Neuland Handlung
Das klingt zunächst wie eine Mischung aus Fallout 3und Borderlands, auch wenn man zu id Softwares Verteidigung anführen muss, dass Rage vor den zwei anderen Spielen erdacht wurde; es ist halt schon eine halbe Ewigkeit in der Entwicklung. Aber tatsächlich passt der Vergleich mit beiden Titeln gut. Rage ist im Kern zweifellos ein knackiger Ego-Shooter, erweitert seine Mechanik aber um Konzepte aus anderen Genres. Es geht nicht mehr allein ums Schießen, sondern um Entscheidungsfreiheit in einer zumindest teilweise offenen Welt, um Aufträge, Geschichten, Crafting wie im Rollenspiel und um Fahrzeuge wie in Borderlands.
Diese Bauart markiert für id Software einen radikalen Gesinnungswechsel. Wie kein anderer Entwickler standen die Texaner bislang für die reine Lehre eines Genres. Wer einen id-Shooter kaufte, bekam noch jedes Mal ein Programm, das auf Schusswechsel verdichtet war, auf die tausendfach wiederholte Reflexprobe des Mann-gegen-Monster – hochkonzentrierte, technisch perfektionierte Grundmechanik. Nicht umsonst hat sich id Software erst mit Doom 3 (merklich gelangweilt) bemüht, überhaupt so etwas wie eine Handlung zu inszenieren. Nicht umsonst gelten die id- Produkte noch immer vielen als die besten Multiplayer-Shooter, das elf Jahre alte Quake 3 wird als Browser-Ableger Quake Livein E-Sport-Ligen wie der ESL gespielt. Dem gegenüber tritt nun also ein Ego-Shooter, in dem das Schießen nur noch ein Teil eines größeren Spielerlebnisses ist, in dessen Mittelpunkt die Erfahrung einer Welt steht. Wer in Rage ballern will, muss vorher Orte und Personen kennenlernen, ihre Geschichten anhören und sich vorbereiten.
Sauerei in Hagar
Unsere erste Station, nachdem wir die Arche verlassen haben, ist eine winzige Siedlung namens Hagar, nicht mehr als eine ehemalige Tankstelle samt Werkstatt an den Resten dessen, was einmal eine Landstraße gewesen sein muss. Die Handvoll Menschen in Hagar sind Scavenger, Sammler, die verwertbare Reste der Zivilisation aufklauben und an größere Siedlungen verkaufen.
Hagar heißt nach ihrem Gründer, dem alten Dan Hagar, der uns zum Auftakt des Spiels vor einer Bande Ghosts rettet. Das ist einer der Banditenclans im Ödland von Rage, und unter den marodierenden Stämmen einer der unangenehmeren: Wer den okkulten Spinnern in die Hände fällt, darf damit rechnen, zum Spaß gefoltert zu werden und als Menschenopfer zu enden. Weil die Ghosts auch Hagar bedrohen, bietet uns Dan einen Deal an; er rüstet uns zum Überleben aus, wir helfen ihm gegen die Banditen. Das führt zu unserem ersten Einsatz, es wird viel geschossen, und später wird uns Dan zu unserem nächsten Wegpunkt in der Handlung schicken, der Stadt Wellspring. Soweit keine Überraschung.
Aber das ist nicht alles, was wir in Hagar machen können. Je mehr Vertrauen die Bewohner der Tankstelle zu uns fassen, desto mehr neue Optionen werden verfügbar, auch solche, die mit der Haupthandlung nichts zu tun haben. Da ist zum Beispiel der Händler Halek, dem wir Gegenstände verkaufen, die wir im Ödland und bei unseren Einsätzen gefunden haben. Sein Angebot umfasst Einzelteile für Gerätschaften und verschiedene Munitionstypen, denn jede Waffe in Rage verschießt bis zu vier Arten von Kugeln. Die Pistole, unsere Einstiegswaffe, schluckt neben den Standard- Patronen auch Fatboys (stärker), Killbursts (Streuwirkung) und Fat Mamas (panzerbrechend). In Hagars altem Tankstellen-Shop sitzt Durar, von dem wir unser erstes Fahrzeug erhalten, sofern wir passende Ersatzteile für ihn finden.
Auf einer Außenrampe steht Dans bildhübsche Tochter Loosum, die uns den Umgang mit dem Wingstick beibringt, einem dreiarmigen Bumerang, leise und tödlich. Es verging bislang keine Präsentation von Rage, in der id Software nicht demonstrativ einen Banditen mit dem Wingstick enthauptet hätte – optisch eine ziemliche Sauerei, die Spieler der deutschen Version wohl nicht zu Gesicht bekommen werden. Wer sich von Loosum testen lässt, findet sich – Schockschwerenot! – in einem Minispiel wieder. Wir dürfen aufploppenden Pappkameraden unter Zeitdruck den Wingstick gegen die Visage donnern. Originell ist das nicht, aber doch überraschend kurzweilig und erfüllt zudem seinen Zweck: Hinterher fühlen wir uns im Umgang mit dem Flugschneider sicher.
Allerhand zu tun
Solche großen und kleinen Abstecher füllen die Spielwelt von Rage. Wer im ersten Hauptort Wellspring mit Passanten redet, in der Bar vorbeischaut, den Sheriff besucht oder in Läden plaudert, sammelt allerhand Nebenaufgaben ein. Wellspring hat ein Wasserproblem, der Brunnenkeller ist von Banditen besetzt; das ist für die Haupthandlung irrelevant, aber wer will, kann das Problem angehen.
Wenn wir für Richard in der Bar die seltene Pflanze Nightblossom aus dem Ödland holen, erhalten wir im Gegenzug ein Rezept für verbesserte Heilpakete. Eine Gruppe Einwohner hat am Straßenrand das simple Hologramm-Brettspiel Tombstones aufgebaut, wir können jederzeit auf eine Runde einsteigen. An Hauswänden hängen Auftragszettel wie »Scharfschütze gesucht«. Im Ödland lassen sich immer mal wieder Einstiege zur alten Kanalisation finden, in denen zwar keine Ziele warten, aber wertvolle Beute.
Für das Rahmenprogramm treibt id Software bemerkenswerten Aufwand. Die Fernsehshow »Mutant Bash« ist ein fieser Spießrutenlauf durch mehrere Todesfallen, bei dem wir heranstürmende Mutanten abwehren, während um uns herum Nagelpfähle kreisen, oder unser Glück an einem riesigen Spielautomaten versuchen. Wellspring besitzt eine eigene Rennliga, an der wir mit unserem selbst getunten Fahrzeug an einer Latte von Wettkämpfen teilnehmen, von Zeitrennen bis zu waffenstarrenden Zerstörungsorgien. All das ist völlig optional, es dient der Unterhaltung und Herausforderung, klar, aber eben auch der Glaubwürdigkeit der Welt.
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