden, doch ein Messerstich in die Schulter kann ihr zum Beispiel ein paar Sekunden Zeit verschaffen. Einmal benutzt, sind solche Hilfsmittel sofort aus dem ohnehin sehr beschränkten Inventar verschwunden. Die geschickteste Taktik ist daher, sich im Schatten verborgen zu halten und Verstecke zu nutzen. Die Gegner (also Felton und die Nonne) reagieren auf Licht und Geräusche, weshalb auch die Taschenlampe mit Bedacht eingesetzt werden muss.
Verstecken kann sich die Ermittlerin in Schränken, unter Betten oder anderen Möbeln, die genug Platz für eine Person bieten. Von dort aus kann sie die Umgebung beobachten und muss besonders auf Trittgeräusche achten. Steht ein Verfolger direkt vor dem Versteck, heißt es Ruhe bewahren! Schon ein kleines Zittern der Hand am Controller könnte euch auffliegen lassen. Ist das passiert, kann Rosemary immer noch die Flucht ergreifen - und sie hält durchaus eine Handvoll Treffer aus. Sie kann sogar Türen hinter sich verschließen oder sich dagegenstemmen.
Schade: Von den Hilfsgegenständen gibt es zu viele in der Umgebung. Das gibt ungeduldigen Spielern zwar die Möglichkeit, unvorsichtiger vorzugehen ohne dass Frust aufkommt, zieht dem Gefühl von Gefahr aber etwas den Stachel. Horror-Puristen, die ein möglichst filmisches Erlebnis haben wollen, haben darüber hinaus keine Möglichkeit, die Symbole an interaktiven Gegenständen auszuschalten. Schade, denn die sind teilweise überflüssig. Wer wäre nicht darauf gekommen, dass man mit einer Tür oder Schublade interagieren kann?
Tugenden des Survival-Horrors
Dafür macht das Spiel beim Speichersystem alles richtig: Der Fortschritt kann nur an Spiegeln gesichert werden, und von denen gibt es sehr wenige. Automatisch gespeichert wird zudem nach längeren Zwischensequenzen. Das klingt zunächst nach einer Einschränkung, ist aber genau das, was Survival-Horror braucht. Hier steht tatsächlich Spielfortschritt auf dem Spiel, das Ableben der eigenen Spielfigur ist ein echter Verlust. Gepaart mit der bedrückenden Atmosphäre und der Verletzbarkeit von Rosemary wird hier im übertragenen Sinne Lebensgefahr spürbar.
Ein wenig frustrierend wird es im letzten Drittel dann aber trotzdem: Hier kommen Quicktime-Events zum Einsatz, die keinen Ausrutscher verzeihen. Deshalb Abschnitte erneut spielen zu müssen, ist dann doch etwas unfair, zumal einige Laufwege unnötig erscheinen. Ein kleiner Makel in Dramaturgie und Rätseldesign, zumal letzteres ansonsten logisch in die Handlung eingebunden ist. Hier werden keine abgefahrenen, an Indiana Jones erinnernden Licht-, Spiegel- oder Schieberätsel gelöst, wie es in Resident Evil der Fall ist.
Damit Rosemary zum Beispiel an schwer erreichbare Schlüssel herankommt, zweckentfremdet sie Alltagsgegenstände als Greifwerkzeug. Das wirkt trotz des manchmal grotesken Horrorszenarios plausibel - eine wertvolle Eigenschaft, die das ganze Spiel innehat.
Greifbar und glaubwürdig
Die größte Stärke von Remothered: Tormented Fathers ist zweifelsohne seine ungemein dichte Atmosphäre. Draußen tobt ein schweres Gewitter, dessen Blitze die spärlich ausgeleuchteten Flure immer wieder für Sekundenbruchteile in gleißendes Licht taucht. Die Dielen knarzen, die Fenster klappern. Gegenstände sind nicht immer perfekt ins Regal einsortiert. Es gibt Staub und Schmutz. Das macht den Schauplatz zu einem glaubwürdigen Ort. Die Räume sind zudem logisch miteinander verknüpft und prägen sich dadurch auch ohne Karte ins Gedächtnis ein. Und eine Karte gibt es im Spiel tatsächlich nicht. Ihr seid auf euren Orientierungssinn angewiesen.
Angesichts einiger sehr grausamer Szenen ist es aber nicht einfach, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie der bizarre Titel bereits andeutet, sind übergreifende Themen »Schwangerschaft« und »die Blutlinie in Familien«. Die kranke Geschichte kostet nicht alle ekelhaften Details aus, bietet aber genug Interpretationsspielraum für die eigene Fantasie. Einige Szenen kommen kunstvoll und symbolträchtig daher, während andere ganz offen blutig und brutal sind.
Die expliziten Todesszenen von Rosemarie gehen ins Mark und haben uns an das Ableben von Isaac Clark in Dead Space 2 erinnert. Das ständig präsente Gefühl, verfolgt zu werden, rüttelt ganz schön am Nervenkostüm. Der verwirrte Geisteszustand der Häscher, als auch die Furcht unserer Protagonistin kommen vor allem durch die sehr guten Sprecher gezielt rüber. Hysterische Schreie, Hyperventilation, Keuchen, Seufzen, Stöhnen - hier wird akustisch überzeugend Wahnsinn und Verletzbarkeit transportiert.
Hintergrund: Giallo
Giallo ist ein Filmgenre aus Italien. Es beschreibt Horror-Thriller, die als Kriminalgeschichte beginnen, aber meist in Verfolgungsjagden mit ausufernd inszenierten Todesszenen eskalieren. Die Protagonisten sind oftmals gefangen in labyrinthartigen alten Gebäuden, während geisteskranke Mörder ihnen nach dem Leben trachten. Dabei stolpern sie auch in die ein oder andere surreal wirkende Szenerie, die von den Filmemachern kunstvoll gestaltet wurde. Also sozusagen Hitchcock gemischt mit Arthaus und etwas Splatter. Obwohl das Genre bereits in den 70er-Jahren-Jahren seine Blütezeit hatte, gibt es eine Reihe von Spielen, die sich daran orientieren.
Die Survival-Horror-Klassiker Clock Tower und Haunting Ground sind zum Beispiel stark vom Giallo inspiriert. Das sind zwei der furchterregendsten Spiele überhaupt, denn sie versetzen euch in die Lage von Personen, die keine Waffen haben und sich deshalb vor ihren Verfolgern verstecken müssen. An dieses Konzept knüpft Indie-Entwickler Chris Darril an. Er hat 2007 damit begonnen, ein Fan-Remake von Clock Tower zu entwickeln. Doch nachdem er mit NightCry und Forgotten Memories an zwei ähnlich gelagerten Horrorspielen mitgeholfen hat, nutzte er seine Erfahrung aus diesen Projekten, um ein eigenständiges Werk zu entwickeln: Remothered: Tormented Fathers.
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