Chernobylite tritt in die Fußstapfen der bislang PC-exklusiven Stalker-Reihe und bedient sich munter bei diversen Genres. Die Mixtur aus Mystery, Horror, Action und Crafting begeistert seit einigen Monaten auf dem PC, im Early Access auf Steam sogar schon deutlich länger. Vielleicht hätte man auch für die Konsolen am stufenweisen Veröffentlichungskonzept festhalten sollen, denn fertig wirkt die Verkaufsversion nicht. Auf der PlayStation kämpfen wir mit massig schwerwiegenden Problemen, für die wir sogar eine Kaufwarnung aussprechen müssen.
Zwischen Realismus und Astralebene
Begleitet von zwei Söldnern infiltriert unser Held Igor das Kernkraftwerk von Tschernobyl, um nach seiner Frau Tatyana zu suchen. Sie war zur Zeit des Reaktorunglücks dort angestellt und gilt seither als verschollen, Igor ist sich aber sicher, dass sie sich noch immer im AKW aufhält. Seine Schlussfolgerung beruht jedoch eher auf gespenstischen Träumen, statt auf handfesten Beweisen.
Da Igor selbst als Wissenschaftler dort tätig war, kennt er sich bestens im Komplex aus, nach nur wenigen Minuten stehen wir am Ausgangspunkt des Unglücks. Aus den Überresten des zerborstenen Reaktor 4 ragt eine kristalline Struktur, aus der sich Igor ein Stück des titelgebenden Materials Chernobylite herausbricht.
Was genau er damit vor hat, bleibt unklar, Tatyana finden wir jedenfalls nicht. Stattdessen werden wir von einem schwarz maskierten Stalker – so werden Söldner genannt, die die Sperrzone bereisen – gewaltsam unterbrochen. Igor schiebt das Bruchstück in ein handliches Gerät, das eine Schneise in das Raum-Zeit-Kontinuum reißt und uns die Flucht ermöglicht.
Wieder in der Realität angekommen besetzen wir ein altes Lagerhaus, das von nun an als Basis herhalten muss und sich ausbauen lässt. Chernobylite folgt einem dreigeteilten Tagesablauf: Nach einer kurzen Planungsphase am Morgen ziehen wir los, sammeln Ressourcen, die wir am Abend in Basis-Upgrades investieren, und erfüllen Aufträge, die wir von unseren Kameraden erhalten.
Ziemlich schräge Gestalten: Schon recht früh treffen wir auf illustre Persönlichkeiten wie den drogensüchtigen Choleriker Mikhail oder den abergläubischen Schamanen Tarakan. Genau wie Igor werden sie von einer tiefsitzenden Sehnsucht getrieben – sei es Liebe, familiäre Zuneigung oder Rache. Im Gespräch geben sie viel über sich Preis und präsentieren eine vielschichtige Bandbreite an Interessen und Gefühlen. Auch auf Igors Unsicherheiten bezüglich des Verbleibs seiner Frau reagieren sie stets glaubwürdig, seine Absichten werden fortwährend infrage gestellt.
Neuer Tag, neue Aufgaben
Mit jedem neuen Tag erhalten wir von unseren Verbündeten eine Aufgabe, die die Geschichte von Chernobylite vorantreibt. Wir stehlen Uniformen, retten Informanten oder bringen eine Raketenbatterie in Stellung. Es gilt jedoch zu bedenken, dass wir auch mit unseren Ressourcen haushalten müssen. Geht uns die Nahrung aus, schlägt sich das negativ auf den Kampfgeist und die körperliche Verfassung der Truppe nieder.
Damit niemand hungern muss, können wir gezielt nach Vorräten suchen, die Geschichte wird erstmal nach hinten geschoben. Aber keine Sorge: Ihr werdet nichts verpassen, die Aufträge verfügen über kein Zeitlimit.
Personalmanagement inklusive: Eure Mitstreiter*innen drehen während eurer Abwesenheit nicht einfach nur Däumchen, sie lassen sich einem Gebiet zuweisen, das sie automatisch abgrasen. Am Ende des Tages wird dann abgerechnet. In der Spielwelt trefft ihr sie aber nicht mehr an, ihr seid grundsätzlich allein in der Zone unterwegs.
