Verhunzte Gegenwartsgeschichte
Das gilt allerdings ganz und gar nicht für die Gegenwartsgeschichte. Obwohl Ubisoft versprochen hat, dass die modernen Abschnitte ab Syndicate wieder wichtiger werden sollen, lassen sich diese im Prinzip auf eine Handvoll Zwischensequenzen herunterbrechen. Was dort passiert, ist selbst für Serienkenner uninteressant. Im Fokus stehen jetzt (wahrscheinlich mangels Alternative) Desmonds Ex-Sidekicks Rebecca und Shaun.
Und das ist eigentlich auch schon das Bemerkenswerteste. Ubisoft muss sich spätestens jetzt die Frage gefallen lassen, warum sie die Gegenwarts-Sequenzen überhaupt noch einbauen, wenn sie derart irrelevant sind wie in Syndicate. Zum Glück gibt's in London so viel zu tun, dass man die Gegenwart ohnehin meist komplett vergisst. Um die Weltstadt zu befreien, erben Evie und Jacob das komplette Fähigkeitenarsenal früherer Assassinen.
Wie Arno aus Unity turnen die beiden mühelos über die hohen Dächer, schwingen sich an Holzbalken voran und erklettern die höchsten Türme. In puncto Präzision lassen sie den französischen Bruder im Geiste aber arg alt aussehen. Während des ersten Durchspielens von Syndicate habe ich vielleicht an zwei oder drei Stellen über das Parkour-Handling geflucht. Anders als in Unity, wo ich mich in fast jeder Mission über das fummelige Klettern und Springen aufregen konnte.
Zwar gibt's noch immer die Unterscheidung zwischen Hochlaufen und Runterhüpfen, Ubisoft entfernt aber die Möglichkeit eines freien Sprungs. Wenn Evie und Jacob an eine Kante rennen, machen sie automatisch halt, bis ich »Runter« drücke. Das wirkt im ersten Moment wie eine Einschränkung, weil man nicht mehr blind in die Tiefe hüpfen kann - es sorgt aber für eine viel höhere Präzision, wenn man's einmal verinnerlicht hat.
Darüber hinaus gibt es noch einige kleinere Verbesserungen wie eine Extra-Taste fürs Einsteigen in Häuser sowie ein intelligenteres Überwinden von kleinen Hindernissen. Alles in allem war das Freerunning in keinem Assassin's Creed so gut wie in Syndicate. Allerdings braucht man es auch viel seltener als früher.
Mehr Batman ist immer gut
Das London der 1860er-Jahre ist voll in der Moderne angekommen. Das stellt Hobby-Hüpfer vor eine Herausforderung: Die Straßen sind in der Regel breit genug für zweispurigen Kutschenverkehr, die Dächer sind häufig spitz und nur mit viel Aufwand zu passieren. Wo man im Renaissance-Italien hoch oben noch deutlich flinker unterwegs war als in den verzweigten Gassen, muss man sich in Syndicate schon anstrengen, einer Kutsche hinterherzukommen, während man zwischen Schornsteinen rumkraxelt.
Zum Glück sind die Assassinen ja nicht auf den Kopf gefallen. Deshalb haben sie sich zwei Strategien überlegt, wie sie in London möglichst schnell vorankommen. Die erste ist simpel: Kutschen klauen. Wie in GTA kann man per Tastendruck einen Wagen entführen und sich hinters Pferdesteuer schwingen. Das ist gerade für weite Strecken die schnellste Methode und geht flüssig von der Hand.
Selbst komplizierte Manöver wie das Kämpfen auf dem Wagendach oder das »Entern« feindlicher Fahrzeuge während voller Fahrt klappen problemlos. Klar, die Kollisionsabfrage der Pferde ist irgendwie klobig, das Umfahren von Bäumen und Laternenpfählen unrealistisch und auch das rudimentäre Schadensmodell wirkt irgendwie nicht so, wie man es sich bei den klapprigen Gestellen vorstellt.
Aber Syndicate gelingt die richtige Dosierung. Anders als beim Batmobil von Arkham Knight sind die Kutschen kein absolut dominanter Bestandteil der Spielerfahrung. Ich greife immer mal wieder darauf zurück, einige Nebenmissionen wie die Rennen drehen sich komplett um sie, aber ich bin selten so sehr auf die vier Räder angewiesen, dass die Macken spürbar ins Gewicht fallen. Im Schnitt verbringt man in Assassin's Creed Syndicate etwa 20 Prozent der Zeit mit Kutschen, wieder 20 mit Klettern und weitere 20 mit Laufen. Die restlichen 40 gehören der coolsten Bewegungsneuerung des Spiels: dem Batman-Greifhaken.
Parkour war gestern
Denn wie der dunkle Ritter von Gotham City können auch Jacob und Evie ihre handliche Hakenkanone an nahezu jeder Kante befestigen und so gewaltige Strecken in Windeseile überqueren. Mich hat völlig überrascht, wie gut dieses Gadget den Spielfluss bereichert. Denn der Haken ist weit mehr als ein nettes Gimmick, er ersetzt die mühseligeren Passagen des bisherigen Parkour-Gameplays, geht aber gleichzeitig mit dem Free Running Hand in Hand, um sich nicht wie ein vereinfachter Ersatz anzufühlen.
Ich presche beispielsweise mit der Kutsche in ein von Templern kontrolliertes Gebiet, seile mich ruckzuck auf den nächsten Aussichtspunkt, sondiere die Umgebung. Und statt von dort wie früher einfach in einen Heuhaufen zu springen, erspähe ich mir ein Dach, von dem aus ich den Templergeneral optimal erreichen kann.
Ein Schuss mit dem Greifhaken, Jacob gleitet in die Tiefe. Mitten im Templerareal verlasse ich mich dann auf meine Parkour-Fähigkeiten und überwinde mühelos die Dächer, um alle feindlichen Scharfschützen lautlos zu erledigen, von denen es zum Glück viel weniger gibt als in Unity.
Die verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten harmonisieren großartig miteinander, ohne dass eine Mechanik vom Spiel zu sehr in den Vordergrund geschoben wird. Mir bleibt meist die Wahl, nach den eigenen Vorlieben zu handeln. Dieser Freeflow setzt neue Maßstäbe für die Serie, sobald man sich damit abgefunden hat, dass Parkour nicht mehr alleiniger König ist.
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