Man verhandelt nicht mit Geschwüren
Mit der ausblutenden Leiche des Werwolfs hinter sich, entdeckt Geralt eine überflutete Höhle, durch die er hinab in eine Katakombe unter dem Waldboden gelangt. Dort trifft er auf ein besonders widerliches Geschöpf, eine Anhäufung von verwachsenen, verknoteten Pusteln und dornigen Blasen, das hinter den Wurzeln eines riesigen Baumes empor gewachsen zu sein scheint. Dieser Baumgeist ist das letzte Puzzlestück für den Witcher, der Endpunkt einer Questreihe, die ihn zu dem Mädchen mit den aschfarbenen Haaren führen soll.
Um sie zu finden, ist er einen zwielichtigen Deal mit drei mächtigen Hexen eingegangen. Für sie soll er den Dorfältesten einer nahen Siedlung dazu zwingen, alte Schulden zu begleichen. Der wiederum verlangt vom Witcher den Tod des besagten Waldgeistes. Klingt nach Rollenspiel-Standardkost, aber dies ist die Welt von The Witcher, und schon während Geralt mit Hexen spricht, ahnt man, dass die Damen nichts Gutes im Schilde führen.
Der Waldgeist wiederum sieht zwar ekelhaft aus, aber warum bittet er Geralt darum, ihn zu befreien? Sei's drum, man verhandelt nicht mit Geschwüren: Ein paar angreifende Rieseninsekten beißen noch ins Gras, dann hackt Geralt die schützenden Baumwurzeln entzwei und den dahinter wuchernden Waldgeist ebenso. Doch ach! Es ist tatsächlich die Welt von The Witcher, und als ihm die Hexen kurze Zeit später als riesige, deformierte Gestalten persönlich gegenüber treten, wird schnell klar, dass Geralt mit dem Geschwürgeist vielleicht besser gefahren wäre. Er findet mit ihrer Hilfe zwar endlich das Mädchen mit den aschfarbenen Haaren, doch dafür fehlt am nächsten Tag von den Kindern im örtlichen Waisenhaus jede Spur. Der Dorfälteste hat seine Schuld beglichen.
Das hat Konsequenzen!
Diese Mischung aus Entscheidungsfreiheit und echten Konsequenzen war schon immer ein Witcher-Markenzeichen, und die Entwickler versprechen, es im dritten Teil noch weiter auszubauen. Wie bisher wird Geralt an einigen Stellen zu Entscheidungen gezwungen, deren Folgen oft erst deutlich später absehbar werden.
Darüber hinaus soll sich aber auch die Handlung einzelner Questreihen mehr denn je vom Spieler beeinflussen lassen. Dafür hat CD Projekt einen enormen Aufwand betrieben. Während der 45-minütigen Präsentation des Spiels illustrierten Dutzende von Dialogsequenzen und Zwischensequenzen das Geschehen, allesamt erstklassig vertont und trotz teils noch etwas ungelenker Gesprächsanimationen sehr gut inszeniert.
Ein Niveau, das vom gesamten Spiel in der gleichen atmosphärischen Dichte nur schwer zu halten sein wird, der Aufwand ist immens. CD-Projekt demonstriert eindrücklich, dass auch der dritte Teil der Reihe eine Welt zum Leben erweckt, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und Geralt vor allem deshalb als Held erscheint, weil alles um ihn herum noch viel grausamer und kaltherziger ist.
Einzigartig ist deswegen das Verhältnis des Spiels zu seinen Monstern. Oft sind die eigenartigsten und abstoßendsten Kreaturen jene, die auf den ersten Blick am gutherzigsten erscheinen. Auch Geralt selbst ist den Monstern, die er jagt, oft näher als den Menschen, die ihn bezahlen. Überhaupt, die Monster! Von einfachen Zombies über die gruseligen Wasserhexen mit ihren verzerrten Gesichtern und langen Armen bis hin zu fantastischen Interpretationen klassischer Fantasiegestalten wie dem Greif fährt The Witcher 3 ein großartiges Bestiarium mit brillant designten Kreaturen auf.
Indem sich das polnische Team am reichhaltigen Schatz europäischer Mythen bedient und nicht zuletzt durch eine bemerkenswerte kreative Eigenleistung ist die Begegnung mit der Vielzahl von fantastischen Wesen ein Genuss. Allein dadurch wirkt The Witcher 3 im Sammelsurium der typischen Tolkien-Fantasiewelten ungeheuer frisch und unverbraucht. Das ist umso wertvoller, da die Jagd auf die Monster voraussichtlich eine der wichtigsten Nebenaktivitäten für unseren Hexer sein wird.
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