In einem der fünf recht kleinen Areale angekommen, könnt ihr frei umherwandern und entweder direkt zur Missionsmarkierung rennen oder euch noch ein wenig umschauen. Auf einer Übersichtskarte sind interessante Punkte markiert, dahinter verbergen sich zumeist Händler, Sammelstücke oder kleinere Nebenquests. Unter anderem retteten wir zu Beginn des Spiels einen verzweifelten Stalker vor seiner Hinrichtung, erst viel später wird diese Tat noch einmal relevant.
Lächerlich dumme KI
Das Gameplay von Chernobylite erinnert sehr stark an die Metro-Reihe. In den Levelabschnitten patrouillieren Truppenverbände der paramilitärischen Rüstungsfirma NAR, sobald wir erspäht werden, wird das Feuer eröffnet. Wir können uns aber auch durch die dichte Vegetation an Gegner heranschleichen und sie leise ausschalten oder gänzlich umgehen. Zusätzlich durchstreifen groteske Kreaturen die Zone, sie können ausschließlich mit Waffengewalt aus dem Weg geräumt werden.
Furchtbare KI: Unsere Feinde sind lächerlich doof. Sie laufen grundsätzlich nur drei Punkte ab und reagieren sehr langsam. Auch der Black Stalker wird dadurch zur Lachnummer, seine KI ist bereits überfordert, wenn wir uns in einen Türrahmen stellen. Kommt es zum Gefecht, klebt der Ziellaser der Gegner aber regelrecht an unserer Stirn. Schießereien sind im Vergleich sehr knackig und unberechenbar, Stealth hingegen kinderleicht.
Survival für Survival-Faule: Unterwegs stolpern wir über scheinbar wertlose Schrottteile. Aus ihnen können wir nützliche Ausrüstung herstellen. Wir basteln an Waffen herum, erweitern unsere Basis, konstruieren Medi-Kits und beeinflussen Umweltfaktoren innerhalb der Sperrzone. So lässt sich etwa die Ausweitung radioaktiver Gebiete mindern. Ein Scanner hebt die Komponenten in der Umgebung hervor, lange suchen müssen wir daher nicht.
Stumpfer Wiederholungshorror
Aufgrund der non-linearen Struktur passiert es häufiger, dass wir mehrfach hintereinander in dasselbe Gebiet reisen. Gegner spawnen an exakt denselben Stellen, Ressourcen ebenso, nur leider in vergleichsweise geringer Stückzahl. Spaß macht ein erneutes Durchqueren daher nicht.
Auch der Horror-Anteil leidet unter ständiger Wiederholung: Eigentlich bietet Chernobylite punktuell hervorragend gesetzte, handwerklich großartig orchestrierte Schockmomente. Besonders Igors Halluzinationen erwischten uns einige Male kalt. Wenn allerdings zum x-ten Mal eine Puppe mit glühenden Augen vor uns auftaucht, lässt sich ein Gähnen kaum verkneifen.
Entscheidungen und Konsequenzen
Entschließen wir uns für die Mission eines Teammitglieds, werden wir häufig mit beinharten Entscheidungen konfrontiert, die das Vertrauen euch gegenüber maßgeblich beeinflussen. Schicken wir ein kleines Kind allein in ein Dorf einheimischer Stalker oder überlassen es der Obhut der NAR? Schießen wir einen Helikopter ab, ohne zu wissen, wer eigentlich darin sitz?
Das Setting in Chernobylite ist eine permanente Ausnahmesituation, die Denkweise eurer Kameraden daher vorrangig militärisch geprägt. Dementsprechend schwierig fällt eine moralische Einordnung. Entscheiden wir uns für eine kriegerische Vorgehensweise, kann es passieren, dass Unbeteiligte ihr Leben lassen. Handeln wir kontinuierlich gegen die Überzeugungen unseres Teams, verschlechtern sich unsere Aussichten auf Erfolg in der finalen Mission.
Das übergeordnete Ziel von Chernobylite ist eine weitere Infiltration des Kernkraftwerks. Je nachdem, welchen Pfad wir einschlagen, kann es an Ausrüstung, Personal oder Informationen mangeln. Fehlen uns zum Beispiel Thermitladungen, lösen wir beim Durchqueren einer Stahltür den Alarm aus. Um diese zu erhalten, müssen wir jedoch bei einem der Crew-Mitglieder so gut gestellt sein, dass wir alle theoretisch verfügbaren Aufträge von ihm erhalten.
