Ubisofts Far Cry Primal erfüllt mir einen exotischen Kindheitswunsch. Und wenn ich »Kindheit« sage, dann meine ich mein achtjähriges Ich, das zum ersten Mal Steinzeitdörfchen in Kinderbüchern entdeckt und sich denkt: »Bei Fred Feuersteins Fellweste, es wäre so cool, das mal aus der Ego-Sicht zu spielen - ähnlich wie in diesem Duke Nukem 3D, das ich heimlich mit meiner Cousine spiele, und von dem meine Mutter garantiert erst erfährt, wenn ich mal erfolgreicher Journalist bin und sie mir nicht mehr böse sein kann.«
Das tolle an Spielen ist: Jeder Traum ist möglich, es muss ihn nur einer entwickeln. In Far Cry Primal erwacht die Steinzeit zum Leben wie in keinem anderen Spiel zuvor. Plötzlich bin ich der junge Krieger Takkar und erkunde vor über 10.000 Jahren den gefährlichen Urwald, gehe auf die Jagd nach Mammuts, fliehe vor hungrigen Säbelzahntigern und trage für meinen Stamm blutrünstige Kämpfe mit feindlichen Steinzeitmenschen aus. Ubisoft erschafft hier eine sagenhafte, fremdartige und unfassbar spannende Welt - aber ist das Spiel, das darin stattfindet, genauso fesselnd?
Die kurze Antwort: Nein, eigentlich nicht. Und trotzdem wird das Kind in mir von dem, was Far Cry Primal bietet, komplett aus den Socken gehauen. Ich habe irrsinnig viel Spaß mit einem Spiel, das mich rein spielerisch nicht besonders fesselt - im Test kläre ich diesen Widerspruch auf und verrate, mit welcher Einstellung man in der Welt von Far Cry Primal am meisten Freude hat.
Testvideo in Arbeit
Das Testvideo zu Far Cry Primal liefern wir baldmöglichst an dieser Stelle nach.
Ruckler auf der Xbox One
Beim Test der Xbox-One-Version haben wir nach einigen Spielstunden am Stück extreme Einbrüche der Framerate festgestellt. Alle paar Minuten fror das Bild für eine Sekunde ein, vor allem in Kämpfen war das ein echtes Problem. Nach einem Neustart waren die Probleme dann verschwunden - da es abseits davon keine technischen Auffälligkeiten gibt und der Fehler leicht zu beheben ist, nehmen wir keine Abwertung vor.
Einer dieser Montage
Als Höhlenmensch Takkar habe ich einen saumäßig miesen Tag. Eigentlich will ich nur mit meinen Kumpels Mammuts jagen, weil die Stammeskollegen daheim Hunger haben. Aber bei unserem gemeinsamen Jagdmanöver geht so ziemlich alles schief. Und ohne zu viel von der Story vorwegzunehmen: Am Ende stehe ich völlig allein da, 10.000 Jahre, bevor es die ersten Smartphones mit Notruffunktion gibt. Inmitten der gefährlichen Wildnis bin ich selbst als ausgebildeter Jäger ohne meinen Stamm völlig aufgeschmissen. Hier gibt sich Primal historisch korrekt. Zum Glück stolpert Takkar schnell über eine einsame Sammlerin namens Sayla.
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Weil Jäger und Sammler so gut zusammenpassen, bilden die beiden prompt ein Team und beschließen, Takkars Stamm der Wenja wieder aufzubauen. Die Mitglieder seiner Sippe sind nämlich überall im großen Urzeittal Oros verstreut, der Spielwelt von Far Cry Primal. Natürlich gestaltet sich der Wiederaufbau der Wenja schwieriger als gedacht: Zum einen sind die einzelnen Mitglieder echte Dickköpfe und wollen von Takkar überzeugt werden, zum anderen lauern in der Wildnis neben wilden Tieren auch feindliche, blutrünstige Stämme, die absolut keinen Bock auf Konkurrenz in ihrem Revier haben.
Unterm Strich ist das die Story von Far Cry Primal: Ich baue Wenja wieder auf, die Bösen pinkeln mir dabei ans Bein. Und das meine ich wörtlich: An einer Stelle wird man tatsächlich angepieselt. Der Umgangston in der Steinzeit ist rau - es gibt weder subtile Charakterentwicklungen, noch andächtige Romanzen.
Und das ist eine willkommene Abwechslung: Takkar kämpft, um zu überleben und um seinen Stamm zu schützen. Ubisoft inszeniert die Geschichte im gleichen Stil wie die Welt, in der sie stattfindet: brutal, wild, aber auch faszinierend. Takkar und die Wenja sind nicht einfach moderne Menschen in Lendenschurz, wie das häufig in schlechten Historienromanen vorkommt.
