GTA 5 trifft Splinter Cell
Und dabei ist Hacken nur eine Möglichkeit von vielen: Es ist zwar keine gute Idee mit gezogener Waffe ein Sperrgebiet zu stürmen, aber auch nicht unmöglich, wenn schnell verhindern wollen, dass Verstärkung gerufen wird. Oder wir schleichen mit Marcus einfach von Gegner zu Gegner, lenken sie ab und schalten sie dann lautlos nacheinander aus. Oder spielen geschickt die einzelnen Fraktionen gegeneinander aus - hetzen also Gangster auf Gangster oder alarmieren heimlich die Polizei und sehen gemütlich zu, wie die Beamten unsere Arbeit erledigen.
Diese Freiheit hebt Watch Dogs 2 angenehm von anderen Open-World-Titeln ab, wir können es wie GTA 5 oder wie Splinter Cell spielen, trotz eigenem Fähigkeitenbaum für Schusswaffen wird das Schleichen aber klar bevorzugt, Hackernaturen haben es einfach leichter. Zumal die Schussmechanik auch mit vielen investierten Fertigkeitspunkten im Vergleich zu Mafia 3 oder GTA 5 sehr fummelig und ohne wirkliches Trefferfeedback bleibt.
Wer also mit der Hacking-Mechanik überhaupt nichts anfangen kann und keinen Spaß an Stealth und den rätselartigen Hacking-Passagen hat, für den ist auch Ubisofts Open-World-Fortsetzung nichts. Denn trotz der GTA-ähnlichen Open-World-Anmutung bleibt der Titel ein eher ruhiges Spiel, in dem man besonnen vorgehen sollte.
Viel zu cool
Gerade in diesem Rahmen lockt Watch Dogs 2 aber mit unglaublich vielen Möglichkeiten und der Freiheit viel auszuprobieren. Das sorgt für Spannung und Abwechslung bei den Sandbox-Missionen. Oft kostet es schon einiges an Köpfchen, überhaupt erst in die Gebiete vorzudringen oder eben den schnellsten und geschicktesten Weg zu erspähen. Die KI der Wachmänner ist zwar nicht die Hellste - beispielsweise hört sie manchmal einfach auf uns zu verfolgen, nur weil wir einen Schritt aus dem Sperrgebiet getan haben und sieht unbeeindruckt zu, wenn wir dort einen Kollegen meucheln - wird aber immerhin schnell aufmerksam und macht auch mit unseren Drohnengehilfen kurzen Prozess.
Im Gegensatz zur Story hält uns diese Herausforderung tatsächlich bei der Stange. Die Geschichte selbst ist leider nämlich tatsächlich eher Stangenware. Okay, diesen schlechten Wortwitz nehmen wir lieber wieder zurück. Allerdings gehören leider auch solche verbalen Eskapaden zu unserem coolen Outlawclub. Wenn etwas mal nicht klappt, ist das nicht nur eine ausgemachte Cyberstrophe, auch sonst lieben die Figuren hippen Slang und coole Sprüche. Wir dissen, ragen und chillaxen uns eben so durch den Hackeralltag.
Dedsec ist genau so, wie man sich einen Trupp jugendlicher Rebellen vorstellt, wenn die eigene Jugend schon ein Weilchen zurückliegt - nämlich mit Unmengen an Klischees überladen. Es gibt den autistischen Außenseiter, der aber natürlich ein virtuelles Genie ist, die lässige Punkerlady und den coolen Mechaniker, der sogar eine Maske mit gängigen Smileycodes trägt. Bis zum Ende bleiben diese Charaktere so eindimensional, wie wir sie kennenlernen. Da nützt es auch nichts, dass wir immer wieder Übertragungen finden, die uns nahelegen, dass der maskierte Wrench schüchtern Frauen gegenüber ist oder die bunt geschminkte Sitara heimlich gegen ihre reiche Familie rebelliert.
Wir haben eine Bande Rotzlöffeln vor uns, die sich immer wieder mit Gangstern und Autoritäten in die Haare kriegen - vordergründig, um die Daten der Leute zu schützen. Aber in den Gesprächen geht es trotzdem immer nur um Follower, Credit und coole Aktionen, was es schwer zu glauben macht, dass es wirklich um mehr als Selbstdarstellung geht. Das untergräbt nicht nur die eigentliche Prämisse der Geschichte, sondern fällt auch immer wieder negativ auf, wenn es doch mal interessant wird - vor allem Gegenspieler Blume hat als Hacker und gerissener Firmenboss nämlich durchaus Potenzial, ebenso wie die gerissene Lenni, die sich mit ihrer Hackergruppe gegen Dedsec stellt. Beide Charaktere werden aber in so vielen pseudocoolen und erzwungen lustigen Dialogen verbraten, dass es uns schwerfällt, sie ernst zu nehmen.
