Hier sind wir ihnen begegnet, den Geisterbrüsten von Warschau. Im Norden der polnischen Hauptstadt drückt sich unser Reisebus in den Hinterhof eines farblosen Häuserblocks, an den Fenstersimsen knarzen Klimaanlagen, der Firmensitz von CD Projekt sieht von außen immer noch aus wie das uneheliche Kind einer Sowjetkaserne und eines Hongkonger Hafenpuffs. In wenigen Augenblicken werden wir hier erstmals The Witcher 3 anspielen.
Das Rollenspiel, das ein angeblicher Insider unlängst auf Reddit als »PR-Blase« zerriss. Das Rollenspiel, das mit prachtvollen Präsentationen und seiner angeblich riesigen Spielwelt auch uns befürchten ließ, dass sich die Entwickler gnadenlos übernehmen. Wahrscheinlich auch, weil wir noch das alte CD Projekt im Kopf haben, das CD Projekt, das einst von den Geisterbrüsten von Warschau heimgesucht wurde.
Als wir den farblosen Firmensitz vor acht Jahren besuchten, im Februar 2007, war The Witcher 3 noch ein fernes Funkeln im Auge von Michal Madej. Man habe zu viel Arbeit in die Spielwelt gesteckt, um nach nur einem Spiel schon wieder aufzuhören, sagte der Chefdesigner des ersten The Witcher, an dem CD Projekt damals arbeitete. Dann führte uns Madej durch Betongänge und unordentliche Entwicklerbüros, immer wieder machten wir an Schreibtischen halt und ließen uns einzelne Spielelemente vorführen. Quests, Gefechte, Schauplätze, vor allem aber: Dialoge.
Für weibliche Gesprächspartner hatte CD Projekt nämlich eigens eine »Brustphysik« entworfen, man wollte sicherstellen, dass im engen Mieder alles ordnungsgemäß wippte. Doch bei unserem Besuch entwickelten die großzügigen Oberweiten ein gespenstisches Eigenleben, wallten hoch und runter, hin und her. Ach, sagten die Entwickler, die Physik spinne wieder, das werde man noch hinkriegen.
An dieser Stelle darf man kurz über richtige und falsche Prioritäten sinnieren, der Rest ist jedenfalls Geschichte: Zum Verkaufsstart von The Witcher funktionierte zwar die Brustphysik, aber sonst kaum etwas; erst die kostenlose Enhanced Edition beförderte den PC-Titel später zum runden Rollenspiel.
Ungeschnitten und ab 18
The Witcher 3 kommt in Deutschland ungeschnitten in den Handel, wurde aber wie die Enhanced Edition des ersten The Witcher von der USK erst ab 18 Jahren freigegeben. Der direkte Vorgänger hatte noch das blaue 16er-Siegel. Wir gehen davon aus, dass die Erwachsenenfreigabe an den Finishing-Moves liegt, Geralt schlägt gerne mal Köpfe ab oder spaltet menschliche Widersacher auf Hüfthöhe oder von Schulter bis Bauchnabel. Ja, definitiv ein Rollenspiel für Erwachsene.
Damals Chaos, heute Chaos
Auch wenn CD Projekt immerhin vom größten polnischen Spielepublisher gegründet worden war, umwehte das Studio damals der Charme der grundsympathischen Chaostruppe: ehrgeizig, engagiert, spielerfreundlich, aber auch permanent überfordert. Seither hat sich jedoch einiges getan. Michal Madej arbeitet längst bei Ubisoft Shanghai, die Betonwände und unordentlichen Büros sind Glaswänden und unordentlichen Großraumbüros gewichen.
Während am ersten The Witcher zum Projektstart 2003 fünf einsame Designer schraubten, feilen am dritten insgesamt 260 Menschen, verteilt auf die Studios in Warschau und Krakau. Die Kantine im Erdgeschoss kocht frisch und gesund, der überbreite Empfangstresen kündet vom Selbstbewusstsein der Entwickler, die sich mit der Spiele-Downloadplattform Gog.com ein erfolgreiches zweites Standbein aufgebaut haben.
Alles ist aufgeräumter, geordneter, polierter, die Geisterbrustfetischisten sind zur Branchengröße gewachsen. Zugleich wollen sie anders sein als andere Spielehersteller, vor allem durch den Verzicht auf kostenpflichtige oder plattformexklusive DLCs sowie verschärfte Kopierschutz-Gängelei. Nicht umsonst lautet das Firmenmotto »Wir sind Rebellen«, und damit das ja niemand vergisst, steht es auf mindestens einem Schild pro Stockwerk. Einige Impressionen unseres Vor-Ort-Besuch gibt's hier:
Passend zum Rebellengeist schwelt hinter den Kulissen aber auch immer noch das Chaos, es riecht nach Endspurt, Stress. In einem Großraumbüro hat jemand einen Zettel an ein Flipchart geklebt, darauf das Wort »Crunch«, mehrfach unterstrichen. Wer Überstunden schiebt, kriegt in der Kantine ein Gratisessen. In Gesprächen mit Entwicklern schimmert durch, wie froh sie sind, dass The Witcher 3 von Februar auf Mai 2015 verschoben wurde. Das Spiel sei eigentlich fertig, heißt es, dennoch könne man die zusätzliche Zeit gut gebrauchen, um es weiter zu polieren.
