Der Hitman ist jetzt vollständig. Also nicht Agent 47 in Person (der kommt ja generell immer frisch und fertig mit Anzug und Krawatte), sondern sein aktuelles, sechstes Killer-Abenteuer, das seit Release des Intro Packs im März 2016 konsequent mit Inhalten gefüttert wurde. Nach sechs Episoden samt Intro Pack bietet die sogenannte »Full Experience« mittlerweile sieben Schauplätze, unzählige Community-Missionen, Nebenaufträge und Hunderte von Herausforderungen. Trotzdem dürften gerade Fachfremde sich angesichts der geringen Anzahl an Story-Missionen (acht an der Zahl) zurecht die Frage stellen: Wird Hitman damit denn dem Vollpreis gerecht? Oder verliert es sich zu sehr in Nebensächlichkeiten für Hardcore-Fans? Schließlich hatten die Vorgänger im Vergleich in der Regel doppelt so viele Kampagnenaufträge.
Das ist auch deshalb spannend, weil IO Interactive seine Full Experience mittlerweile als Staffel 1 tituliert und damit große Zukunftspläne propagiert. Weitere Staffeln sollen kommen und die Geschichte fortsetzen, allein für November sind diverse neue Nebenaufträge und Elusive Targets (nur für einige Tage verfügbare Event-Missionen) angekündigt. Im Test der Full Experience zeigt sich, dass gerade die nachträgliche Staffeleinteilung zum größten Problem von Hitman wird.
Zur Info: Wir gehen in diesem Test nicht mehr ausführlich auf den Inhalt jeder einzelnen Episode ein. Wenn ihr dahingehend mehr wissen wollt, findet ihr in unserer Testrubrik Reviews zu allen Schauplätzen.
Das Intro Pack und Episode 1 im Test: Die ICA-Einrichtung und Paris
Episode 2 im Test: Sapienza
Episode 3 im Test: Marrakesch
Die Bonus-Episoden im Test: The Icon und A House Build on Sand
Episode 4 und 5 im Test: Colorado und Bangkok
Episode 6 im Test: Hokkaido
Hitman, wie hältst du's mit der Zielgruppe?
In Zeiten des gefühlt allgegenwärtigen Glattbügelns vieler Mainstream-Spiele für optimale Massentauglichkeit steht Hitman im Triple-A-Sektor wie ein erfrischender Exot, der gar nicht erst versucht, sich der größtmöglichen Zielgruppe anzubiedern. Ganz im Gegenteil: Habt ihr keine Lust, eine Mission immer und immer wieder zu spielen, bis ihr sie als Profikiller in allen Punkten gemeistert habt? Dann dürftet ihr schnell fertig sein mit Agent 47. Hitman richtet sich klar an Stealth-Connaisseure mit der passenden Geduld für perfektionistische Experimente. Und das dürfte nicht die Mehrheit der Spieler sein. Man muss als Profikiller die Geduld und die Lust mitbringen, einen Schauplatz sorgsam auszuspähen, während man sich mit Verkleidungen unter die Leute mischt, in abgesperrte Bereiche schleicht, nur um dann irgendeine Interaktionsmöglichkeit für den perfekten Hit zu nutzen.
Beim ersten Durchlauf mag das ein herabsausender Kronleuchter sein, dessen Verankerung man heimlich löst. Mit ein bisschen Expertise erledigt man dann in späteren Versuchen beispielsweise all seine Ziele mit einer Kokosnuss. Oder man ballert sich durch, was wegen der extrem treffsicheren Gegner eine ganz eigene Herausforderung darstellt. Für solche Spielereien muss man sich begeistern können, um den vollen Umfang von Hitman auszuschöpfen.
Denn die sieben Schauplätze des Spiels (Paris, Sapienza, Marrakesch, Bangkok, Colorado, Hokkaido und eine geheime Killereinrichtung) sind zwar definitiv die größten Level der Seriengeschichte, für den ersten Durchlauf braucht man allerdings trotzdem keine Ewigkeit. In der Regel muss Agent 47 an jedem Ort zwei bis vier Personen ausschalten, allesamt Terroristen oder korrupte Oligarchen. Wer das zügig erledigt und sich nicht um die Wertungen nach Missionsabschluss schert, kommt mit der kompletten Kampagne in knapp sechs Stunden durch - das geht in puncto Umfang zwar noch in Ordnung, kann aber nicht mit früheren Serienteilen mithalten.
Spannende, aber enttäuschende Story
Hier kommt erschwerend hinzu, dass all die Leute extrem enttäuscht sein dürften, die bei Release des Intro Packs zugeschlagen haben, weil sie sich eine komplette Hitman-Story erhofften. Die nachträgliche Bezeichnung »Staffel 1« tröstet mehr schlecht als recht über die Tatsache hinweg, dass die Geschichte des aktuellen Hitman bestenfalls ein erster Akt ist.
