Geralt unter Zeitdruck
Nach dem Sieg über den Greifen wandern wir zurück zum Nilfgaard-Feldlager. Dort lässt der Hauptmann, der sich bei unserem ersten Treffen noch volksnah und mitfühlend gegeben hatte, gerade einen Bauern auspeitschen, der verdorbenes Getreide geliefert hat. Angewidert lehnen wir die Goldbelohnung für den erlegten Riesenvogel ab - von diesem Despoten nehmen wir nichts! Wir könnten die Klimpermünzen aber natürlich auch annehmen, das liegt ganz bei uns.
Wie in den Vorgängern muss Geralt auch in The Witcher 3 regelmäßig Entscheidungen treffen - neuerdings allerdings mit Zeitlimit. Das Spiel lässt uns nur zehn Sekunden lang grübeln, ob wir das Gold einsacken oder nicht. Das erzeugt nicht nur Spannung, sondern führt auch dazu, dass wir emotionaler, mehr aus dem Bauch heraus entscheiden. Wir nehmen das Gold nicht, weil wir diesen Mistkerl nicht mögen. Punkt. Keine Wahl haben wir indes, wenn es um die Suche nach Yennefer geht: Der Hauptmann verrät Geralt, wo sich die Zauberin aufhält.
Was dann passiert, lassen wir zwecks Spoilervermeidung unerwähnt. Kurz darauf planscht Geralt jedenfalls schon wieder in der Badewanne, diesmal jedoch nicht im Traum. Vielmehr wird er auf eine Audienz vorbereitet - beim Kaiser von Nilfgaard. Was genau der Blaublüter vom Hexer möchte, soll an dieser Stelle ebenfalls geheim bleiben. Sagen wir einfach, dass Geralt und der Kaiser alte Bekannte sind.
Achtung: Wer die Hexer-Romane noch nicht kennt, aber noch lesen möchte, sollte das erledigen, bevor er The Witcher 3 spielt! Sonst hat das Gespräch mit dem Kaiser nämlich gleich einen dicken Buchspoiler in petto.
Vor der Audienz sind wir zunächst überrascht, wie viel Zeit sich CD Projekt mit den Vorbereitungen lässt. Wo andere Spiele einfach direkt in den Thronsaal schalten würden, gibt's in The Witcher 3 erst mal ein gemütliches Bad, eine Plauderei mit dem hochnäsigen Hofdiener und sogar eine Rasur. Das zeigt nicht nur, dass sich die Entwickler Zeit nehmen für ruhigere Momente, sondern erfüllt auch einen erzählerischen Zweck.
Während nämlich PC-Spieler einfach einen Spielstand aus The Witcher 2 importieren können, um frühere Entscheidungen zu übernehmen, geht das auf den Konsolen nicht. PS4- und Xbox-Spieler sowie spielstandlose PC-Hexer dürfen während der Rasur mit dem Barbier über ihre einstigen Story-Entscheidungen plaudern, damit diese ins Spiel übernommen werden.
Eine deutlich elegantere Lösung als die Entscheidungs-Website von Dragon Age: Inquisition. Und zum Abschluss noch etwas Amüsantes: Der Hofdiener bringt Geralt ebenfalls bei, wie man sich vor dem Kaiser zu verbeugen hat. Bei der Audienz kann der Hexer dann - wiederum mit Zeitlimit - entscheiden, ob er niederkniet oder einfach stehenbleibt. Wir bleiben natürlich stehen und genießen danach die Beschwerden des Dieners. Ein schönes Detail.
Krach bei Crach
Gold nehmen oder nicht, verbeugen oder nicht - das sind ja nette Entscheidungen, aber doch nicht das Kaliber, das man von einem The Witcher erwartet, oder? Ein schon denkwürdigeres Beispiel für eine Story-Entscheidung erleben wir danach. Nach dem Gespräch mit dem Kaiser öffnet sich die Karte der Witcher-Welt, Geralt kann von Anfang an in alle Hauptgebiete reisen: in die Großstadt Novigrad, ins wilde Niemandsland südlich davon oder auf die eisigen Skellige-Inseln.
Sowie zurück nach Weißgarten, falls er dort noch offene Aufgaben hat. Das Gros der Welt ist damit schon direkt nach dem Prolog frei erkundbar, darüber hinaus soll's allerdings noch mehrere »kleinere Schauplätze« geben, die erst im Handlungsverlauf freigeschaltet werden. Wir tippen unter anderem auf die Hexerburg Caer Morhen, visieren nun aber erst mal das Niemandsland an.