Unwiderruflich vermasseln können wir den Abschluss aber nicht: Stirbt Igor im Laufe der Story, gelangen wir auf eine Astralebene, die uns die Vergangenheit manipulieren lässt. Dadurch können wir bisher unentdeckte Verbündete rekrutieren oder mehr Puzzlestücke sammeln, die bei der Entschlüsselung der Spielwelt helfen sind.
Herrlich konfus: Aufzudecken gibt es echt viel. Die Herkunft des Chernobylite ist ebenso nebulös wie die Identität des schwarzen Stalkers und die Absichten der NAR. Abgerundet wird das erzählerische Wirrwarr durch Igors Halluzinationen, die seine Rolle in der Geschichte schwer greifbar machen.
Framerate-Test: DURCHGEFALLEN!
Sowohl auf der PS4 als auch auf der PS5 müssen wir mit wackeligen 30 fps zurechtkommen. Es ruckelt unentwegt, vermehrt aber beim Einsatz von Schusswaffen. Besonders auf der Last-Gen-Konsole lässt sich deshalb kaum kontrollieren, was auf dem Bildschirm passiert.
Hinzu kommt die visuelle Überforderung aufgrund der aggressiven Anwendung von Motion Blur und einer temporalen, also auf Informationen vorheriger Frames basierenden Kantenglättung. Diese sorgt für auffällige Ghosting-Artefakte.
Auf der PS5 profitiert ihr lediglich von der stabileren Framerate und einer vollen Full-HD-Auflösung, die Ladezeiten des Spiels ziehen sich auch dort – analog zur PS4 – sehr in die Länge. Plattformspezifische Features wie die adaptiven Trigger oder 3D-Audio werden außerdem nicht genutzt.
Der technische Super-GAU
Eine explizite Kaufwarnung müssen wir aufgrund mehrerer, technisch schwerwiegender Fehler aussprechen. Spielstände wurden uns mehrfach als beschädigt gemeldet, den Entwickler*innen ist das Problem bekannt. Zwar wurde uns eine Besserung im Day-One-Patch versprochen, jedoch tauchten weiterhin Fehlermeldungen bezüglich korrupter Speicherstände nach dem Update auf. Häufige Backups auf einem USB-Stick oder der Cloud (schaltet unbedingt Auto-Upload aus, ansonsten ladet ihr die kaputten Spielstände hoch!) können euren Fortschritt aber retten.
Zu einem gelöschten Spielstand führen auch Abstürze beim Verlassen der Astralebene. Haben wir uns für eine Manipulation bisheriger Entscheidungen entschlossen, stürzte das Spiel sowohl auf der PS4 als auch der PS5 regelmäßig ab, der Spielfortschritt war in der Folge ebenfalls verschwunden.
Auch abseits der Speicherproblematik stießen wir auf nervige Bugs: Einige effektgeladene Zwischensequenzen sorgten auf der PS4 für dröhnende Sound-Fehler, außerdem kämpften wir regelmäßig gegen, nun ja, nichts. Kreaturen blieben nach ihrem Auftauchen einfach unsichtbar.
Was ist mit der Xbox-Version?
Unsere Testerfahrungen berufen sich ausschließlich auf die PlayStation-Fassung. Die visuelle Qualität ist auf der Xbox auf einem ähnlichen Niveau, die technischen Probleme scheinen auf Microsofts Konsolen aber nicht so gravierend zu sein. Tearing tritt nur in geringem Umfang auf, das wackelige Frame-Pacing sorgt jedoch auch dort für kurze Ruckler. Wir konnten bisher keine Hinweise darauf entdecken, dass Xbox-Käufer von der Speicherproblematik betroffen sind.
Pläne für die Zukunft
Auf die Entwickler*innen von The Farm 51 wartet noch viel Arbeit, etliche Bugs müssen beseitigt werden. Darüber hinaus wurden aber auch schon die weiteren Pläne für Chernobylite veröffentlicht: Neben einem Next-Gen-Upgrade werden kostenlose DLCs in Aussicht gestellt, diese beinhalten neue Waffen, Areale und sogar Story-Abschnitte. Hoffentlich auch auf der Konsole und nicht nur auf dem PC.
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