Gut gemischtes Heldenquartett
Kopf dieser Truppe ist unser Held – die abgestoßene Hülle einer Gottheit, runtergeplumpst auf die Erde im Jahr 1000002017, also eine Milliarde Jahre in der Zukunft, ungefähr morgens um halb zehn. Als Ex-Gott überleben wir den Sturz und treffen gleich die ersten beiden potenziellen Begleiter. Doch dummerweise vertragen sich Nano-Dame Callistege und Nano-Herr Aligern überhaupt nicht, wir müssen uns entscheiden, wen wir an unserer Seite wollen.
Spätestens jetzt trennen sich schon die Spielwege unserer vier GameStar-Tester, die fortan sehr unterschiedliche Wege durch die »Neunte Welt« gehen, Quests unterschiedlich knacken, eine andere Party zusammenstellen. Bis auf eine Person, die wir alle vier später mitnehmen werden – entgegen aller Vernunft ...
Doch bis wir diese Person treffen, werden mindestens ein, zwei, drei Stunden vergehen. Stunden, in denen wir langsam in die Welt eintauchen. Mit Betonung auf langsam, denn getreu dem Vorbild Planescape: Torment ist hier vieles fremdartig, und gleichzeitig gibt's jede Menge zu entdecken. Schon die ersten Bildschirm-Abschnitte wimmeln nur so von potenziellen Questgebern.
Doch Tides of Numenera ist spröde, was Hilfestellungen angeht – Auf Button-Druck können wir zwar einblenden, wer alles mit uns plaudern will, wo wir etwas anschauen, plündern oder irgendwie benutzen können. Aber wir müssen eben lesen, lesen, lesen, es gibt keine Hinweispfeile zum nächsten Ansprechpartner, Minimap-Markierungen, ja nicht mal eine Minimap. Und das ist verdammt gut so, denn so können wir uns auf das konzentrieren, was die Leute uns erzählen, wie das Spiel uns Orte, Personen und Ereignisse beschreibt.
Etwa als wir eine Art übergroße Uhr reparieren, die uns die dramatische Geschichte der Stadt Sargus miterleben lässt. Nicht als Spielgrafik-Zwischensequenzen, sondern als Text, ohne Geschwafel, aber auf den Punkt, sodass genug Platz für unsere eigene Phantasie bleibt. Mit wenigen Worten viel sagen, das haben die Autoren richtig gut hinbekommen, dafür ein dickes Lob.
Auch die deutsche Übersetzung passt bis auf wenige Ausnahmen, allerdings gab's in unserer Testversion immer wieder Flüchtigkeitsfehler wie fehlende Buchstben (haha!) oder doppelte Wörter Wörter. Etwas Sprachausgabe gibt's auch, allerdings auf Englisch und auf Einzeiler beschränkt, dagegen wirken selbst Rambo und der Terminator wie Quasselstrippen.
Nebenquest schlägt Hauptstory
Die interessanten Charaktere, Geschichten und Aufgaben, auf die wir im Spielverlauf an jeder Ecke stoßen, lassen die Hauptstory fast schon blass aussehen. Wir wissen ja von Anfang an, wer wir sind, und die Hauptgeschichte dreht sich zunächst lediglich darum, eine Resonanzkammer zu reparieren, mit der wir »dem Kummer« entkommen können – einer Kreatur, die uns in einer anderen Dimension bedroht und schon viele unserer Gotteshüllen-Vorgänger auf dem Gewissen hat. Klingt alles reichlich verworren? Willkommen im Club, ging uns anfangs genauso.
Auch viele der NPCs und Nebenquests sind völlig abstrus. Da will ein Mann seine wunderschöne große Liebe wiederfinden – aber je mehr wir nachforschen, desto bizarrer wird die Geschichte: Die Dame ist in Wahrheit nicht nur auf der Flucht vor ihrem obsessiven »Geliebten«, sie ist eigentlich schon seit Jahrhunderten tot.