Und wir sind erstmals zuversichtlich, dass sie das wirklich schaffen. Denn die Passagen, die wir von The Witcher 3 spielen können, wirken bereits sehr rund. Nur auf die Brustphysik (ja, die gibt's immer noch) haben wir diesmal nicht geachtet, denn das Rollenspiel lenkt uns zu sehr ab. Zum Beispiel mit - einem Sturm.
Savegame-Import
Während PC-Spieler einfach einen Spielstand aus The Witcher 2 importieren können, um ihre Story-Entscheidungen aus beiden (!) Vorgängern zu übernehmen, steht Konsolenspielern diese Option nicht offen. Wer auf PS4 und Xbox One zur Monsterjagd antritt oder keinen PC-Spielstand mehr besitzt, hat jedoch eine andere Möglichkeit.
Wenn Geralt am Ende des Prologs vor der Audienz mit dem Kaiser von Nilfgaard eine Rasur verpasst bekommt, kann er nämlich mit dem Barbier über seine früheren Abenteuer plaudern. Dabei darf man auch die entsprechenden Entscheidungen treffen, damit sie ins Spiel übernommen werden – eine elegante Lösung.
Eine Frage der Technik
Bevor wir zum Wetterbericht kommen, ein paar technische Details. Wir spielen The Witcher 3 auf allen drei Plattformen, dem PC, der PS4 sowie der Xbox One. Im Spielerechner stecken ein Intel Core i7-4790, das Motherboard ASRock Z97, 8,0 Gigabyte RAM, eine Geforce GTX 980 mit 4,0 Gigabyte Videospeicher sowie eine SSD-Platte. Ein Highend-System also, auf dem The Witcher 3 in der Grafikeinstellung »Hoch« durchgehend flüssig läuft.
Auf »Ultra« dürfen wir hingegen nicht schalten. Die Entwickler sagen, die höchste Stufe werde noch optimiert, solle dann aber auf demselben System problemlos laufen. Die maximalen Systemanforderungen wären also schon mal grob abgesteckt, aber mehr Leistung geht momentan eh kaum, abgesehen von Systemen mit SLI-Doppelgrafikkarte.
Dafür sieht The Witcher 3 auch auf »Hoch« exzellent aus und präsentiert sich auf dem PC - erwartungsgemäß - kantengeglätteter, farbstärker, schärfer texturiert und mit mehr Shader- und Glanzeffekten als auf den Konsolen. Gewachste Lederrüstungen etwa schimmern auf dem PC leicht, auf der PS4 und der Xbox hingegen nicht. Überdies »ploppen« Bodendetails wie Grasbüschel auf den Konsolen knapp fünf bis sieben Meter vor Geralt auf, während die Detailsichtweite auf dem PC locker das Doppelte beträgt.
Im Konsolenduell hat derweil die PlayStation 4 eindeutig die Grafiknase vorn. Zwar sind die Texturen etwas unschärfer als bei »hohen« PC-Details, das fällt im normalen TV-Abstand aber kaum auf. Zudem läuft das Hexerabenteuer auf der PS4 in 1080p - allerdings nur mit 30 Frames pro Sekunde, was uns aber nicht stört.
Auf der Xbox One begibt sich Geralt ebenfalls mit 30 fps auf Monsterjagd, aber nur in 900p, die Texturen sehen zudem minimal verwaschener aus als auf der PS4. Allerdings feilt CD Projekt nach eigener Aussage noch an der Xbox-Version, vielleicht können man sie noch auf 1080p hochschrauben, man wolle aber nichts versprechen. Stand jetzt ist das PS4-Bild das schärfere und farbstärkere.
Unterm Strich sieht The Witcher 3 jedoch auf allen drei Plattformen sehr gut aus, vor allem dank der grandiosen Lichtstimmung: Wenn Geralt auf seinem Pferd durch ein Weizenfeld galoppiert, während der Sonnenaufgang die umliegende Weidelandschaft in orangefarbenes Licht taucht, dann wirkt das dermaßen einladend, dass wir einfach in dieser Welt verweilen wollen. Egal, ob auf PC, PS4 oder Xbox One.
