Das größte Kompliment, das man Blood and Wine machen kann, ist dass die nächste Erweiterung für The Witcher 3 eine kolossale Zeit- und Geldverschwendung ist. Nicht für den Spieler - der kriegt hier für 20 Euro unglaublich viel geboten. Wohl aber für die Entwickler.
CD Projekt Red hätten gut und gern halb so viel Inhalt in diesen DLC packen können und in der heutigen Spielelandschaft immer noch Lorbeeren dafür eingeheimst, was für ein großzügiges Paket sie da geschnürt haben. Aber dass dieses Studio keine kleinen Brötchen backt, dürfte inzwischen eigentlich niemanden mehr überraschen. Und doch kamen wir bei unserer Reise durch Blood and Wine aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Versionen und Gwint-Karten
Blood and Wine erscheint am 31. Mai 2016. Es kostet als digitaler Download 20 Euro und liegt zusammen mit Hearts of Stone dem Expansion Pass für 25 Euro bei. Für PC und PS4 gibt es außerdem eine Ladenversion für 29,99, der zwei Gwint-Decks beilegen. Dabei handelt es sich um aktualisierte Version von Nilfgaard und den nördlichen Königreichen, die es bislang nur in der Collector's Edition für Xbox One gab. Wer bereits eine digitale Edition gekauft hat, kann auf redeemgwent.com die Karten dazubestellen.
Willkommen in Toussaint!
Wie schon bei Hearts of Stone stürzen wir uns entweder mit unserem altgedienten Geralt in das neue Abenteuer oder starten mit einem frischen Helden der Stufe 34. Der kann Blood and Wine direkt ansteuern, ohne sich davor durchs Hauptspiel gekämpft zu haben. In jedem Fall spendiert die Erweiterung dem Hexer einen Tapetenwechsel der angenehmsten Art: Sie pflanzt mit Toussaint eine völlig neue Region auf die Weltkarte. Die kann es in Sachen Größe fast mit dem riesigen Niemandsland aufnehmen und bietet inklusive aller Nebenaufgaben gut 30 Stunden Spielzeit - nicht schlecht für 20 Euro!
Und was ist das so für ein Land? Erfrischenderweise das genaue Gegenteil von Skellige oder Velen. Der Krieg gegen Nilfgaard ist in Toussaint nichts als eine entfernte Geschichte, die man sich zwischen dem letzten Weinfest und dem nächsten Ritterturnier erzählt. Hier sind Frauen noch Damen, Männer noch echte Recken und selbst die ärmsten Bauern haben so viele Vorräte in der Speisekammer, dass sie keinen Hunger leiden müssen. Die Entwickler haben es geschafft, dem Fürstentum seine ganz eigene Stimmung zu verleihen. Schon aus der Ferne sticht uns der Herrschaftssitz Beauclair ins Auge, ein strahlend weißes Märchenschloss, auf das selbst Neuschwanstein-Hausherr König Ludwig II. neidisch wäre.
»Neo-elfische Architektur« nannte das Level-Designer Miles Tost, als wir die Entwickler im April in Warschau besuchten: In alter Zeit stand hier ein Elfenpalast, auf dem die Menschen später aufgebaut haben. Eigentlich wollte Miles damals aber über die kleinen Dinge reden. Das Gras zum Beispiel, die Bäume, die Höhlen. Was an denen so eindrucksvoll sein soll? Selbst diese Details haben die Entwickler für Toussaint neu gestaltet, statt sie einfach aus dem Hauptspiel zu recyceln. Weil sein Wein der größte Stolz des Fürstentums ist, orientiert sich die Landschaft an Südfrankreich und der Toskana. Hier blühen die Blumen prächtiger, die Farben strahlen kräftiger, der Himmel ist blauer.
Kurz: Es ist ein wunderschönes Land, das wir mit größtem Genuss bereist haben, und bereichert The Witcher 3 um völlig unverbrauchte stilistische Facetten. Bei aller Pracht kommt die Abwechslung dennoch nicht zu kurz. Selbst in Toussaint finden wir Brachland und Sümpfe, wo sich eher Monster und Banditen tummeln als reiche Winzer. »Das Schöne wird irgendwann langweilig, wenn's nichts Hässliches als Kontrast gibt«, so Miles.
