Meinen ersten Ausflug als Taxifahrer in Lost Heaven (Mafia) werde ich nie vergessen. Ein großartiges Gefühl: Völlig frei durch die Gassen der 30er-Jahre-Metropole zu donnern, Jazz-Musik im Ohr, dem Verkehr ausweichen - und es war komplett mir überlassen, ob ich rechts oder links abbiege, mich mit den Cops anlege, Passanten einen Schrecken einjage oder einem Mafioso auf die Mütze haue. So eine Freiheit! Vor 15 Jahren hat mich das schwer begeistert.
Seitdem liebe ich Open-World-Spiele. Ich habe Unmengen an Zeit in sie gesteckt, war in Vice City, Los Santos, London, Paris, Istanbul, Empire Bay, Gotham, Steelport - um nur ein paar zu nennen. Heutzutage sind die offenen Welten so groß und opulent wie nie. Das ist eine tolle Entwicklung, in meinen Augen hat sie aber auch einen immensen Nachteil: die Abstände zwischen dem interessanten Schauplatz A und Hotspot B werden ebenfalls größer. Der Leerlauf nimmt zu.
Das führt dazu, dass ich mit vielen prominenten Open-World-Spielen trotz ihres gigantischen Umfangs schneller fertig bin als früher, weil ich die an sich coole Welt immer mehr als bloße Kulisse wahrnehme. Zwischen durchchoreographierten Storymissionen und Kistensammel-Enthusiasmus fehlt die interaktive Dichte, um mit der spielerischen Freiheit zu experimentieren. Je größer die Welt, desto problematischer wird das.
Was im kompakten Mafia 1 noch kein Problem war, stört mich heute. Ich kann aus dem Kopf keine fünf spannenden Erinnerungen aufzählen, die ich abseits der Missionen im Hinterland von Afghanistan erlebt habe - obwohl ich mehrere Dutzend Stunden in Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain gesteckt habe. Oder das herausragend schöne Chicago aus Watch Dogs, in dessen Design Tausende Arbeitsstunden geflossen sein müssen - sinnlos, weil es darin abseits der Story kaum etwas zu erleben gibt. Welch Verschwendung!
Über den Autor
Dimi ist bereits lange vor seiner Zeit als GamePro-Redakteur ein Fan von Open-World-Spielen gewesen. Schon als Kind hat er mit anderen Kids um das Gamepad im Kaufhaus gerungen, weil er unbedingt wissen wollte, was es im San Francisco des ersten Driver (1999) so alles zu entdecken gibt. Mittlerweile ist er zahmer - das liegt aber vor allem daran, dass er als Erwachsener genug Taschengeld verdient, um sich neue Open-World-Titel kaufen zu können. Denn nach wie vor steckt er seine Nase in alles, was mit offenen Spielwelten zu tun hat. Umso mehr ärgert er sich, wenn Entwickler sich keine Mühe geben, diese tollen Welten nach Release am Leben zu halten.
Das Gegenmodell - eine komplett offene Sandbox zum kreativen Austoben - bleibt bisher Spielen wie Rust, Minecraft und Terraria vorbehalten, wo wirklich alles interaktiv und formbar ist. Für kinoreife Millionenproduktionen wie Batman: Arkham Knight ist das im großen Rahmen zu teuer, dafür sind solche Open Worlds zu komplexe Konstrukte - ich verstehe das und darüber will ich mich hier gar nicht auslassen. Mich stört was ganz anderes: Entwickler und Publisher tun so, als gäbe es zwischen Rust-Sandbox und rigider Ubisoft-Formel keine andere Möglichkeit, eine Open World am Leben zu erhalten. Ich sage: Die gibt's. Und sie heißt DLC. Allerdings muss man die Sache richtig anpacken.
Der falsche DLC
Mittlerweile hat sich eine Art Open-World-Routine eingependelt, wenn es um DLCs zu großen Nicht-Rollenspielen wie Assassin's Creed, Far Cry oder Batman geht. Nach Release versorgen die Entwickler uns Spieler mit ein paar Patches, Challenge-Maps, sowie Skins und vielleicht einem Waffenpack. Nach einer Weile gibt's dann zur Rechtfertigung der teuren Season-Pässe entweder einen größeren Story-DLC oder einige kleinere Missionshäppchen. Letzteres beispielsweise bei Arkham Knight, wo die Mini-Abschnitte rund um Batgirl, Nightwing und Harley Quinn erfolglos der Qualität des Hauptspiels hinterhereifern.
Die Assassin's-Creed-Serie setzt hingegen seit Teil drei voll auf große Story-DLCs, die komplett losgelöst von der ursprünglichen Open World ihre eigenen, separaten Welt-Biotope öffnen und so das Hauptspiel quasi in klein aufwärmen. Auch in Dead Kings sammle ich Kisten, erklettere Türmchen, verhaue Wachen und schalte Kostüme frei. Das ist an sich nicht schlecht, kann aber natürlich nicht so beeindrucken wie das opulente Paris des Hauptspiels Unity.
