Vom Weichei zum Killer
Tomb Raider entpuppt sich nach der zwar ungewohnt blutigen, aber atmosphärisch dichten Einführung als klassischer Deckungs-Shooter. Das zunächst wehleidige Gör mutiert in Windeseile zum weiblichen Terminator und pustet alles um, was sich ihm in den Weg stellt. Dafür, dass sie sich immer wieder beklagt, wie furchtbar das doch alles sei, stellt Lara sich ganz schön geschickt an und sucht zum Beispiel automatisch Deckung, sobald sie etwa vor einer kleinen Mauer oder Kiste steht.
Aus dem Schutz heraus nimmt sie dann die meist erstaunlich clever agierenden Gegner genau wie Nathan Drake oder Marcus Fenix aufs Korn, um ihnen zielsicher ein unvorteilhaftes Loch in die Fontanelle zu ballern. Doch so schön Frontalangriffe auch sein mögen, noch schöner ist es, den Gegner aus dem Hinterhalt zu meucheln: Behutsam von hinten angeschlichen, überwältigt Lara die Kultisten und dreht ihnen den Hals um oder rammt ihnen die Kletteraxt in den Schädel. Ganz schön gewieft für ein junges Ding, das in den Zwischensequenzen des Spiels immer wieder als verängstigt und weinerlich dargestellt wird.
So sehr sich die Story auch bemüht, die Wandlung zu erklären, die Lara im Verlauf der Handlung durchmacht, für uns macht es keinen Unterschied, ob wir nun zu Beginn unter Laras Schluchzen reihenweise Gegner ins Jenseits schicken, oder ob wir den Kultanhängern später »Lauft nur, ihr dreckigen Mistkerle! Ich kriege euch alle!« zurufen, während wir mit dem Granatwerfer um uns ballern.
Es ist nicht spürbar, dass Lara zu einer anderen Person wird. Hier wäre eventuell ein Kniff in der Spielmechanik angebracht gewesen, der das Zielen zu Beginn erschwert – einfach ein Feedback also, das den Spieler an Laras Verwandlung zur Killermaschine teilhaben lässt. Immerhin hat Entwickler Crystal Dynamics bei den Ballereien seine Hausaufgaben gemacht: Die Schießereien von Tomb Raider gehen flott von der Hand, und die Deckungsmechanik funktioniert genauso gut wie in Gears of War oder Uncharted, den Vorzeigetiteln des Genres.
Solange wir uns nicht an der zwar gewollten, aber nicht ganz gekonnten Charakterzeichnung der Heldin stören, macht es tierischen Spaß, die Gegner auf möglichst kreative Art und Weise um die Ecke zu bringen. An einer Stelle stehen zum Beispiel drei Kultisten um den Tank eines Flugzeugwracks versammelt, um das auslaufende Kerosin abzufüllen.
Dumm nur, dass einer der Typen eine Laterne direkt vor die Treibstoffpfütze auf den Boden gestellt hat, denn Lara muss nur einen Schuss auf die Lampe abgeben, um ein auf seine Art wunderschönes Feuerinferno heraufzubeschwören, das in einem großen Knall und drei verkohlten Leichen endet. Damit nicht genug, wird später ein ganzes Kloster abgefackelt, und noch während Lara durch das schwelende Holzgerippe des Gotteshauses hetzt, explodieren links und rechts riesige Feuerbälle.
Unachtsame Gegner werden von den Flammenzungen erfasst, ganze Wände in Sekundenbruchteilen zerbröselt – Krawallfreunde kommen hier voll auf ihre Kosten. Was Tomb Raider an Explosionen und Zerstörung abfeiert, stellt selbst Call of Duty stellenweise in den Schatten.
Tomb Raider ist zum Verkaufsstart in mehreren Versionen erhältlich. Neben der Standardausführung und dem Vorbesteller-Steelbook gibt es die sogenannte »Survival Edition« mit Artbook, einem wasserfesten Outdoor-Beutel, einer Karte der Insel im Posterformat sowie DLC-Codes. Die »Collector’s Edition« steckt hingegen in einer edlen Metallbox, beinhaltet sämtliche Extras der Survival Edition sowie obendrauf noch eine Soundtrack-CD mit dem atmosphärischen bis treibenden Score des Spiels und eine hochwertige Actionfigur von Lara Croft aus der Play-Arts-Kai-Reihe von Square Enix.
Upgrades für Miss Croft
Die eigentliche Attraktion der bisherigen Tomb Raider-Spiele, das Erforschen verzweigter Höhlensysteme und Grabkammern, tritt bei diesem Neustart allerdings stark in den Hintergrund. Immer mal wieder kommt Lara aber aus den schlauchigen Actionlevels in weitläufige Gebiete, in denen nicht nur allerhand Geheimnisse versteckt sind, sondern in denen wir auch nach Herzenslust herumklettern und zum Beispiel Plattformen weit oben in den Baumwipfeln erforschen können.
Wer die Augen offen hält, entdeckt beim Herumtollen neben Geocache-USB-Sticks und diversen Artefakten, die zum Beispiel neue Bilder in einer Artworkgalerie freischalten, auch Landkarten mit den eingezeichneten Fundorten aller versteckten Extras sowie Schatzkisten mit Erfahrungspunkten und Strandgut. Wofür das gut sein soll? Tomb Raider bietet sowohl ein Talentsystem als auch Waffenverbesserungen, um den Spieler besser für die nächste Schießerei zu wappnen. Alles, was es dafür braucht, sind genügend Erfahrungspunkte und gesammelte Trümmerteile sowie ein Lagerfeuer.
Diese Feuerstellen sind in den Actionabschnitten als auch in den größeren Gebieten verteilt. Sobald Lara sich niederlässt, öffnet sich ein Upgrade-Menü. Die gesammelten und durch erlegte Tiere erworbenen Punkte tauschenwir nun gegen neue Fähigkeiten, wie etwa verbesserte Nahkampffertigkeiten oder Gesundheitserweiterungen ein, und »kaufen« uns anschließend zusätzliche Module und Erweiterungen für die insgesamt vier Waffen – im Angebot finden sich etwa Stabilisatoren, Schalldämpfer, größere Magazine oder Brandmunition.
All das erweist sich in den Kämpfen zwar als kleiner Vorteil, wirklich »stärker« fühlen wir uns allerdings nicht – auch mit einer voll aufgerüsteten Pumpgun oder einem Maschinengewehr samt Granatwerfer ändert sich spielerisch nichts. Schön zu haben ist so ein voll getuntes Waffenarsenal aber allemal. Zudem kann Lara von den Lagerfeuern in bereits besuchte Gebiete zurückreisen, um etwa nach weiteren Extras zu stöbern oder Grabkammern unsicher zu machen.
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