Gut ein Jahr nach Red Dead Redemption scheint Rockstar Games Lust auf Neues bekommen zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass L.A. Noire zwar wie das erwähnte Cowboy-Abenteuer und auch GTA IV eine offene Welt hat, diese aber keineswegs im Mittelpunkt des Spiels steht. Stattdessen gibt’s investigative Polizeiarbeit: Zeugen befragen, Tatorte untersuchen, Mörder und Brandstifter jagen und ins Kreuzverhör nehmen. Da das Spiel in den 1940ern spielt, verlasst ihr euch während eines Verhörs nicht auf Technik-Schnickschnack. Stattdessen lest ihr alle Informationen aus den Gesichtern eurer Klienten. Damit das klappt, haben die Entwickler eine neue Art des Motion-Capturing entwickelt, mit dem Gesichter äußerst realistisch dargestellt werden sollen. Weg von Dauer-Krachbumm, hin zur gut erzählten Story - klingt ein bisschen nach Heavy Rain? Durchaus. Da drängt sich die Frage auf, wie gut L.A. Noire die Balance zwischen Spiel und Film schafft und wie sehr uns der Thriller in seinen Bann zieht. Gut genug, um Law & Order und den Tatort sausen zu lassen?
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Der Tod kennt keine Wiederkehr
Das ist übel: eine misshandelte Frauenleiche liegt in einem Hinterhof mitten in Los Angeles. Nackt und mit Lippenstift beschmiert. Die Polizei ist schon da, als Detective Cole Phelps (dessen Gesicht dem Schauspieler Aaron Staton aus der Fernsehserie Mad Men nachempfunden wurde) und sein Partner Galloway am Tatort eintreffen. Nach seiner Ankunft am Tatort schwant Phelps böses: Die Hämatome am Hals der jungen Frau könnten durch ein Seil entstanden sein, die offenen Wunden am Kopf weisen auf stumpfe Gewalteinwirkung hin. »Kiss the Blood! BD« steht da in krakeligen Lettern mit Lippenstift auf ihrem Bauch geschrieben. »Schon wieder« denkt sich Phelps und stellt zumindest mental die Verbindung mit einem sehr ähnlichen Fall her, der ein paar Tage zuvor die Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat. Allerdings wurde das Verbrechen recht schnell geklärt, der Bösewicht verhaftet und vom zuständigen Richter hinter schwedische Gardinen gebracht. Zu unrecht? Oder handelt es sich bei Phelps neuen Fall um einen Trittbrettfahrer? Diese Fragen werdet ihr euch in L.A. Noire des Öfteren stellen. Wo die Experten von CSI: Den Tätern auf der Spur nun mit moderner Technik als erstes die DNA-Analyse auspacken würden, bleibt Phelps nichts anderes übrig, als nach für das menschliche Auge sichtbaren Hinweisen zu suchen - schließlich gibt es den neumodischen Schnickschnack in den 40ern noch gar nicht. Also schaut er sich in der Umgebung um: Ihr sucht mit Phelps mit der Verfolgerkamera den Tatort ab und drückt immer dann, wenn euch das Spiel (per Controller-Ruckeln und einem akustischen Signal) darauf hinweist die Aktionstaste. Auf diese Weise kramt ihr euch zwar durch jede Menge Müll, findet aber hin und wieder auch einen Gegenstand, der euch wirklich weiterbringt.
Wie in diesem Fall: Eine Blutspur, die zur Handtasche der Frau führt. Und damit zu den Personalien der Getöteten: »Antonia Maldonado« heißt die junge Dame. Neben dem Namen findet Phelps auch die Adresse des vermeintlichen Mordopfers. Ein erster Anlaufpunkt, den Phelps und Galloway auf der Suche nach dem Mörder abklappern und gleichzeitig der Beginn eines von insgesamt 21 Fällen, für die ihr teilweise einen ganz schön starken Magen braucht: Mord, Brandstiftung, Drogen, Vergewaltigung von Minderjährigen - L.A. Noire macht vor keinem Thema halt und konfrontiert euch mit der harten Wahrheit einer Stadt, die nach außen hin Reichtum und Glamour ausstrahlt, aber ganz im Sinne des Film Noir von Korruption und Gier zerfressen wird. Hier ist absolut nichts Gold was glänzt. Los Angeles ist verlogen, selbstverliebt und voller Abgründe. Und das obwohl sich die Stadt dank Hollywood in starkem Aufwind befindet. Eigentlich trägt die Traumfabrik sogar eine große Mitschuld an vielen Verbrechen: Unzählige verblendete und äußerst blauäugige Mädchen kommen mit dem Traum einer großen Schauspielerkarriere nach L.A. und enden als menschliche Wracks im Rinnstein. So hart die Fälle auch sein mögen: Die Tatsache, dass die meisten davon mindestens einen wahren Kern haben, macht sie noch ein Stück grausamer. Unser Beispiel mit der beschmierten Frauenleiche ist 1947 tatsächlich so passiert und wurde in den Medien von Los Angeles als der »Lippenstift-Mord« bekannt.
Die überzeichneten und sehr stark ausgeprägten Charaktere passen perfekt ins Film-Noir-Genre, genau wie die düstere Weltansicht, die das Spiel vermittelt. Bestes Beispiel für so einen »starken« Charakter ist Phelps Partner im Morddezernat, Rusty Galloway - »gespielt« von Michael McGrady (Evolution, The Thin Red Line). Der etwas korpulente Mann gehört zu den älteren im Department und hat dementsprechend viel Übles in der Stadt gesehen. Er selbst trinkt im Dienst und schickt Phelps vor, wenn es darum geht, Leichen zu untersuchen. Eine ausgeprägte Persönlichkeit, die auch die anderen Partner in den anderen Dezernaten zeigen: Roy Earle beispielsweise zögert nicht lange wenn ihm etwas stinkt und verpasst seinen Verdächtigten schon mal eine Faust. Phelps respektiert seine Partner und akzeptiert auch mal das grobe Einsteigen Earles. Zu Galloway hingegen hat Phelps beinahe ein freundschaftliches Verhältnis: Als er erfährt, dass Galloways richtiger (und verhasster) Name Finbar ist, nennt er ihn fortan neckisch bei seinem echten Vornamen.
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