Night in the Woods besteht zu 90 Prozent aus Dialogen mit NPCs. Ausschließlich in Textform, englischsprachig und voller Slang und Poesie. Die restlichen zehn Prozent sind Guitar Hero, Minigames, Entdeckungen und Jump & Run. Damit ist das Teil nicht gerade massentauglich.
Wer über sehr gute Sprachkenntnisse verfügt, gerne liest und in Spielen keine Nonstop-Action braucht, sollte trotzdem unbedingt zugreifen. Liebenswerte, glaubhafte Charaktere, eine hervorragende Story und ein Soundtrack, den wir ohne zu zögern in unsere MP3-Sammlung packen würden, machen das Adventure zu einem Erlebnis, das lange Zeit im Gedächtnis bleibt. Zudem sieht das Spiel echt klasse aus.
Gegen die Welt
Hauptfigur Mae Borowski hat das College geschmissen und ist wieder bei ihren Eltern im Städtchen Possum Springs eingezogen. Dort stand die Zeit nicht still und nichts ist mehr so, wie Mae es in Erinnerung hat. Maes Jugendfreunde halten sich allesamt mit lausigen Jobs über Wasser, während die meisten Geschäfte ums Überleben kämpfen oder längst dichtgemacht haben, seit jeder im Internet einkauft.
Da Mae selbst keinen Job hat, besucht sie ihre Freunde auf der Arbeit, zertrümmert Leuchtstoffröhren mit dem Baseballschläger, liefert sich Messer-Duelle mit ihrem Kumpel Gregg, übt sich im Ladendiebstahl oder spielt Bass in einer Band.
Maes tägliche Freizeitgestaltung ist uns selbst überlassen. Jeden Tag im Spiel verlassen wir das Haus unserer Eltern und machen Possum Springs unsicher. Die Protagonistin ist recht flink auf den Beinen und so flitzen wir per hervorragender Gamepad-Steuerung nicht nur durch die Straßen, sondern klettern auch über Fenstersimse und Hausdächer und entdecken dabei allerlei Geheimnisse.
Beispielsweise sitzt auf einem Hausdach regelmäßig ein Nachbar mit seinem Teleskop, der uns Sternbilder erklärt. An einer anderen Stelle dringen wir durch ein offenes Fenster in ein altes Lagerhaus ein und finden dort Rattenbabys, die wir mit geklauten Brezeln füttern. Für unsere Entdeckungen gibt's Achievements, mehr Story und zusätzliche Dialoge. Auf das Spielende wirken sie sich nicht aus.
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Keine Highscores
Die meisten Aktivitäten sind in kleine Minigames verpackt. So läuft die Bandprobe ab wie in Guitar Hero. Die Bandmitglieder kommentieren, wie gut oder lausig wir spielen, für perfekt gemeisterte Stücke gibt es einen Erfolg, aber wirklich gewinnen oder verlieren kann man nicht. Trotzdem hätten wir uns über eine Möglichkeit gefreut, frei vor der Bandprobe speichern zu können, statt einen automatisch gesicherten Spielstand zu haben, der uns die Schande eines vermasselten Musikstücks ewig nachträgt.
In einigen spaßigen Action-Sequenzen steuern wir Maes Pfoten und grabschen nach Gegenständen, wenn wir einen Laden beklauen. Werden wir erwischt, probieren wir es halt nochmal. Manchmal greifen wir auch einfach nur nach einem Stück Pizza, die wir mit den Kumpels verdrücken.
Die meiste Zeit über wird aber einfach nur geredet. Wir unterhalten uns mit den Bewohnern von Possum Springs und wählen ab und zu mal aus unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten, ansonsten lesen wir einfach nur mit. Ihre Erlebnisse kritzelt Mae in Form von lustigen Zeichnungen in ein Tagebuch, das wir jederzeit einsehen können.
Da wir jeden Tag im Spiel nur begrenzt Zeit haben, müssen wir uns regelmäßig entscheiden, mit welchem Freund wir uns treffen wollen und wen wir lieber vernachlässigen. Je mehr Zeit wir mit einem Charakter verbringen, desto besser lernen wir ihn kennen.
Das erhöht den Wiederspielwert, denn in einem Spieldurchlauf haben wir gar nicht genug Zeit, Maes Freunde allesamt richtig kennenzulernen. Zudem lernen wir beim Spielen immer besser die Hauptfigur Mae kennen, die sich von einer scheinbar stinkfaulen Kackbratze zu einer liebenswerten Antiheldin entwickelt.
Kein Horror
Wer hier angesichts des Titels und der Trailer wirklich schauerliche Gruselmomente oder Survival-Elemente erwartet, wird enttäuscht. Zwar steuern wir Mae immer wieder mal durch ihre bizarren Träume, und es gibt tatsächlich eine Geistergeschichte im Spiel, die erst ganz gegen Spielende wirklich in Fahrt kommt.
Meistens geht es aber viel mehr ums Erwachsenwerden, um Freundschaft und wie man seinen Platz in einer Welt findet, die sich ständig verändert. Die Figuren philosophieren darüber, ob man ein schlechter Mensch ist, wenn man sich bildlich vorstellt, jemanden zu töten. Ob Gott existiert und ob er ein liebender, gütiger oder ein kaltherziger, gleichgültiger Gott ist.
Die Bewohner von Possum Springs schreiben Gedichte darüber, wie Jobs, mit denen man früher ein Haus gekauft hat, zu Jobs wurden, mit denen man Miete zahlt. Und letztendlich zu Jobs, mit denen man bei seinen Eltern lebt. Wie Arbeitsplätze durch Apps ersetzt und Träume vom Haus mit Garten zu Träumen von einer Couch in einem Keller werden.
Es geht um Depressionen, Schmerztabletten und Alkohol, über Missbrauch, Zerstörungswut und Abhängigkeit. Darum, der Welt und dem Leben einen Sinn zu geben. Starker Tobak, bei dem die Geistergeschichte fast schon nebensächlich wirkt.
Spiel ohne Ziel
Night in the Woods hat kein richtiges Ziel. Man kann nicht sterben, kann nicht verlieren und bisher hat auch niemand ein verstecktes Super-Ende gefunden, das aufploppt, wenn man sämtliche Geheimnisse entdeckt. Ein paar versteckte Stellen in der Spielwelt sind etwas kniffliger zu erreichen als andere, aber die ultimative Jump&Run-Herausforderung ist das Spiel beileibe nicht - und will es auch gar nicht sein.
Vielmehr erinnert das Adventure an eine Art interaktiven Comic mit ein paar Sprungpassagen und Minigames. Es gibt unzählige Spiele mit ähnlichem, deutlich besserem Gameplay. Aber Night in the Woods erzählt eine einzigartige Geschichte mit lebenswerten, lebendigen, fantastisch geschriebenen Figuren.
Das Ende fühlt sich zwar etwas überhastet an, die Geistergeschichte wirkt ein wenig konfus. Und ja, es gibt ein paar Längen, wenn wir mit Mae manchmal Tag für Tag dieselben Wege ablatschen und mit denselben NPCs quatschen, bis die nächste interessante Story-Sequenz kommt. Trotzdem macht Entwickler Infinite Fall fast alles richtig, und so haben wir die gut zehn Stunden für unseren ersten Durchlauf praktisch in einem Stück durchgezogen. Selten hat uns eine gute Geschichte derart mitgerissen.
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