Schwierige Entscheidung
Viel direkter, aber genauso auf die Gefühlsebene zielend (wenn auch mit komplett anderen Mitteln), geht ein Jahr später Heavy Rain die Sache mit den Emotionen an. Auch hier ist die Bedienung auf ein Minimum reduziert; direkt gesteuert wird fast ausschließlich durch Quick-Time-Events, denn der Fokus liegt auf der Erzählung.
Wir erleben in den Rollen von gleich vier Charakteren die Geschichte um einen grausamen Killer -- allen voran ein Vater, dessen Sohn entführt wurde. Als ob die Story um einen Kindermörder nicht schon mitreißend genug wäre, gehen die Macher von Heavy Rain noch einen Schritt weiter: Sie werfen uns mitten in diesen Konflikt und lassen ihn uns in der Folge nicht einfach durch Waffengewalt lösen, das wäre zu einfach. Vielmehr werden wir erpresst und vor moralisch fragwürdige Prüfungen gestellt, um das entführte Kind wieder zu bekommen.
Beinahe wie in der Realität können wir uns aber in jeder Situation für unzählige Handlungsmöglichkeiten entscheiden, die nahezu alle bedeutend für den Verlauf erscheinen. So sollen wir zum Beispiel eine Strecke auf der Autobahn als Geisterfahrer rasen, um dem vermissten Jungen ein Stück näher zu kommen. Doch bevor wir bereitwillig zusagen, schweben in unserem Kopf eine Menge Fragen: Ist ein Hinweis auf unseren Sohn es wert, das Leben so vieler Fremder zu riskieren? Oder gar unser eigenes? Denn sollte ein spielbarer Charakter sterben, starten wir die Geschichte nicht einfach vom letzten Checkpoint neu, sondern müssen das Spiel ohne ihn zu Ende bringen.
Und wer rettet das Kind, falls wir die Geisterfahrt nicht überleben oder falls wir dafür ins Gefängnis kommen? Da alles was wir tun Konsequenzen nach sich zieht, will jede Entscheidung mehr als gut überlegt sein. Beinahe jeder Moment spielt mit unserem Gewissen, und deswegen werden die Gefühle der Hauptdarsteller zu unseren eigenen. Heavy Rain zieht uns also immer tiefer in einen konfliktbehafteten Strudel der Emotionen, weil wir ständig vor eine einfache und vor allem nachvollziehbare Frage gestellt werden: Wie weit würden wir gehen, um unsere Liebsten zu retten?
Abschließende Worte
Videospiele sind im Vergleich zu Film oder Musik ein noch sehr junges Medium, die Entwicklung verläuft aber äußerst rasant. Von Pong bis Heavy Rain sind gerade mal 40 Jahre vergangen. 40 Jahre, die von einem rückblickend äußerst simplen Geschicklichkeitsspiel zu einem cineastisch inszenierten, emotionalen Drama geführt haben, das uns zum Weinen bringen kann.
Viele Spiele haben heutzutage den Anspruch, den Medien Musik und Film in emotionaler Hinsicht auf Augenhöhe zu begegnen. Entwickler haben erkannt, dass eine mitreißende Geschichte, sympathische und lebensechte Charaktere und unsere emotionale Bindungen zu ihnen entscheidende Qualitätsmerkmale darstellen können.
Mit der heutigen Technik mag es den Entwicklern zwar deutlich leichter fallen Emotionen darzustellen, dafür laufen die Spielemacher aber auch Gefahr, sich zu sehr auf den technischen Aspekt, die reine Präsentation der Gefühle zu konzentrieren. Die beste Animationstechnik und die schönste Grafik erzählt eben noch lange keine gute Geschichte. 1995 gab es kein Motion-Capturing, keine butterweich animierten Gesichter, keine Sprachausgabe und auch keine Soundeffekte in 7.1 Surround-Sound.
Die Entwickler waren dazu gezwungen, Emotionen über die Handlung und Dialoge zu transportieren. Und es ist ihnen gelungen. Hätten die Schöpfer von Chrono Trigger und Co das technische Know-how eines Battlefield 3oder Call of Dutysgehabt, was für wundervolle Titel hätten die Spieleschmieden der 80er damals wohl produzieren können?
Es ist wichtig, dass wir bei all der Effekthascherei das wesentliche, eine emotionale Handlung nicht aus den Augen verlieren. Denn wie sagte schon Goethe: »Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.«
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