Am besten hat mir an The Witcher 3: Hearts of Stone gefallen, wie schnell es vorbei war. Nicht schnell im Verhältnis zum Preis, versteht sich: Für zehn Euro bietet es zehn Stunden Spielzeit oder mehr, das bringt so mancher DLC für doppelt so viel Geld nicht auf die Reihe.
Aber nach Rollenspielmaßstäben ist das immer noch eine Kurzgeschichte. Und ich fand es wunderbar erfrischend, mal ein Hexer-Abenteuer zu erleben, für das ich nicht gleich fünfzig Stunden oder mehr einplanen muss. Denn kurze Spiele haben ihre ganz eigenen Vorzüge.
Der Autor
Maurice Weber bräuchte laut Howlongtobeatsteam.com ein Jahr, einen Monat, drei Wochen, vier Tage und sieben Stunden, um alle ausstehenden Spiele in seiner Steam-Bibliothek komplett durchzuspielen. An seine Xbox- und PlayStation-Bibliothek will er lieber gar nicht erst denken. Dabei steht doch gerade erst wieder ein zweiter Wasteland 2-Durchlauf mit dem Director's Cut an! Und dann die Enhanced Edition von Divinity: Original Sin! Nicht zu vergessen Fallout 4 ...
Die Würze der Kürze
Das geht bei der Erzähltechnik los: In den wenigsten Rollenspielen verbringe ich tatsächlich den Großteil der Spielzeit damit, der Hauptgeschichte zu folgen - selbst wenn das eigentlich der einzig sinnvolle Kurs wäre. In The Witcher 3 ist Geralt auf einer verzweifelten Suche nach Ciri - aber das Spiel tut nichts lieber, als ihn vom seiner Mission abzulenken.
Klar, Geralt, deine Ziehtochter könnte grade in tödlicher Gefahr schweben, aber willst du den Bauern da drüben denn wirklich nicht helfen? Oder willst du jene Chance verpassen, eine neue Karte für dein Gwent-Deck zu gewinnen? Ja, schon gut, ich mach's! Die Nebenaufgaben von The Witcher 3 sind ja auch großartig.
Aber mit jeder Stunde, die Geralt Karten spielt und Bauern rettet, verliert die Handlung ein Stückchen Glaubwürdigkeit und Spannung. Wie gefährlich kann der König der Wilden Jagd schon sein, wenn ich jedes einzelne Monster im Niemandsland erledigen kann, ohne dass er seine Fratze zeigt oder Ciri auch nur ein Stückchen näherkommt?
Das ist kein reines Hexer-Phänomen, auch in Skyrim steht Himmelsrand ja angeblich kurz vor dem Untergang. Was mir aber herzlich schnuppe war, als ich gemütlich in Höhlen hinabstieg und Katzen von Bäumen rettete. Offene Welt und temporeiche Erzählung gehen nicht zusammen.
Im Vergleich dazu erzählt Hearts of Stone eine viel konzentriertere Geschichte. Hier treten großartige Charaktere wie Olgierd oder Gaunter nie lange von der Bühne ab und haben dadurch umso mehr Gelegenheit, zu glänzen. Gleichzeitig macht im DLC die Hauptgeschichte einen verhältnismäßig größeren Teil der Spielzeit aus - er bietet mehr als genügend Nebenaufgaben für seinen Preis, aber nicht so viele, dass sie die Kernhandlung ertränken. Und er ist insgesamt kurz genug, dass man ihn auch problemlos zu Ende spielen kann.
Was immer relevanter wird in einer Zeit, in der viele Spieler ihrer stetig wachsenden Steam-Bibliothek mit dem Durchspielen überhaupt nicht mehr hinterherkommen. The Witcher 3 haben laut Steam nur 24,2 Prozent aller Käufer beendet. Weil es so riesig ist, gerät die Story ins Hintertreffen.
Weiter geht die wilde Jagd: The Witcher 3: Hearts of Stone im DLC-Test
Größe ist nicht alles
All das soll natürlich keineswegs heißen, dass Open-World-Rollenspiele grundsätzlich nichts taugen, im Gegenteil lassen sie mich wie kaum andere Spiele in eine Welt eintauchen, die gerade durch ihre Größe und Offenheit erst glaubwürdig wird - das ist ihre Stärke und das haben The Witcher 3 und Skyrim meisterlich geschafft. Aber mit zu viel Inhalt laufen solche Spiele auch Gefahr, den Spieler zu ermüden, jedenfalls wenn zu viel davon nur Open-World-Lückenstopfer ist.
Vor dem Release von Dragon Age: Inquisition versprachen die Entwickler etwa, dass man darin bis zu 200 Stunden verbringen könnte. Nach dem Release wurde dann klar, warum - bestimmt nicht, weil die Entwickler mir tatsächlich 200 Stunden voller einzigartiger Erlebnisse und interessanter Geschichten zu bieten hatten. Sie hatten vielmehr eine riesige Welt gebastelt und dann anscheinend kaum anderes Füllmaterial zur Hand als eine endlose Litanei dröger Sammelquests.
Größe ist wirklich nicht alles: Dragon Age: Inquisition im Test
Die kann einem das Spiel schon vergällen, bevor man seine guten Seiten überhaupt zu sehen kriegt. Nicht von ungefähr war der beste Ratschlag, den man seinerzeit in der Community finden konnte: »Geh verdammt nochmal raus aus den Hinterlanden und mach mit der Story weiter!«
Und klar, ich muss ja wirklich nicht jede einzelne Nebenquest erledigen. Aber ich habe als Rollenspieler immer ein unschönes Gefühl, wenn ich Teile des Spiels links liegen lasse. Was, wenn ich dabei doch eine richtig spannende Aufgabe verpasse? Ich will ja alles sehen, was das Spiel mir zu bieten hat.
Es ist die Verantwortung der Entwickler, dass alle diese Inhalte meine Zeit wert sind und keine stumpfe Beschäftigungstherapie, nur mit dickerem Umfang werben zu können. Und wenn es zu aufwendig ist, das Spiel von vorne bis hinten mit Spaß und Sinn zu füllen, dann sollte es vielleicht einfach-kürzer sein.
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