Wobei uns die Welt auf Englisch sogar noch einen Tick einladender vorkommt. Wir spielen nämlich sowohl die deutsche als auch die englische Version von The Witcher 3. Die deutsche Übersetzung macht einen guten Eindruck, Fehler bemerken wir keine. Auch die Vertonung ist solide, die Sprecher sind durchweg passend gewählt.
Trotzdem, trotzdem … wirkt die deutsche Sprachausgabe weniger charakteristisch. Wikingersohn Hjalmar etwa brummelt im Englischen mit rauer Kriegshammersaufboldstimme, im Deutschen hingegen könnte er auch gerade sein BWL-Studium abgeschlossen haben. Und Doug Cockle, der englische Geralt, ist mit seinem Reibeisentimbre sowieso unschlagbar, der deutsche Hexer klingt zu brav.
Eine echte Welt
Nun aber Schluss mit Technik und endlich rein ins Abenteuer! Wir erkunden den Prolog samt Tutorial sowie eine Insel des frostigen Skellige-Archipels. Unsere Rundreise bestätigt dabei den Eindruck, den schon die E3- und Gamescom-Präsentationen erweckten: Die Witcher-Welt sieht umwerfend echt aus. So, wie eine mittelalterliche Fantasy-Welt nun mal auszusehen hat. Etwa der Festsaal einer Wikingerburg, in dem fellbekleidete Nordmänner hocken, aus Trinkhörnern schlürfen, rülpsen, auf den Tisch hauen, mit Schweinshaxen fuchteln.
Auf den langen Tafeln türmen sich Braten, Schüsseln, Teller, Metkessel, auf einem Tisch tanzt eine leicht bekleidete, ähem, Alleinunterhalterin. Ein Barde zupft an seiner Laute, am einen Ende des Saals lodert ein mannshoher Kamin, am anderen feuern Zuschauer zwei Hitzköpfe an, die sich gegenseitig eine faustbasierte Nasenkorrektur verpassen - und die Geralt zum Kampf herausfordern kann, um Gold zu gewinnen.
Wobei uns Boxkämpfe viel zu leicht vorkommen, wir blocken einfach und hauen im richtigen Moment auf die Schlagtaste, das war's. Aber darum geht's ja gerade nicht, sondern um die Szenerie, so detailliert, so stimmig, so lebendig - wow! Und das ist ja nur ein Raum in einer Burg auf einer Insel der riesigen Spielwelt.
Gut, auf das wüste Gelage führt uns eine Hauptquest (dazu gleich mehr), mag sein, dass CD Projekt sich mit solch prominenten Schauplätzen mehr Mühe gegeben hat. Aber auch weniger wichtige Ecken punkten mit stimmungsvoller Kulisse, in einem Dörfchen etwa lehnt ein erschöpfter Großvater am Zaun, Kinder springen durch Pfützen, Frauen stecken lästernd die Köpfe zusammen.
Als wir auf der Suche nach einem Brandstifter in eine Bauernhütte stapfen, sitzt dessen Sippe gerade beim Mittagessen. Aber nicht ruhig und bedächtig, sondern rülpsend, schmatzend, schnaufend, so richtig mittelalterlich eben. Wir gehen und kommen nachts wieder, dann schnarchen die Bewohner in ihren Betten, der Tag-Nacht-Zyklus funktioniert also auch. Zumindest halbwegs, ein Bauer liegt einfach auf dem Boden herum - gut, The Witcher 3 ist ja noch nicht fertig.
Auch Diebstahl ist den Bewohnern der Witcher-Welt nach wie vor egal, wir räumen ungehindert Schränke und Truhen aus, während deren Besitzer seelenruhig daneben stehen. Nur wenn uns ein Stadtwächter oder ein Soldat beim Klauen erwischt, werden wir sofort angegriffen. Wenn wir zu Boden gehen, dürfen wir zwar weiterspielen, verlieren aber all unser Gold. Immerhin.
Besonders beeindruckt haben uns übrigens die Wettereffekte, allen voran der eingangs erwähnte Sturm. Weil das Wetter jederzeit wechseln kann, erleben wir und die benachbarten Journalisten auf den Skellige-Inseln ganz unterschiedliche Witterungsbedingungen: Bei uns schneit es, zwei Plätze weiter regnet es - und direkt nebenan tobt ein Orkan.
Und der sieht auch tatsächlich wie ein Orkan aus! Regen peitscht, Büsche flattern, Bäume biegen sich gefährlich, wir können die Sturmgewalt regelrecht spüren. Kein Vergleich zu Skyrim, dessen Botanik bei einem Blizzard nur dezent mitschunkelte, und selbst an der Sturmküste (!) von Dragon Age: Inquisition pustet im Vergleich dazu ein laues Lüftchen. The Witcher 3 wirkt einfach echt.
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