Die Jagd nach Jack the Ripper in Assassin's Creed Syndicate gibt sich redlich Mühe, so spannend zu sein wie die große Kampagne - aber sie schafft es nicht, weil sie nie mehr sein kann als eine Miniatur der eigentlichen Story. Und da liegt in meinen Augen das verschenkte Potenzial. Warum baut Ubisoft nicht seine ursprünglichen Welten, die französische und die englische Hauptstadt, weiter aus? Warum fügt man ihnen keine neue Missionstypen, Gegner, begehbaren Gebäude hinzu? Warum lässt man sie welken, statt sie zu stärken?
Dasselbe bei Metal Gear Solid 5, das nach Release voll auf den Multiplayer-Patches und Lategame-Waffen setzt, die den Kauf der MB Coins für Echtgeld rechtfertigen sollen. Dass es abseits der Missionen in den Open Worlds Afghanistan und Afrika kaum spannende Dinge zu erleben gibt, wird ignoriert (und die belanglose Tierfängerei zählt nicht!). Wie wäre es stattdessen mit verstärkten Gegnerpatrouillen im Hinterland, zufällige Panzerkolonnen, die man entführen kann, oder neuen, spannenden Städten, Stützpunkten und anderen Schauplätzen zum Erkunden? Ein richtiges Ende wäre natürlich auch nett. Viele Fans bemängeln das.
Der richtige DLC
Dass Open-World-Entwickler die abgekapselten Mini-Kampagnen bevorzugen, hat handfeste Gründe: Natürlich lässt sich ein Jack-the-Ripper-DLC nicht innerhalb von einem Monat nach Release mal eben nebenbei in die offene Welt des Hauptspiels anstöpseln. Zumal die DLC-Produktion schon beginnen dürfte, wenn jene Welt noch gar nicht fertig ist - da will man Konflikte vermeiden. Alles nicht so einfach, schon klar.
Wenn das Ganze nicht als DLC umsetzbar ist - wie wäre es dann als Kompromiss mit einer Art »Live Service« nach Release? Da könnte dem man die Open World kontinuierlich um genau die Inhalte erweitern, die sich die Community wünscht. Es wäre ein anderer Entwicklungsansatz, vor allem für Ubisoft. Aber eben auch ein überaus spannender.
Grand Theft Auto 5 lebt das ziemlich erfolgreich vor, dort liegt der Schwerpunkt allerdings auf GTA Online. Seit Release erscheinen regelmäßig kostenlose Updates, die neue Features wie Heists, Yachten, Lowrider oder Freeroam-Events einführen. Gleichzeitig gibt es permanent Aktionen wie Wochenend-Events, Halloween-Specials oder Weihnachts-Updates. Dass das bei einem Singleplayer-Spiel nicht über zwei Jahre funktioniert, ist mir klar. Aber was ist mit sechs Monaten? Heutzutage ist es so leicht wie nie, das Feedback der Spieler zu protokollieren und darauf zu reagieren - sei es durch das Beobachten des Spielerverhaltens oder über Social-Media-Kanäle und Forenthreads. Auch das neue Hitman wird sich mit seinen großen Sandbox-Arealen ganz bewusst auf diesen Live-Aspekt konzentrieren.
Assassin's Creed experimentierte schon in Brotherhood mit Community-Aktionen. Dort konnten Spieler durch ihr Verhalten eine Art »globales Wirtschaftssystem« beeinflussen, das die sich auf die Ingame-Preise auswirkte. Seit Black Flag gibt es spezielle Social Features wie Community-Schiffe, die man für besonders dicke Beute nur versenken kann, wenn man in Uplay eingeloggt ist. Klar, sowas soll die Leute in erster Linie dazu bringen, online zu sein, ohne dass man auf Publisher-Seite in die böse Always-On-Falle tappt. Aber ganz unabhängig von solchen Hintergedanken könnte man den Weg der Live-Aktionen weiterverfolgen - nicht zum Stärken von Uplay-Logins, sondern um die Open World am Leben zu halten.
Ich bin davon überzeugt, dass das häufig lautstark kritisierte Season-Pass-Konzept davon profitieren würde, wenn man auf Basis von Spieler-Feedback das Hauptspiel weiter mit Content versorgt, statt sich auf kostspielige Mini-Derivate zu konzentrieren. Oder kurz gesagt, liebe Entwickler und Publisher: Begleitet eure Open World doch auch nach Release noch für ein paar Monate, statt direkt zu neuen Ufern aufzubrechen.
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