»Kennengelernt« haben sie sich, als er Hals über Kopf ihrer Leiche verfiel und sie in seinem Wahn auferstehen ließ. Sollen wir sie ihm zurückbringen, oder den Kerl belügen, ihn sogar mit einer ewigen Trance bestrafen? Unsere Entscheidung.
Entscheidungsfreiheit in Spielen:Fauler Kompromiss oder Geschenk?
Anderes Beispiel: Unter der Stadt leben sogenannte Sticha, ein Volk überdimensionierter Maulwürfe, in ihrer Höhle. Weil immer wieder Häuser vom Klippenrand stürzen, beschuldigt ein mächtiger Bürger die Sticha und hetzt die Bürger auf. Wir können das Problem lösen, indem wir eine neue Heimat für die Buddler finden. Oder aber wir marschieren in ihre Höhle, klauen ihre Eier aus den Nestern und erpressen sie damit, zu verschwinden. Oder sollen wir sie doch bekämpfen?
Wir können das Problem aber auch ignorieren – müssen uns dann aber für eine andere Quest durch die Höhle schleichen. Zum Glück gibt's da unten musikalische Statuen, die wir anklicken, um die Sticha vorübergehend zu verlangsamen.
Das Schwert ist langweiliger als die Feder
Tides of Numenera setzt Story, Geschichten und die abwechslungsreiche Spielwelt klar in den Vordergrund. Kämpfe sind im Vergleich mit anderen Rollenspielen deutlich seltener, und selbst davon können wir die meisten vermeiden, indem wir uns rausquatschen.
Denn in brenzligen Dialogen gibt's oft Optionen wie Täuschen oder Einschüchtern, Lügen oder Überzeugen. Wenn wir den entsprechenden Skillwurf schaffen, lassen sich selbst haarige Situationen kampflos lösen. Solche Skillwürfe gibt's auch oft bei anderen Gelegenheiten, etwa beim Analysieren und Reparieren einer Maschine.
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Clevere Spieler stellen ihre Party entsprechend zusammen, sodass für jede Lage der ideale Mitstreiter parat steht. Unsere Begleiter kommentieren gelegentlich unsere Entscheidungen. Allerdings wirken sich unsere Taten nicht so stark auf unsere Kumpane aus wie etwa in Tyranny, wo wir mit Furcht oder Loyalität mächtige Gruppenskills freischalten konnten.
Selbst wenn es doch mal zum Kampf kommt, konzentriert sich Torment aufs Rollenspiel. Jeder der rundenbasierten Kämpfe ist individuell designt und bietet mehr Möglichkeiten, als nur Feinden auf die Omme zu hauen.
Wir können die Umgebung manipulieren, uns per Schleich-Skill wieder aus dem Staub machen und auch während der Gefechte noch mit vielen Kontrahenten reden, um vielleicht doch noch eine friedliche Lösung zu finden.
Wer in Rollenspielen vor allem Wert auf taktisch fordernde Gefechte legt, ist deshalb bei einem Divinity: Original Sin mit seinen vielen ineinandergreifenden Kampfskillkombos und Physikeffekten deutlich besser aufgehoben.
Denn Torments Kampfmechaniken fallen im Vergleich deutlich simpler aus. Wir können mit unseren Helden entweder erst laufen und dann eine Aktion ausführen (Skill oder Angriff), oder erst Aktion und dann laufen, oder zweimal laufen.
Zudem dauert es gut fünfzehn Spielstunden oder gar länger, bis unsere Helden mal mehr als zwei oder drei Kampffähigkeiten lernen – ganz zu schweigen von spannenderen als »Magieblitz« und »Magieblitz mit Flächenschaden«. So spulen wir lange Zeit in den Gefechten immer die gleichen Taktiken ab – kein Vergleich zu den endlosen Elementarkombos eines Original Sin!
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