Schöne neue Welt
Dabei ist das gleichzeitig das größte Problem der Rahmenhandlung: Sie nimmt sich selbst zu ernst. Und das funktioniert nicht, wenn die Charaktere eigentlich auf eine kunterbunte Komödie ausgelegt sind. Statt einer selbstironischen Satire wie bei Saints Row 4 oder Sunset Overdrive bekommen wir hier so nur ordentlich Fremdschäm-Potenzial präsentiert. Dabei verfeinert Watch Dogs 2 eigentlich die Spielmechanik des Vorgängers und könnte so auch die alten Fans wieder abholen - die Story vollzieht allerdings eine 180-Grad-Wendung. Man hat das Gefühl, Ubisoft will sich mit aller Kraft von Trauerkloß Aiden distanzieren und endlich sympathische Charaktere etablieren, schießt dabei aber hoffnungslos übers Ziel hinaus. Wenn überhaupt, dürfte die Fortsetzung auf diese Weise eine deutlich jüngere Zielgruppe als noch das letzte Watch Dogs ansprechen.
Schade, dabei hat die Geschichte durchaus auch für ältere Spieler interessante Aspekte. Auch wenn Sie nichts auf ihre gewöhnungsbedürftigen Protagonisten kommen lässt, nimmt sie nämlich sonst alles aufs Korn, was wir aus Film und Fernsehen so kennen. Große Firmen wie Google, Youtube und Facebook werden unter falschen Namen veralbert und hier schafft es Watch Dogs tatsächlich glaubhaft, auch auf die Gefahren des Datenmissbrauchs und der Überwachung hinzuweisen - indem es einen tatsächlichen Bezug zu unserer Welt herstellt. Geschichten wie die »Spionage-Barbie«, die tatsächlich für Aufruhr sorgte, sind ebenso drin wie real existierende Personen wie der Zodiac-Killer oder Filmikonen wie das Alien.
Wir freuen uns beim Spielen immer wieder über die kleinen Anekdoten und Referenzen, die die Umgebung interessant und lebendig machen, werden aber auch daran erinnert, wie nah die Hackerwelt bereits der unsrigen ist. Das ist auch nötig, damit uns das Spiel wirklich in den Bann ziehen kann. Auch wenn San Francisco wirklich hübsch aussieht, haben wir kaum Lust, die Stadt auf eigene Faust abseits der Missionen zu erkunden.
Während GTA 5 uns mit vielen interessanten Orten lockt, die ihre ganz eigene Geschichten haben, wirkt San Francisco seltsam gleichförmig und steril - lediglich geskriptete Ereignisse wie ein kleiner Ehekrach oder spielende Hunde wecken unsere Neugier, richtig etwas erzählen will uns die Stadt aber nicht. Mit Ausnahme vom Silicon Valley, das mit seinen großen Medienkonzernen und den vorbeigehenden Smartphone-Zombies ebenso spannend wie schauderhaft eine mögliche gläserne Zukunft einfängt. Die Gespräche und Infokästen über den Passanten sind dafür wie im ersten Teil zwar eine nette Idee, haben aber keinerlei spielerische Aussagekraft abseits des allumfassenden Überwachungscharakters. Generell bleibt die KI teilnahmslos, wenn wir sie nicht direkt ins Geschehen involvieren, indem wir zum Beispiel mit gezogener Knarre herumlaufen.
