Willkommene Abwechslung
Nicht jeder will den beiden an den Kragen. Kratos und Atreus treffen auf ihrer Reise auch auf viele äußerst freundliche Gestalten. Zum Beispiel die Hexe, die unter einer riesigen Schildkröte im Wald lebt, oder Brok und Sindri, zwei waffenschmiedende Zwergenbrüder, die sich so schlimm zerstritten haben, dass sie nicht in der gleichen Welt sein können. Brok ist eher der Zwerg fürs Grobe, während es seinen Bruder dank seiner Keimphobie schon ekelt, wenn er unsere blutverschmierte Axt nur anfassen muss.
Die unterschiedlichen Figuren und detailreichen Welten sind ein Grund, warum wir beim Durchspielen keine unnötigen Längen gespürt haben. Ein anderer ist, dass das Spiel immer wieder mit Neuerungen um die Ecke kommt, die das Spielerlebnis verändern. Und damit meinen wir nicht nur neue Pfeile für Atreus, mit denen er vorher verschlossene Areale öffnen kann. Nach der Hälfte der Story bekommen wir einen weiteren Begleiter, und im letzten Drittel wartet eine Überraschung, über die sich vor allem Serienfans sehr freuen werden.
Jedes Mal, wenn wir denken, alles gesehen zu haben, bekommen wir etwas neues serviert. Das setzt sich auch nach Abschluss der Kampagne fort. Mit dem Ende der Story werden weitere Gebiete und Quest-Reihen auf der Karte aufgedeckt, und die Zwerge haben ebenfalls noch die ein oder andere Aufgabe für uns. Wer Midgard nach dem Ende der Geschichte nicht verlassen möchte, muss das nicht tun, denn es finden sich locker noch einmal fünf bis zehn Stunden zusätzlicher Spielspaß.
Gefühle gegen Staub
God of War ist also ein sehr gutes Action-Rollenspiel. Aber ist es auch ein gutes God of War? Kratos ist schließlich nicht dafür bekannt, seine Emotionen auszudiskutieren, sondern alle Gefühle außer unbändiger Wut über Bord zu werfen und einem riesigen Gegner nach dem anderen den Kopf abzureißen. Keine Sorge, das macht er immer noch. So viel Zeit wir mit Dialogen und Story verbringen, so viel Zeit verbringen wir auch damit, uns durch Gegnerhorden und einzelne, riesenhafte Gegner zu schnetzeln.
Es gibt zwar keinen Chronos, dessen Fingernagel so groß war wie der gesamte Kratos, aber dafür treten wir gegen einen Drachen an, dessen Krallen ungefähr die gleiche Größe haben. Und im Kampf ist Kratos weiterhin stark, schnell und wütend. Sogar das Buttonmashing beim Heben von absurd schweren Gegenständen wie einem kompletten Tempel ist das gleiche. Kratos und seine Geschichte sind es allerdings nicht.
Sicher, wer nur schnetzeln und nicht reden möchte, kann ohne Probleme die Story ignorieren und sich auf die Feinde stürzen. Jede Welt hat ihre eigene Version von Bösewichten, die nach allen Regeln der Schlachtkunst in ihre Einzelteile zerlegt werden können. Wer jedoch die Geschichte links liegen lässt, verpasst so einiges.
Schließlich sind es Neuerungen wie die Charakterentwicklung, die Kratos und dem ganzen Spiel eine Dimension geben, die es vorher nicht hatte. Früher ist Kratos nur stärker geworden. Jetzt wächst allerdings nicht nur sein Bizeps, sondern auch sein Herz. Und auch wenn sich das furchtbar kitschig anhört: Nur ein Gefühl zu kennen, macht eine Figur auf Dauer schlichtweg langweilig.
Neue Dimensionen und alte Leidenschaft
So gewinnt Kratos eine weitere Dimension hinzu, die ihn interessanter und vor allem zeitgemäß werden lässt. Er ist nicht mehr nur grummeliger Schlächter, sondern auch Vater, ehemaliger Krieger, trauernder Ehemann und Fremder in einem fremden Land. Das heißt aber gleichzeitig nicht, dass Kratos jetzt einen Erzählkreis aufmacht oder selbst gewebte Freundschaftsbändchen verkauft. Er ist immer noch der Gott des Krieges, und wenn ihm einer blöd kommt, reißt er ihn in Stücke. Wenn überhaupt, hat die Liebe zu seinem Sohn ihn noch gefährlicher gemacht, weil er Atreus mit allem verteidigt, was er hat.
Das spiegelt sich auch im Gameplay wieder. Dem Kampfsystem hat die Generalüberholung gutgetan, das Schlitzen und Schnetzeln macht genauso viel Spaß wie früher. Die Rätsel profitieren von der neuen Spielperspektive und sind deutlich komplexer geworden, genau wie das Waffen- und Rüstungssystem. Kratos kann sich seine Rüstung jetzt selbst bauen, immer passend zum Spielstil. Und auch wenn die Rüstungen keinen so spürbaren Einfluss auf den Kampf haben, sind die Boosts oft das Zünglein an der Waage, das uns noch genau den einen Schlag durchführen lässt, um den Gegner zu erledigen.
Insgesamt können wir also festhalten, dass Sonys Santa Monica Studio der Drahtseilakt zwischen notwendigen Neuerungen und dem alten, beliebten "God of War-Gefühl" gelungen ist. Und das, obwohl zwei Meter große, spartanische Muskelpakete furchtbar schlechte Seiltänzer abgeben.
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