Beliebig, austauschbar, hundertfach gesehen. Auf den ersten Blick wirkt Tales of Vesperia wie eines der unzähligen Sandkörner im Meer der JRPGs. Der Anime-Stil hebt sich nicht von Abermillionen anderen Spielen aus Japan ab.
Schon wieder geht's ins Fantasy-Mittelalter. Schon wieder eine bunte Heldentruppe. Und schon wieder muss die Welt gerettet werden. Ja, das hat man mittlerweile schon oft gesehen. Aber Halt! Damit tut man dem Spiel Unrecht.
Auf dem Papier mag das wegen der großen Genrekonkurrenz nicht aufregend klingen. Aber: Unter der zunächst unscheinbaren Fassade steckt der empfehlenswerteste Titel der gesamten Tales-Reihe.
Einfacher Plot, komplexe Charaktere
Die Einleitung beginnt mit dem gutherzigen Dieb Yuri. Er lebt in ärmlichen Verhältnissen am Rande der Kaiserstadt Zaphias. Yuri muss mit ansehen, wie ein Blastia aus einem Brunnen gestohlen wird. Das ist ein rätselhafter Stein einer vergangenen Zivilisation, der von den Bewohnern als Energiequelle genutzt wird.
Ohne Blastia funktioniert der Brunnen nicht, also macht er sich auf, den Dieb zu stellen. Yuri findet heraus, dass auf der ganzen Welt zeitgleich mehrere Blastia gestohlen wurden. Aber zu welchem Zweck?
Auf der Suche nach Antworten begegnet er zahlreichen Charakteren, mit denen er eine bis auf neun Helden wachsende Abenteuergruppe bildet. Deren Mitglieder kommen und gehen während des Abenteuers - manchmal durch unvorhergesehene Wendungen.
Hierin liegt der größte Reiz der Handlung. Zwar hat die Fantasy-Welt durchaus eine tiefere Hintergrundgeschichte, aber der Plot steht nicht im Vordergrund. Lange Zeit ist nicht klar, wer eigentlich der Antagonist ist. Viel interessanter ist die Dynamik zwischen den Figuren.
Der feige Jägerjunge Karol und die grummelige Magierin Rita pflegen zum Beispiel eine Art Hassliebe. Beide nähern sich aber mit der Zeit an, was vor allem durch Ritas Freundschaft zur adeligen Estelle und der Kampf-Amazone Judith gelingt. Die beiden Damen sind älter und vernünftiger als Rita. Eine gute Basis für Vertrauen, durch das sich die Magierin der Gruppe langsam öffnet.
Was zu Beginn nach einem Stereotypen-Cast aussieht, entwickelt sich zu einer tollen Riege an unverwechselbaren Persönlichkeiten. Die kann man nur ins Herz schließen! JRPGs definieren sich sehr stark über die Gruppendynamik, und die ist besonders in der zweiten Hälfte des Spiels überaus gelungen.
Jeder der Helden macht eine spürbare Entwicklung durch. Außerdem hat Yuri einen Hund namens Repede dabei. Der raucht Pfeife und sagt nur "Wuff". Einer der amüsantesten Begleiter, die uns je untergekommen sind!
Aller Anfang ist langsam
Allerdings braucht das Spiel etwas, bis es in Fahrt kommt. Das zeigt sich vor allem in der Spielmechanik, denn die Echtzeitkämpfe sind erst einmal sehr behäbig. Berührt ihr einen Gegner in der Umgebung, geht es in eine separate Kampfarena.
Dort tummeln sich bis zu vier Partymitglieder, aber ihr könnt nur die Kontrolle über eine einzelne Figur übernehmen. Die anderen Kämpfer agieren eigenständig und hören auf Kommandos. So legt ihr zum Beispiel fest, dass sie sich eher im Hintergrund halten und euch mit Heilung helfen.
Schlagen und Blocken fühlt sich prinzipiell erst einmal an wie in einem Hack&Slay, bei dem aber in den ersten Stunden der Spielfluss fehlt. Das liegt an den mangelnden Fähigkeiten, die erst durch Erfahrungspunkte und Meilensteine in der Story freigeschaltet werden.
