In seinen etwa sieben Spielstunden hat mich Get Even immer wieder auf die Folter gespannt, vor verzwickte Rätsel gestellt, mit verstörenden Szenen konfrontiert und mich schlussendlich zutiefst beeindruckt. Dieses Spiel ist der Inbegriff eines Geheimtipps, der sein Potential weder in Videos, auf Screenshots und schon gar nicht in Beschreibungstexten entfaltet, sondern wirklich nur als Spiel funktioniert. Und diese Eigenheit beginnt schon bei der Art und Weise, wie das polnische Entwicklerteam von The Farm 51 innerhalb des Spiels die Geschichte erzählt - mit verträumten Szenen wie in Life is Strange und Kamereinsätzen des Outlast-Journalisten, die sich zu einem bizarren Mix vereinen.
Mehr als nur ein Stealth-Shooter
Get Even würde viel von seiner Faszination verlieren, wenn ich allzu viel vom Plot verraten würde, daher nur ein grober Abriss der Rahmenhandlung: Die Entwickler von The Farm 51 lassen uns in die Haut von Cole Black schlüpfen, ein bereits etwas in die Jahre gekommener, knurriger Auftragskiller, der in einer Anstalt zu sich kommt. Er hat keine konkreten Erinnerung an die unmittelbaren Geschehnisse vor seiner Ohnmacht, sondern kann sich nur noch schwach an einige wenige Szenen erinnern: Eine junge Frau mit einer Bombe um den Hals, eine Explosion, brutale Schusswechsel mit maskierten Männern. Black muss nun herausfinden, was es mit diesen Erinnerungsfetzen auf sich hat und was mit ihm passiert ist.
Mindestens so interessant wie die Frage, worum es in Get Even geht, ist die Art und Weise, wie Get Even seine Geschichte erzählt. Die Hälfte des Spiels folgt den Genre-Konventionen eines modernen Stealth-Shooters.
Regelmäßíg müssen wir unbemerkt von Wachposten weitläufige Levelareale wie stillgelegten Freizeitparks durchqueren, um Notizzettel, Tonbandaufnahmen oder Gegenstände von sentimentalem Wert für Black aufzuspüren, die verloren geglaubte Erinnerungsfetzen als spielbare Missionen wieder freilegen. Bei dieser Spurensuche sind wir allerdings nicht nur auf unser Augenpaar angewiesen, sondern können auf die Apps unseres Smartphones zurückgreifen, das uns ab der ersten Spielminute zur Verfügung steht.
Mit deren Hilfe können wir im Dunkeln sehen, Wärmequellen aufspüren, interessante Missionsgegenstände markieren- oder einfach nur heranzoomen. Dieses nützliche Tool erinnert stark an die Kamera des Journalisten aus Outlast und lässt uns meist viel länger als eigentlich nötig in den Räumen nach Hinweisen suchen: Was auf den ersten Blick wie eine einfache Betonwand aussieht, könnte ja schließlich mit der richtigen App sein Geheimnis enthüllen!
Versperrt wird uns der Weg zu den Erinnerungsstücken dabei regelmäßig durch die Mitglieder einer Söldner-Gruppierung, die überaus aufmerksam durch die Level patrouillieren und das Feuer eröffnen, sobald sie uns zu Gesicht bekommen. Warum die Unbekannten so heiß darauf sind, Black in ihre Finger zu bekommen, verrät die Geschichte erst nach und nach.
Theoretisch haben wir immer die nötigen Waffen zur Verfügung (eine schallgedämpfte Pistole und ein Gewehr, das um die Ecke schießen kann), um mit diesen Gegnern fertig zu werden - aber interessanterweise scheint das absolut nicht im Sinn des Spiels zu sein. Erlegen wir nämlich zu viele Gegner, ermahnt uns eine Off-Stimme und weist uns darauf hin, dass mit jedem weiteren getöteten Gegner die Erinnerungsstücke, die im Level verteilt sind, nach und nach verschwinden oder "verunreinigt" werden. Und das kann durchaus Folgen für den Verlauf der Geschichte haben - denn die ist nicht so linear, wie es zunächst scheint.
Regelmäßig konfrontiert uns Get Even mit Situationen, in denen wir aus mindestens zwei Optionen wählen können. Während sich diese Entscheidungsfreiheit im späteren Spielverlauf vor allem um die Frage dreht, ob wir nun mit gezückten Waffen durch die Level rasen oder doch lieber schleichend möglichst viele Erinnerungsstücke bergen wollen, folgen die Momente in den früheren Spielstunden einem strengen Skript: Hier ist ein Knopf, drücke ihn, dann passiert diese Zwischensequenz. Oder drücke ihn nicht, dann öffnet sich stattdessen jene Tür. Nach den Erfahrungen im Test wird der Ausgang der Geschichte von diesen Entscheidungen nicht beeinflusst, doch der Weg bis zum Abspann kann sich durchaus teils drastisch unterscheiden.
Hin und wieder wusste ich in diesen Momenten zwar nicht so recht, zwischen was ich mich hier eigentlich entscheiden muss und wurde von den Konsequenzen meiner Wahl überrumpelt - das ist allerdings in diesem Fall kein schlechtes Spieldesign, sondern passt wie die Faust auf das verwirrt zugekniffene Auge des Protagonisten Cole Black.
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