Die Rahmenhandlung zwischen den einzelnen Schauplätzen stellt einen mysteriösen Widersacher vor, der hinter den Kulissen die Fäden zieht und Hitmans Killerorganisation, die ICA, instrumentalisiert, um seine eigenen dubiosen Ziele zu erreichen. Agent 47 findet sich mitten in den korrupten Machenschaften mächtiger Organisationen wieder und muss gemeinsam mit seiner »Handlerin« Diana Burnwood Licht ins Dunkel bringen. Denn eines steht fest: Niemand gefährdet die Neutralität der ICA.
In den Monaten vor Release der Full Experience endeten die Einzelepisoden stets mit einem fiesen Cliffhanger, der mindestens so viele Fragen aufwarf wie er beantwortete. Das war zu diesem Zeitpunkt auch schön und gut: Der Plot von Hitman bleibt konstant spannend, involviert die dunkle Vergangenheit von Agent 47, erschafft mehrere interessante Schurken und porträtiert Hitmans Kollegin Diana als knallhartes Genie, das mit kalter Präzision in der ICA aufsteigt.
Perfekte Voraussetzungen für die beste Story seit dem grandiosen Silent Assassin, allerdings endet auch die Full Experience nur mit einem weiteren gemeinen Cliffhanger. Es werden keine Handlungsfäden zu einem Ende geführt - stattdessen macht Staffel 1 »lediglich« unheimlich Lust auf Staffel 2. Das geht einfach nicht, wenn das Paket ursprünglich als eigenständiges und komplettes Hitman-Spiel vermarktet wurde. Und Fans für die kommende Season wieder 50 Euro auf die digitale Ladentheke legen müssen.
Das Sandbox-Experiment
Dafür wird Hitman zumindest spielerisch den meisten Versprechen gerecht, die IO Interactive bei Release des Prologs nach außen kommuniziert hat. Die sieben gigantischen Schauplätze laden zum Erkunden ein und demonstrieren eindrucksvoll die größte Stärke der Hitman-Serie: das grandiose Leveldesign. Es gibt so viele spannende Hotspots zu entdecken - und keine Ecke einer Karte sieht wie die andere aus. In Marrakesch infiltrieren wir als Profikiller Agent 47 eine alte Schule, die zum Milizcamp umfunktioniert wurde, schleichen dann anonym über einen Basar, nur um im Anschluss in ein Konsulat einzubrechen - alles in einem einzigen Level. In der streng geheimen Medizin-Einrichtung von Hokkaido gibt es Sushi-Bars, Spa-Bereiche, eine »Yoga-Klippe«, Leichenhallen, Forschungsbereiche, Hotelzimmer, einen japanischen Garten und weitere Außenanlagen. Die unserer Meinung nach beste Episode Sapienza trumpft mit einer italienischen Kleinstadt samt begehbarer Kathedrale, Burgruinen, einer riesigen Villa, geheimen Sex-Kellern, einer unterirdischen Terroristenbasis samt Killervirus-Labor, Küstenpier, Strand und diversen Wohnhäusern auf.
Ohne jetzt noch weitere Aufzählungen zu bemühen: Hitman bietet unglaublich abwechslungsreiche Schauplätze, auf denen wir unsere Zielpersonen identifizieren und möglichst kreativ ausschalten. Allerdings kommt die neue Sandbox-Dimension nicht in allen Leveln gleichermaßen zum Tragen: Sapienza steht hier als Open-World-Highlight mit einer riesigen, offenen Stadt, wohingegen Colorado (Episode 5) und Paris (Episode 1) mit ihren geschlossenen Bereichen eher wie Deluxe-Varianten alter Hitman-Aufträge wirken. Dabei gehören sie zwar trotzdem zu den besten Leveln der Seriengeschichte, für eine zweite Staffel wünschen wir uns trotzdem mehr von den offenen Szenarien der Sapienza-Liga.
Ob man die Schauplätze voll ausschöpft, hängt allerdings ohnehin stark vom individuellen Spielertypen ab. Wer bloß die Story-Kapitel abhakt, kriegt lediglich einen Bruchteil der Interaktionsmöglichkeiten auf einer Karte mit. Sapienza lässt sich zum Beispiel absolvieren, ohne die ansehnliche Kirche auch nur zu betreten. Wer hingegen beispielsweise das Elusive Target »The Prince« mitgenommen hat (das im Sommer für ein paar Tage verfügbar war), musste in der Kirche einen schwer bewachten Priester töten und dabei alle Attentäter-Register ziehen (wir haben damals die Kirchenglocke gelöst).
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