Je mehr die Charaktere aber lernen, desto mehr Spaß machen die Kämpfe. Bald kommen optisch schön animierte Schlagfolgen zum Einsatz, die sogenannten Artes. Die werden vorab im Menü festgelegt und über Tastenkombinationen ausgeführt. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad wird es erst richtig gefährlich, wenn Monster, Soldaten oder andere Kreaturen in hoher Zahl auftauchen.
Spätestens bei den insgesamt mehr als 40 Bossgegnern ist aber Taktik gefragt. In Bewegung bleiben, geduldig den richtigen Moment abwarten, den Mitstreitern die richtige Vorgehensweise vorgeben - alles essentiell. Sehr nett übrigens: Sind mehrere Controller angeschlossen, können bis zu drei weitere lokale Spieler in den Kämpfen mitmischen. Ein Mehrspielermodus in einem JRPG? Ungewöhnlich und cool!
Von Kochkünsten und Snowboards
Die Charakterentwicklung birgt einige Freiheiten, zum Beispiel in Form von vier Waffenfertigkeiten. Sie bringen Vorteile für bestimmtes Arsenal, zum Beispiel Messer oder Schusswaffen. Einen Einfluss kann auch das Kochsystem haben: Mit Zutaten wie Reis oder Zwiebeln lassen sich Gerichte und Items herstellen.
Die verarzten nicht nur, sondern können auch einen zeitweiligen Effekt auf die ganze Gruppe haben. Stärkere Angriffskraft etwa. Rezepte dazu erlangt ihr nicht nur durch Ereignisse im Laufe der Kampagne, sondern auch, indem ihr überhaupt erst mit bestimmten Charakteren kocht. Estelle findet zum Beispiel das Rezept für Reisbälle nur heraus, wenn sie sich vorher mit der Zubereitung von Sandwiches beschäftigt. Was beide Mahlzeiten miteinander zu tun haben? Das haben wir uns auch gefragt.
Das Freischalten der Rezepte erscheint manchmal willkürlich. Das fällt auf, weil die Erkundung der Spielwelt inklusive ihrer Städte, Dungeons und Naturlandschaften ansonsten sehr stimmig wirkt. Die Missionen der Haupthandlung leisten sich keinen Leerlauf, es gibt zwischendurch Zelda-artige Puzzles, und die optionalen Sidequests geben Gelegenheit, die Charakterzüge der Protagonisten zu vertiefen.
Die Welt ist groß und es gibt viel zu entdecken. Minispiele zum Beispiel. In einem muss Hund Repede auf einem Snowboard den Hang hinunterrasen. Tatsächlich einer der besten Begleiter, die uns je untergekommen sind!
Was ist neu in der Definitive Edition?
Was hat sich gegenüber der ursprünglichen Version geändert? Zunächst einmal läuft das Spiel auf allen Konsolen in 1080p.Heute sieht das Spiel immer noch stilbewusst aus, aber kommt nicht an den Detailgrad von aktuellen JRPGs heran. Das ist aber nicht schlimm, der abwechslungsreiche Soundtrack irgendwo zwischen J-Pop und Klassik fängt das locker wieder auf.
Unterschiede gibt es aber bei der Bildrate: Der Kampfmodus liegt generell bei 60fps. Außerhalb der Kämpfe aber, zum Beispiel in Städten, sinkt sie auf Xbox One und Switch auf 30fps. Im Handheld-Modus der Switch reduziert sich die Auflösung außerdem auf 720p. Ab und zu ruckelt es auf Nintendos System auch mal.
Inhaltlich basiert die Definitive Edition auf der japanischen PlayStation-3-Fassung, die nie lokalisiert in den Westen gekommen ist. Das bedeutet: Massig neuer Story-Content und volle Sprachausgabe - auf Englisch und Japanisch!
Neben frischen Dungeons und Nebenmissionen gibt es zwei neue spielbare Charaktere: Der Ritter Flynn konnte in der Urfassung nur ganz kurz gespielt werden, ist diesmal aber als vollwertiges Party-Mitglied dabei. Ein gänzlich neuer Charakter ist die Piratin Patty. Sie kann besonders gut mit Messern umgehen.
Um die Neuzugänge in die Handlung einzuflechten, gibt es ergänzende Zwischensequenzen. Außerdem sind neue Artes, Items und Kostüme hinzugekommen. Ja, für uns im Westen ist vieles davon noch unbekannt. Da lohnt sich selbst für Fans ein zweiter Spieldurchgang.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.