Doppelmord?
Übrigens können die beiden Agenten auch vertauscht sein – dann ist Ray in der Kanalisation und Reyes oben in der Stadt. Je nachdem, welchen der beiden wir gerade steuern, wenn der Kanalisationszwischenfall passiert. Großartige spielerische Auswirkungen hat das aber nicht. Die Stadtbewohner geben zum Beispiel meistens dieselben Antworten, egal wer sie befragt.
Neben den beiden Agenten lässt uns Thimbleweed Park an vorgegebenen Stellen noch weitere Charaktere übernehmen. Darunter den fiesen Clown Ransome und die nerdig-sympathische Delores, die eigentlich die Fabrik ihres Onkels übernehmen soll, aber unbedingt Spieleprogrammiererin werden will – natürlich bei MMucasFlem.
Diese beiden Figuren spielen wir interessanterweise in der Vergangenheit der Stadt. Wenn wir etwa 1987 mit einer Diner-Kellnerin über die Stadtgeschichte plaudern und die Dame von früher erzählt, wechselt das Spiel in die Clown-Story. Hier müssen wir mit Ransome Aufgaben erledigen: Spielschulden zurückzahlen, uns für einen Auftritt vorbereiten, und so weiter. Während dieser Episode ist kein Wechsel zu den Agenten mehr möglich, wir bleiben erst mal in der Vergangenheit, bis in diesem Abschnitt alle Clownjobs erledigt sind.
Durch diese abwechslungsreichen Ausflüge mit anderen spielbaren Figuren und in andere Zeiten gerät der Mordfall fast schon in den Hintergrund. Denn viele neue Fragen tauchen auf: Was ist mit der Stadt eigentlich passiert? Was wurde aus Delores, nach »wir« ihr den Traumjob bei MMucas besorgt haben? Wer war dieser Chuck, der die Stadt quasi im Alleingang nach vorne gebracht hat, den alle so bewundern – und der kurz vor dem Mord beerdigt wurde? Auch toll: Alle Geschichten sind miteinander verwoben und kreuzen sich, wir lernen Leute in der Vergangenheit kennen und dann später in der »Gegenwart« von 1987.
Doppelgänger?
Verschiedene Zeitebenen, mehrere Charaktere steuern – ist Thimbleweed Park ein neues Day of the Tentacle? Nein. Denn trotz dieser Parallelen fehlt Ron Gilberts neuem Wurf der spielerische Schwung des großen Vorbilds. Das sagen wir nicht einfach, weil »früher sowieso alles besser war« und wir die Adventure-Könige von damals nostalgisch verklären.
Nein, das damals schon unvergessliche Zusammenspiel der drei Helden über 400 Jahre hinweg ist bei Thimbleweed Park schlicht eine ganze Nummer kleiner. Denn es ist ein Unterschied, ob wir 200 Jahre in der Vergangenheit die US-Flagge mitgestalten und Benjamin Franklin treffen, der ganz nebenbei den Blitzableiter erfindet – ober ob wir in einem 80-Seelen-Kaff einen Clown aus seinen Spielschulden pauken.
Darüber hinaus gehen uns einige der NPCs gehörig auf den Zeiger. Allen voran der Sheriff und der Gerichtsmediziner – die beide die gleiche Person zu sein scheinen. Vor allem um die Augenpartie herum, versichern uns die beiden, was die verbliebenen Stadtbewohner genauso sehen. Doch die beiden Amtspersonen unterscheidet noch eine Marotte, und die treibt uns in den Wahnsinn: Der Sheriff fügt an Hauptwörter gerne ein »-lein« an, der Gerichtsmediziner ein »-chen«. Also Agentlein, Agentchen und so weiter.
Das ist ungefähr drei Sätze lang witzig, dann nervt es nur noch. Bei den deutschen Untertiteln ist da ja noch okay, aber in der englischen Sprachausgabe (es gibt keine deutsche oder sonstige Synchronisation) ist das im Original angehängte »-rino« oder »-lino« einfach furchtbar penetrant: »Äitschenterino« und »Äitschentelino«, das ist ungefähr so lustig wie Jar Jar Binks mit seinem Ichse-michse-Gequatsche.
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