Fazit: Dragon Age: Inquisition im Test - Größe ist nicht alles

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Fazit der Redaktion

Michael Graf: Bevor ich zu Inquisition komme, muss ich eines einfach loswerden: Die 87 Punkte für Dragon Age 2 sind für mich eine der abwegigsten Wertungen, die GameStar und GamePro jemals vergeben haben. Ich fand das Spiel zwar längst nicht so abgrundtief schlecht, wie es gerne gemacht wird, aber die vereinfachte Spielmechanik, die flachen Kawumm-Kämpfe, das verbrecherische Dungeon-Recycling und die Haupthandlung, die erst im letzten Spieldrittel wirklich zum Tragen kommt - all das war dem grandiosen Dragon Age: Origins nicht würdig. Dragon Age 2 war ein Spiel, dem man schmerzhaft deutlich anmerkte, wie wenig Zeit und Liebe Bioware seinerzeit investieren wollte. Oder durfte.

Das ist bei Inquisition anders, hier steckt spürbar Zeit und Liebe drin, vor allem in der Spielwelt. Verglichen mit Dragon Age 2 ist es zweifellos das bessere Spiel. Trotzdem bekommt es keine bessere Wertung, wie kann das sein? Weil wir der Meinung sind, dass wir einmal gemachte Fehler nicht ewig mit uns herumschleppen dürfen. Weil wir der Meinung sind, dass ein überbewerteter Vorgänger nicht auf alle Zeiten als Ausrede dafür herhalten darf, dass wir seine Nachfolger besser bewerten. Das einzige, was eine gute Bewertung rechtfertigen darf, sind spielerische Qualitäten.

Und Inquisition hat fraglos seine Qualitäten, allen voran seine schiere Größe, seine Abenteuerflut. In einer Zeit, in der man froh sein muss, nicht jede Quest einzeln als DLC verkauft zu bekommen, macht ein solcher Koloss umso dankbarer. Alleine deshalb lohnt es sich schon, Inquisition zu kaufen. Zudem gibt es - abgesehen von den Menüs - nichts, das ich geradeheraus als »schlecht« bezeichnen würde. Die Story unterhält, die Quests motivieren, die Dialoge sind ordentlich, die Charaktere und Geschichten ausgefeilter als in den meisten anderen Spielen. Und die Drachen sind einfach grandios! Ja, Inquisition ist ein rundum sehr gutes Spiel. Punkt.

Aber eben kein so herausragendes wie Origins, der Serien-Großvater hatte noch bessere Geschichten, noch denkwürdigere Momente, noch einprägsamere Charaktere, er hatte echte Taktikkämpfe und ein Charaktersystem, wie es sich für ein klassisches Rollenspiel verdammt noch mal gehört. Klar, Inquisition hat auch neue Stärken - aber das sind nicht die Stärken eines Dragon Age. Ich mag es trotzdem, sehr sogar, und ich werde es nach dem Test gerne weiterspielen, um dieser fantastischen Welt auch noch ihre letzte Geschichte, ihre letzte Belohnung, ihren letzten Drachen zu entreißen. Und ich werde keine Sekunde davon bereuen.

André Peschke: Dragon Age: Inquisition ist ein gutes Spiel. Erheblich besser als Dragon Age 2, keine Frage. Aber es steht für mich tief im Schatten von Origins. Bioware scheint zu glauben, dass es die politischen Ränkespiele Marke Game of Thrones waren, die mich damals fasziniert haben. Das ist falsch. Es war die harte, dreckige Fantasywelt und ihre vielen kleinen Geschichten mit harten Entscheidungen von echtem emotionalem Wert.

Zwischen Hunderten von Sammelquests und Hochglanz-Browserspielen ist davon nur in Ausnahmefällen etwas zu spüren. Dieses Dragon Age wirkt glattpoliert und berechnend. Man spürt förmlich, wie Bioware versucht Ubisoft und Bethesda zu imitieren, um Dragon Age auf Skyrim- oder Assassin's-Creed-Verkaufszahlen zu heben. Dazu passt auch das Kampfsystem, dass mehr denn je versucht, Action und Taktik zu verheiraten und dabei keiner Spielweise voll gerecht wird.

Mit großen Augen die absolut fantastische Spielwelt zu erforschen, dem grandiosen Soundtrack zu lauschen und meine Weggefährten kennenzulernen, entschädigt für vieles. Aber im Zweifel hätte ich lieber Last-Gen-Optik in Kauf genommen, wenn ich dafür von den Geschichten im Spiel wieder so gefesselt sein könnte wie damals.

Benjamin Danneberg: Für mich ist Inquisition ein zweischneidiges Schwert. Einerseits habe ich endgültig festgestellt, dass es jene Entwicklerschmiede, die ich beinahe religiös für Baldur's Gate und Dragon Age: Origins verehrt habe, nicht mehr gibt. Bioware schafft es nicht mehr, emotional aufwühlende, epische Geschichten zu schreiben. Die Geschichte von Inquisition ist okay, aber mehr nicht. Die Begleiter sind über die gesamte Zeit blass und austauschbar. Ich habe mich oft gefragt: Was wäre, wenn einer von ihnen jetzt endgültig den Löffel abgibt? Die Antwort war für mich als Rollenspieler entsetzlich.

In Baldur's Gate oder Origins war das noch ganz anders, dort war ich emotional derart verwachsen mit meinen Begleitern, dass ihr Leid mein ganz real nachempfundenes Leid wurde. In Inquisition sind sie mir zwar nicht völlig egal, aber Bioware schafft es nicht mehr, eine emotionale Verbindung aufzubauen. Dazu kommen grobe Schnitzer wie das vollkommen belanglose Hack&Slay-Actionkampfsystem, das die schlecht umgesetzte Taktikansicht völlig überflüssig macht.

Die andere Klinge des Schwerts, das ist das neue Bioware. Eines, das die momentan wohl großartigste Inszenierung, die krassesten Locations, die geilsten Gebiete in den Zockerring wirft, die ich je gesehen habe. Wahnsinns-Landschaften mit Wahnsinns-Wettereffekten. Brachiale Kämpfe gegen fantastisch gemachte Drachen. Höhlen und Verliese, wie man sie noch nie in solchem Detail, solcher Schärfe gesehen hat.

Die Welt des neuen Dragon Age ist ein Augenschmaus und stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Sie ist so gut, dass sie die vorhin genannten Mängel beinahe vergessen macht - und das hat mich selbst am meisten überrascht. Ärgerten mich gerade noch der domestizierte Held und seine in Watte gepackten Dialoge, gehen mir im nächsten Moment beim Blick über lebendige Täler, riesige Wüsten oder Gebirgsketten die Augen über.

Bioware hat sein Produkt stromlinienförmig und nach Marktaspekten gebaut. Keine Skandale (nein, verdammt nochmal, Homosexualität ist kein Skandal!), nirgends ecken wir an, nirgends sind wir schockiert, nirgends öffnet sich eine Diskussion über Moral - dass Emotionslevel bleibt immer schön gemäßigt. Dragon: Age Inquisition ist wie Fluch der Karibik: wunderschönes, bombastisches Popcornkino mit fettem Zuckerguss, aber ohne jegliche Tiefe. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge gehe ich wieder spielen. Denn: Das alte Bioware ist tot! Lang lebe das neue Bioware!

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