Doch just als wir auf die Schnellreisetaste drücken wollen, tippt uns ein Entwickler auf die Schulter: Die restlichen Gebiete seien noch nicht poliert, man wolle sie nicht zeigen. Wir könnten aber noch eine Quest aus dem späteren Spielverlauf spielen, wenn wir wollen. Wollen wir!
Der Entwickler teleportiert uns auf die Skellige-Inseln, genauer gesagt in die Burg des (aus den Büchern bekannten) Wikingerkönigs Crach an Craite, der so langsam mal überlegen muss, wer seine Nachfolge übernehmen soll. Etwa sein hitzköpfiger Sohn Hjalmar, der sicher ein starker Herrscher wäre, aber auch verheerende Kriege vom Zaun brechen könnte, zum Beispiel gegen Nilfgaard?
Oder doch lieber Crachs geduldige Tochter Cerys, die erst mal nachdenkt, bevor sie handelt, als Frau aber ein Autoritätsproblem bei den rauen Nordmännern hat und Rebellionen befürchten müsste? Hm, knifflige Entscheidung. Und wer darf sie wohl treffen? Richtig: Geralt!
Wir steigen an einem Punkt in die Quest ein, an dem der Hexer Crach und seine Kinder bereits kennengelernt und bei diversen Problemchen unterstützt hat. Natürlich nicht aus Nettigkeit, sondern weil ihm die örtlichen Druiden die weitere Erkundung der Inseln verweigern - da könnte ein Machtwort des neuen Königs helfen. Als wir daraufhin mit Crach plaudern, gibt's plötzlich Krach: Im Festsaal nebenan gellen Schreie, drei Bärenmonster zertrümmern Tische und zerfleischen die Gäste.
Wo sind die Viecher hergekommen? Nach einem harten Kampf will Hjalmar sofort losstürmen, um die Schuldigen dingfest zu machen, während Cerys dazu rät, erst mal in Ruhe den Tatort zu untersuchen. Der geneigte Leser ahnt bereits: Derjenige, dem wir helfen, wird später gekrönt. Endlich eine Entscheidung mit Tragweite!
Schicksal eines Reiches? Egal!
Was der geneigte Leser vielleicht nicht ahnt: Wir können die Bärenmonster auch Bärenmonster sein lassen und einfach weggehen. Thronfolge? Pff, uns doch schnuppe! Jeder Lösungsweg soll sich auf den Verlauf der Story auswirken - wie genau, das verrät uns CD Projekt nicht, sondern macht nur Andeutungen. So soll's diesmal zwar keine komplett verzweigten Schauplätze geben wie im zweiten Kapitel von The Witcher 2, wo wir je nach unseren vorigen Entscheidungen an unterschiedliche Orte reisten.
Aber auch in The Witcher 3 sollen die Auswirkungen »spürbar« sein. Zugleich gibt es immer mehrere Möglichkeiten, ein Ziel zu erreichen. Ohne die Gunst des neuen Königs muss sich Geralt eben anderweitig mit den Druiden einigen. Wir helfen übrigens versuchsweise sowohl Cery als auch Hjalmar, um zu sehen, was sich ändert. Tatsächlich so einiges, jede Entscheidung mündet in einer komplett anderen Auftragskette.
Beispielsweise stehen neben den obligatorischen Hexersicht-Detektivpassagen auch eine Verfolgungsjagd zu Pferde und ein Besuch in einem Berserkerdorf auf dem Programm (Berserker sind Krieger, die sich in Tiere verwandeln können, hm). Wir könnten all das natürlich auch aufschieben und Skellige erst mal auf eigene Faust erkunden, Höhlen von Geistern säubern, Banditen niederkloppen, Fischerdörfchen erkunden und schneebedeckte Gipfel erklimmen.
Doch dafür reicht die Zeit nicht mehr, nach dreieinhalb Stunden endet unser erster Ausflug in The Witcher 3. Und lässt uns mit dem überwältigenden Gefühl zurück, bisher nur an der Oberfläche gekratzt zu haben und dringend weiterspielen zu müssen. Etwas Besseres kann man über einen Anspieltermin ja kaum sagen.
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