Wenja-Geplapper
Die Entwickler haben sich wirklich bemüht, eine längst vergessene, andersartige Mentalität zu neuem Leben zu erwecken. Wenn Sayla animalische Wutschreie von sich gibt, weil ich es nicht hinbekommen habe, dem feindlichen Stammesanführer Ull die Ohren für ein Ritual abzuschneiden, dann sprengt sie definitiv den Rahmen eines herkömmlichen »Love Interests«. Es macht sie als Mensch eher abstoßend, aber gleichzeitig in ihrer Umgebung ungemein lebendig.
An anderer Stelle laufe ich als Takkar in einer drogeninduzierten Traumsequenz einer gigantischen Frauenstatuette hinterher, die aussieht wie die weltberühmte Venus von Willendorf. Dabei geistern einige brüchige Fragen in seinem Kopf herum wie »Warum sterben wir?«. Ubisoft nimmt an vielen Stellen solche archäologischen Funde und erschafft damit in Far Cry Primal eine Gesellschaft von Steinzeitmenschen, die ganz am Anfang einer kulturellen Reise stehen.
Die Wenja sind einerseits permanent damit beschäftigt, ums Überleben zu kämpfen, auf der anderen Seite beginnen sie in stillen Momenten damit, sich komplexere Fragen zu stellen, aus denen letztlich modernere Kulturen hervorgegangen sind.
Mehr: Kolumne zur Sprachausgabe von Far Cry Primal
Auch die Vertonung trägt extrem zur Stimmung bei - alle Dialoge finden in der fiktiven Wenja-Mundart statt und man kann nur über Untertitel entziffern, worum es geht. Die Gesichtsanimationen der Figuren sind technisch sogar so großartig umgesetzt, dass man die Geschichte fast schon nur über die Mimik versteht. Das liegt allerdings auch daran, dass die Handlung nicht besonders komplex ist.
Eine meisterhafte Open World
Die Story von Far Cry Primal lebt in erster Linie von ihrer Atmosphäre und der exotischen Welt, in der sie stattfindet. Wer auf eine filmreife Dramaturgie mit innovativem Skript und unvergesslichen Charakteren wie Vaas Montenegro hofft, der wird enttäuscht. Im Rahmen des Szenarios schafft es die Story zwar, mich zum eigentlichen Gameplay zu motivieren - sie überrascht mich aber selten mit coolen Wendungen oder spannenden Ereignissen. Der Star von Primal ist das Steinzeittal selbst - und das will ich hier nochmal unterstreichen: Die Open World ist absolut großartig!
Mal ganz davon abgesehen, dass die Urzeit noch nie so eindrucksvoll in einem Spiel zum Leben erweckt wurde - die Art und Weise, wie Ubisoft hier eine Wildnis mit Tieren, Pflanzen, Lichtstimmungen und Wettereinflüssen in Szene setzt, markiert einen neuen Meilenstein im Open-World-Subgenre. Außerdem ist das Gebiet extrem weitläufig, ich durchquere grüne Täler, Schneelandschaften und felsige Regionen.
Beim Testen gab es so viele Momente, in denen ich aus dem Staunen kaum herausgekommen bin: Zum Beispiel wenn ich im Dämmerlicht durch die Natur streife und auf einer Anhöhe einen einsamen Wolf erblicke, der in die Ferne späht, während die letzten Sonnenstrahlen durch die Baumkronen brechen.
Solche Szenen gibt es in Primal zu Hauf. Ich erklimme eine frostige Hügelkette auf der Suche nach einem Mammut, pirsche mich bei Nacht durch einen Schwarm voller Glühwürmchen und überfalle einige Feinde am Lagerfeuer, nur um eine Stunde später per Wurfhaken an einem Wasserfall hinaufzuklettern. In der Ferne strotzt das weite Tal nur so voller Leben. Überall sehe ich Tiere, ein Wolf überfallt einen einsamen Wanderer, meine Wenja-Krieger patrouillieren indes fleißig.
Lesenswert: Nutzt eure Open World!
Im Westen hat irgendein Idiot aus Versehen eine Wiese in Brand gesetzt und rennt panisch davon. All diese Ereignisse passieren in der Welt dynamisch, darüber hinaus sieht das Spiel auch noch bombastisch aus. Nur leider ist das, was ich selbst im Oros-Tal unternehme, weit weniger spektakulär.
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