Dem Drachen in die Ferse
Aber was passiert eigentlich, wenn der Drache beim Rundflug nicht in einen Riesen rasselt, sondern in unsere Gruppe? Das zeigt uns Bioware im Anschluss - und wir sind vom live gespielten Resultat sehr angetan. Das liegt zum einen daran, dass der verantwortliche Kampfsystem-Designer beim ersten Versuch spektakulär scheitert, was für einen gewissen spielerischen Anspruch spricht, weil sich Entwickler gemeinhin lieber kochendes Wasser in den Schoß kippen, als vor Journalisten am eigenen Spiel zu scheitern. Zum anderen ist dieser Drachenkampf beeindruckend inszeniert und wirkt - im krassen Gegensatz zu den bislang veröffentlichten Videoszenen - wunderbar taktisch.
So ein Drache besitzt nämlich mehrere Trefferzonen: Nachhaltig verwundbar ist er an Hals und Kopf. Genau dort kommt man aber schlechterdings nur mühsam dran. Also muss ein Tank die verheerenden Feuerangriffe über sich ergehen lassen, während sich die Schadensausteiler um die Klauen kümmern. Hauen wir dem Biest etwa das linke Vorder- und Hinterbein weg, dann kippt es zur Seite und entblößt seinen Hals.
Als wir den Kampfsystem-Designer fragen, ob die Mechanik vom Draigoch-Raid aus Herr der Ringe Online inspiriert ist (dort muss ein Raid-Mitglied alleine den Kopf des turmhohen Drachen Draigoch tanken, während die übrige Gruppe systematisch seine Klauen abarbeitet), bekommt er große Augen. »Funktioniert das dort auch so?«, will er wissen. Wir nicken. »Okay, das muss ich mir anschauen.«
Flugzeuge und Jet-Skis
Wir schauen uns in der Zwischenzeit das technische Gerüst von Inquisition an. Schließlich ist die eingesetzte Frostbyte-3-Engine auf den ersten Blick nicht unbedingt für ein Rollenspiel prädestiniert, sondern wurde vom Entwickler Dice speziell auf die Anforderungen von Battlefield 4 (sowie möglicher Nachfolger) zugeschnitten. »Sie ist dafür gemacht, dass sich Flugzeuge beschießen, während unter ihnen Leute mit Jet-Skis durchs Wasser rasen«, erklärt Mike Laidlaw.
Flugzeuge und Jet-Skis gibt's in Dragon Age natürlich nicht, aber Bioware setzt die Stärken der Engine offenbar trotzdem clever um. Vor einem Kampf beispielsweise steht ein gegnerischer Magier auf einem Mauervorsprung und hat von dort eine ideale Sicht auf das wahrscheinliche Schlachtfeld: ein Sniper-Nest gewissermaßen.
Bevor wir uns also ins Getümmel stürzen und förmlich um Feuerbälle betteln, sollten wir den Kerl mit einem gut platzierten Zauberspruch dort runterschießen - oder alternativ unseren Schurken über das verwitterte Mauerwerk schicken, im Tarnmodus versteht sich, um den Magier mit einem »Backstab« aus dem Gefecht zu nehmen. Diese Vertikalität steht den Kämpfen zumindest in den uns vorgespielten Szenen taktisch sehr gut zu Gesicht. Ach ja: Inquisition ist das erste Bioware-Spiel seit 14 Jahren (seit MDK 2, um genau zu sein), in dem der Protagonist aktiv springen darf. Klettern ist aber nicht möglich.
Mit optischem Glanz in eine glänzende Zukunft?
Außerdem sieht das neue Dragon Age geradezu unverschämt gut aus. Bei einem Spaziergang am Strand beispielsweise staunen wir förmlich über den realistischen Wellengang (auch wenn momentan noch die Brandung fehlt), am Ufer ist jeder einzelne Kiesel gestochen scharf texturiert.
Dragon Age: Inquisition - Charakter-Artworks ansehen
Bei einem Rundflug am Rechner des verantwortlichen Grafikdesigners wiederum beeindrucken die hohe Weitsicht, die dichte und plastisch wirkende Vegetation sowie die dynamischen Wettereffekte, die sowohl optische als auch spielerische Auswirkungen haben sollen. Nach einem Regenguss etwa bilden sich an den physikalisch korrekten Stellen kleine Pfützen, im schlammigen Untergrund bewegt sich unsere Gruppe spürbar langsamer - was gegebenenfalls einen gravierenden Einfluss auf die Kämpfe nehmen soll.
Auch die vielfältige Ausrüstung kann sich nach dem diesbezüglich oft kritisierten Vorgänger endlich mal wieder sehen lassen. Für jeden Gefährten - und natürlich auch für den Inquisitor selbst - werden etliche Rüstungen, Helme, Schilde und Waffen modelliert, Bioware arbeitet mit mehr als einem halben Dutzend unterschiedlicher Metalle, mal stumpf, mal reflektierend, Regen soll realistisch davon abperlen.
Kann dieses Dragon Age: Inquisition also wieder an die Qualität der alten Bioware-Spiele anknüpfen, an Origins und Baldur's Gate 2 und Knights of the Old Republic? Als wir nach acht Stunden erneut vor Gebäude 4445 Calgary Trail stehen, auf das Taxi warten und feststellen, dass minus 31 Grad wirklich unerhört kalt sind, würden wir diese Frage spontan mit »Es sieht ganz danach aus.« beantworten. Aaryn Flynn, Cameron Lee, Mike Laidlaw und ihr Team arbeiten nämlich nicht bloß die Schwächen von Dragon Age 2 auf, sondern leben auch spürbar wieder die Vision von einem großen, einem echten Bioware-Rollenspiel.
Insgesamt 33 unterschiedliche Enden soll Inquisition erzählen. Das ist ein ambitioniertes Ziel - auch wenn einige dieser 33 Enden freilich nur in Nuancen voneinander abweichen werden. Den Fans der alten Bioware-Spiele würde wahrscheinlich schon ein einziges Ende genügen: die Erkenntnis, dass es das Studio immer noch drauf hat, dass es immer noch Spiele entwickeln kann, an die man auch Jahre später mit kindlicher Begeisterung zurückdenkt. Inquisition könnte tatsächlich so ein Spiel werden. Es wäre mal wieder Zeit.
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