Ritter und Monster
Toussaint erwacht nicht nur durch sein Design zum Leben, sondern auch durch seine Figuren. Allen voran die fahrenden Ritter, die in güldener Prunkrüstung durchs Land gondeln, Riesen erschlagen und alle naselang bei ihrer Ehre schwören. Eine Ehre, die ihnen gebietet, selbst brandschatzenden Banditen zunächst einmal streng ins Gewissen zu reden und die verlorenen Schafe zurück auf den Pfad der Tugend zu führen - sie aber dann doch ohne viel Federlesens niederzumetzeln, sobald ihnen auch nur ein rüpelhaftes Wort über die Fürstin von Toussaint über die Lippen kommt. Die pompösen Rittersleut sorgen für herrliche Dialoge und waren uns sofort sympathisch.
Auch wenn sich uns doch irgendwie die Frage aufdrängte, wie solche idealistischen Naivlinge in der gnadenlosen Witcherwelt lange genug überlebt haben, um es aus dem Knappenalter raus zu schaffen. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Denn in Toussaint geht ein Monster um und macht brutal Jagd auf die tapferen Recken. Wozu müssten sie auch sonst einen Hexer rufen? Nach einem großartig inszenierten Auftakt wird Geralt in ein hochspannendes Mysterium hineingezogen. Wie schon in Hearts of Stone ist längst nicht alles, wie es scheint. Der Hexer kriegt es mit zwiespältigen Schurken zu tun, die sich trotz ihrer Schandtaten nicht einfach als grundböse abstempeln lassen. Über so manche Entscheidung mussten wir uns daher ordentlich den Kopf zerbrechen.
Freiheit ist ein Geschenk:Kolumne zu Entscheidungen in Spielen
Und auch auf der Seite der Rechtschaffenen sind die schillernden Charaktere für so manche Überraschung gut. Die erwähnte Fürstin, Anna Henrietta, kommt etwa zunächst ein wenig launisch und aufgeblasen daher, aber es wird schnell klar, warum ihr Volk sie so anhimmelt. Im Ernstfall erweist sie sich als verblüffend tatkräftige und selbstlose Herrscherin. Ohne viel Federlesens schießt sie alle höfischen Annehmlichkeiten in den Wind und reitet lieber persönlich mit Geralt zur Mörderjagd aus, statt ein weiteres Verbrechen an ihren Untertanen zu dulden.
Einzige kleine Enttäuschung: Obwohl Rittersporn in den Hexerbüchern eine stürmische Affäre mit der Fürstin hatte, tritt er in Blood and Wine kaum auf. Trotzdem kommen Fans der Romane durch so einige interessante Anspielungen voll auf ihre Kosten. Und alle anderen auch, denn Blood and Wine ist durchweg hervorragend geschrieben - die Story reißt mit, die Figuren wachsen uns ans Herz und wir mussten uns über so manche Entscheidung ernsthaft den Kopf zerbrechen. Beste Witchertradition also!
Aus dem Bestiarium von Toussaint
Apropos Tradition: Serienkenner werden einige der über20 frischen Monster in Toussaint wiedererkennen. Man ahnt es vielleicht schon: Genau, die ekelhaften Pflanzenmonster aus dem ersten Teil sind wieder da, und noch grässlicher als je zuvor! Die tentakelähnlichen Archesporen übersähen die Umgebung mit ihren Blüten und bespucken uns mit Pflanzensäften. Rücken wir ihnen im Nahkampf zu Leibe, lassen sie ihre Blüten explodieren oder ziehen sich in den Boden zurück und brechen in gesunder Entfernung aus einer davon wieder hervor.
Hearts of Stone konzentrierte sich vor allem darauf, uns interessantere Bosse vor die Klinge zu werfen als das Hauptspiel. Blood and Wine denkt diesen Gedanken noch weiter. Hier fühlen sich selbst einige gewöhnliche Monster mehr an wie Mini-Bosse denn Kanonenfutter und erfordern eigene Strategien. Eine gute Herangehensweise, finden wir. Zumal sich die Erweiterung mit mindestens Stufe 34 sowieso an erfahrene Hexer richtet.
Und bei den vollwertigen Bossen lässt sich Blood and Wine ebenfalls nicht lumpen, schon in den ersten zwei Spielstunden müssen wir satte vier davon in den Staub schicken! Die sind durchweg interessant gestaltet. Ein riesiges Steinmonster etwa jagt nach Klang, und wir können es mit dem Knall einer Bombe von uns weglocken.
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