Dem geschriebenen Wort wohnt eine beinahe magische Wirkung inne: Gute Geschichten können gelesene Zeilen vor dem geistigen Auge zum Leben erwecken, den Verstand verwirren oder durch Emotionen körperliche Veränderungen hervorrufen. Vermutlich jeder ist schon einmal in Gedanken durch eine Geschichte gewandert - und dennoch wird keine diese Reisen so wörtlich erfolgt sein wie jene, auf die wir uns in Device 6 begeben.
Verwirrt? Dann hat die Einleitung ihr Ziel erreicht. Device 6 lebt von seiner Geschichte, die allgegenwärtig jedes Element des Spiels durchzieht - und wir versuchen uns an der Gratwanderung, von einem Spiel zu erzählen, von dem nicht erzählt werden darf, ohne seine in Worte gefasste Magie zu zerstreuen.
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Anna im Wunderland
Nach einem Intro, das trotz mangelnder Schauspieler an den Vorspann eines Krimis oder älteren Bond-Filmes erinnert, finden wir uns in der Rolle der Anna im Spiel wieder. Was wir mit der Protagonistin gemein haben ist die komplette Orientierungslosigkeit. Bereitwillig folgen wir also der Anweisung, in eine bestimmte Richtung zu wischen und stutzen erst mal: Ein Radio schaltet sich ein. Das ist weniger verwunderlich als jene in kursiven Lettern stehende Frage des Erstaunens: »Radio?«. Mit den nachfolgenden Schritten, die wir nun weiter in die bisher eingeschlagene Richtung gehen, bauen sich Wände von Text vor uns auf: Beschreibungen dessen, was Anna tut, während sich dann und wann ihre Gedanken kursiv ins Bild schmiegen.
Device 6 liest sich auf den ersten Blick wie die chaotische Neuinterpretation eines Buches in der digitalen Welt. Wenngleich die meisten Zeilen statisch sind, so werden doch Beschreibungen und Gedanken der Situation entsprechend auf den Seiten verteilt: Gedanken, die in die Ferne schweifen, ziehen sich über die Seiten, eine schwindelerregende Wendeltreppe macht uns als Leser durch sich ebenfalls spiralförmig windende Worte ebenfalls benommen. So mancher Bücherfreund mag sich an den Horrorroman House of Leaves des Schriftstellers Mark Danielewski erinnert fühlen, der ähnlich mit den Wortplatzierungen spielt.
Drei Bären für Alfa Bravo Charlie
Die Rätsel hingegen betten sich als Bilder zwischen die Wörter und stellen vielmehr Fenster in Annas Wirklichkeit dar. Der Clou: Abhängig von unserer Position auf dem Pfad der Lettern ändert sich auch so mancher Blickwinkel. So können andere Elemente eines nur unvollständig einsehbaren Raumes durch vorsichtiges Vor- und Zurücktasten erschlossen oder Geheimbotschaften entziffert werden. Oder die Bilder sprechen: Im Falle von drei ausgestopften Bären mit Faible für militärische Geheimhaltung fühlen wir uns in eine bizarre Neuinterpretation des Märchens Goldlöckchens als Stillleben versetzt.
Knifflig ist dabei vornehmlich, das Rätsel zu finden: Wenngleich oft Lösungen in Form von Zahlenkolonnen, Drehbewegungen eines Safes oder Symbolen auf einem Schachbrettmuster gesucht werden, so ist die Frage nach dem Woher nicht nur eine genauere Erkundung der Umwelt Annas, sondern ein erneutes Leben und Lesen bereits wahrgenommen geglaubter Passagen. Als belanglos eingestufte Anmerkungen formieren sich so mit den richtigen Fragen zu Wegweisern zur Lösung und erlauben so auch weniger geübten Spielern, die an sich fordernden Rätsel zu lösen - ohne einen Stift und Schreibmaterial sollte man jedoch nicht losziehen.
Analog-Digital-Krimi
Jedes gelöste Rätsel, jeder Schritt in ein neues Kapitel zieht uns tiefer in die mysteriöse Geschichte hinein, die mehr zu enthalten scheint als die profane Erzählung einer gestrandeten Person ohne Erinnerung. An vielen Stellen des virtuellen Buches überraschen uns Bezeichnungen unter Knöpfen oder Codefragmente in Bildern, die hochgradig deplatziert wirken - und dann wären da noch Konzeptzeichnungen elektronischer Geräte mit Entwickleranmerkungen, die scheinbar keine Verbindung zum Buch haben.
So fühlen wir uns merkwürdig fremd, wie wir nach und nach in eine Erzählung stolpern, die durch bizarre Elemente gekonnt unsere Wahrnehmung hinterfragt und hinters Licht führt - und dennoch sind es gerade diese Momente fragwürdigen Wahnsinns, die Device 6 rückblickend so denkwürdig machen. Beispiel gefällig? Nach jedem Kapitel dürfen wir einen digitalen Evaluationsbogen ausfüllen, der augenscheinlich Kenntnisstand und Erwartungen überprüfen möchte. Was diese bezwecken, erschließt sich erst im Rückblick eines würdigen Finales, das unter anderem durch einen grandiosen Rätselsong einer menschlichen Jukebox brilliert.
Britischer Überwachungsapparat
Nur leider kommt das Rätsellied, wie auch alles andere Gehörte oder Geschriebene, ohne deutsche Übersetzung aus, sodass solide Englischkenntnisse die Voraussetzung sind, um Spaß an Device 6 zu haben: Jedes Wort kann Fragmente einer Lösung beinhalten - und bei all den kratzigen Sprechanlagen und Radiolautsprechern ist auch so Konzentration gefordert, um nicht wieder und wieder eine Wiederholung anfordern zu müssen.
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