Sightseeing mit Ruckelfaktor
Die KI ist aber nur ein Problem. Auch sonst läuft technisch nicht alles rund: Immer wieder stören deutlich sichtbar nachladende Texturen und Schatten. Und wenn wir mit dem Auto unterwegs sind, gibt es auf der PS4 regelmäßig ruckelnde Framerate-Einbrüche. Auch das seltsame Gelee-Wasser lädt mitunter nicht gerade zum Baden ein und in Zwischensequenzen betätigt sich unsere Hacker-Crew auch gerne mal als Bauchredner - dank nerviger Unterschiede bei Bild und Ton. Aller Kritik zum Trotz ist Watch Dogs 2 aber trotzdem ein schönes Spiel - vor allem im Vergleich zum doch eher tristen Chicago machen die bunten Straßenzüge mit ihren alten Häusern oder die Golden Gate Bridge über dem in der Sonne glitzernden Wasser durchaus etwas her. Wenn wir dann mit dem Segelboot übers Meer schippern oder mit dem Auto den Highway entlang düsen, während im Radio der gewünschte Musikmix läuft, können wir wunderbar in die Spielwelt eintauchen.
Zumindest, wenn wir die Kontrolle über unser Fahrzeug behalten. Die Steuerung sollte wohl wie im Vorgänger möglichst einfach gehalten werden, das führt aber auch dazu, dass wir keinerlei Trefferfeedback oder Widerstand spüren. Alle Vehikel steuern sich ein bisschen so, als würden wir über eine glatte Oberfläche rutschen, was vor allem in den Rennen zur Geduldsprobe wird. Das Fahren macht trotzdem Spaß, wenn man sich einmal eingewöhnt hat, funktioniert aber eben deutlich weniger intuitiv als in der Open-World-Konkurrenz.
Die GTA-Online-Alternative?
Sonst steht Watch Dogs 2 der Konkurrenz aber in Nichts nach: Besonders der direkt ins Spiel integrierte »nahtlose Multiplayer« bringt frischen Wind ins Geschehen. Der Modus wurde seit Teil 1 noch überarbeitet und ist im Gegensatz zu GTA Online permanent aktiviert, wenn wir das Feature nicht explizit abschalten. Somit können wir jederzeit diverse Multiplayer- oder Koop-Aktivitäten starten. Besonders spannend wird es, wenn ein anderer Hacker uns ähnlich wie in Dark Souls infiltriert - den müssen wir dann möglichst schnell finden, was zu einem interessanten Versteckspiel werden kann. Wirklich Angst haben, etwas zu verlieren, müssen wir aber nicht.
Dafür kann es aber jederzeit passieren und uns damit auch wichtige Aufträge versauen. Wer nicht gehackt werden möchte, schaltet die Hacker-Invasions also lieber über die Online-Einstellungen im Startmenü ab oder wird eben selbst zum Eindringling. Wer es weniger subtil mag, kann außerdem an den Kopfgeldjäger-PvP-Missionen teilnehmen. Hier wird eine Belohnung auf einen Spieler ausgesetzt, der besonders negativ auffällt - schaltet man ihn ähnlich wie in GTA Online gemeinsam mit anderen Spielern aus, wird man deshalb mit einem netten Preisgeld belohnt. Die schnellen Fahrzeugjagden spielen sich aufgrund der fummeligen Steuerung allerdings ziemlich chaotisch, auch wenn sie gemeinsam mit anderen Spielern trotzdem eine ordentliche Gaudi sind.
Richtig Laune machen auch die richtigen Koop-Missionen, so genannte Operationen für zwei Spieler, zu denen wir auch unsere Freunde einladen können. Mit denen erkunden wir dann gemeinsam die Spielwelt und erfüllen Aufträge, die zu hart für eine Person wären. Zwar sind die Partneraufträge auch solo spielbar, wir haben uns aber schon am ersten die Zähne ausgebissen. Wir müssen ein vom FBI gesichertes Gebäude betreten und dort Daten klauen - beginnen wir mit dem Download, werden aber alle Agenten aufmerksam und zücken die Waffen. Wenn nicht ein Spieler verteidigt und einer die Daten sichert, haben wir also so gut wie keine Chance. Im Vergleich zur Rockstar-Variante bekommen wir hier zwar wenig Inhalt geboten, der vorhandene macht aber durchaus Spaß und ist eine gute Alternative für alle, die nicht extra einen Online-Charakter anlegen und sich mit sperrigem Matchmaking auseinandersetzen wollen - ideal für ein paar kurze Missionen zusammen mit den Kumpels.
Sieht man über die deutlichen Story-Schwächen und nervigen Charaktere hinweg, erhält man so ein launiges Open-World-Abenteuer, das viele erfrischende neue Ansätze wagt - keinen GTA-Klon oder Produkt der Ubisoft-Formel, sondern eben ein Hackerparadies mit Hindernissen.
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