Schrecken ohne Ende
Cole Black ist zu keiner Zeit absolut sicher, was um ihn herum passiert. Ob nun zu Spielbeginn, wenn er durch einen schlecht beleuchteten Bunker wankt und nicht die leiseste Ahnung hat, wie er hierhergekommen ist. Oder wenn er in seinen Erinnerungen wühlt und Szenen nacherlebt, die ihm vollkommen fremd erscheinen. In diesen Momenten lernen wir die andere Seite von Get Even kennen, die das Gegengewicht zu den Shooter-Sequenzen bildet: Fast schon meditative Spaziergänge durch das Hinterstüblein von Cole, auf denen wir vorgeschriebenen Wegen folgen und uns dabei von einer Szene zur nächsten bewegen, die als Standbilder bereits auf ihre "Aktivierung" warten. Diese Welten betreten wir durch Fotografien, die eine Szene aus unserer Erinnerung festhalten - eine Idee, die wir aus Life is Strange kennen und die wir hier in einem gänzlich anderen, aber dennoch passenden Kontext wiedersehen.
Spielmechanisch eher unterfordernd erfahren wir aber in diesen Momenten am meisten über die Hintergründe der Geschichte und wie wir eigentlich in diese vertrackte Situation gekommen sind, ohne funktionierendes Langzeitgedächtnis durch halboffene Areale zu schleichen - oder warum wir immer wieder in die gleiche Nervenanstalt zurückkehren.
Richtig gehört: Ein wiederkehrender Schauplatz ist eine ominöse, schlauchlevel-artige Nervenanstalt, durch die Black im Spielverlauf an der kurzen Leine getrieben wird und die uns in "Safe Rooms" nicht nur verschnaufen lässt, sondern auch entweder in die nächste Shooter-Mission oder in eine Erinnerungssequenz schickt - je nachdem, was das Spiel gerade für uns vorsieht. Doch dieser Ort ist dabei noch weitaus mehr als nur ein Sprungbrett in die diversen Missionen des Spiels. Einen nicht unbeträchtlichen Teil der Spielzeit schleichen wir uns hier von Raum zu Raum und bekommen weitere Indizien zu fassen, mit denen wir die Hintergrundgeschichte des Spiels zusammenbasteln. Und werden dabei mit einer Gruppe Menschen konfrontiert, die ich zum meinen einzigen großen Kritikpunkt an Get Even erklären muss: Die Patienten.
"Psychopathen" sind ein Gegner-Typus, der in Horrorspielen sehr gerne eingesetzt wird: Sie sind entmenschlicht genug, um ohne größere Gewissensbisse auf sie schießen zu können, sie sind unberechenbar und damit immer wieder eine Herausforderung - und sie brauchen keine große Motivation oder Erklärung, um sich wie Tiere auf unseren Helden stürzen zu können. All diese Beschreibungen sind höchst problematisch, weil sie eine echtes Krankheitsbild karikieren und mit jahrzehntealten Vorurteilen füttern. Das war schon in Outlast doof und wird auch in Get Even nicht besser - zumal wir hier auch noch die Hintergrundgeschichten jedes Insassen kennenlernen.
Zu Spielbeginn laufen wir nämlich an den Zellen der Noch-Gefangenen vorbei und können jede einzelne Krankenakte studieren. Die jeweilige mentale Erkrankung wie Depressionen, bipolare Störungen oder Angstzustände werden dabei als einschneidender Trenner in der Biographie der Personen gesehen, die sich damit von "normalen Menschen" zu "krankhaften, aggressiven Gegnern" entwickeln. Und natürlich - um das Klischee abzurunden - gründet irgendjemand von ihnen auch noch einen satanischen Kult.
Diese Beobachtung hinterlässt rückblickend einen bitteren Beigeschmack und passt in seiner Plumpheit kaum zu dem so intelligenten, wendungsreichen Rest des Spiels, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
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