In Mesquite, Texas besitzen mehr Menschen eine Lizenz, versteckte Handfeuerwaffen bei sich zu tragen, als in jedem anderen Bezirk der USA. Tim Willits grinst und zersäbelt ein Steak. In Mesquite sitzt sein Arbeitgeber, id Software, und macht Ego-Shooter. Willits hat eingeladen, Culpepper’s Steakhouse, es gibt Torpedos und sehr viel Fleisch, texanische Spezialitäten, und Willits erzählt Anekdoten wie die von den Handfeuerwaffen. That’s Texas, und Texas und id Software passen gut zusammen: beide selbstbewusst, stolz, etwas spleenig mit einem Hauch von Größenwahn. Willits stammt aus Minnesota. Später fährt er mit seinem BMW X5-Geländewagen zum Firmengebäude, »das hat Mesquite damals für uns gebaut, damit wir hierbleiben«. Im Jahr 2000 war das, da war id Software längst weltbekannt. Matt Hooper, der Designchef, fährt einen Japaner mit Hybridantrieb, deshalb muss er den Dauerspott der Kollegen ertragen.
Am Empfang der Firma gibt es ein Foto von ids Programmiergenie John Carmack im roten Ferrari, vor dem sein Sohn im roten Kinder-Ferrari rollt. Hinter dem Tresen sitzt Dana, ids 60-jährige Empfangsdame, das Lachen so breit wie ihr texanischer Akzent. Früher hat sie an Muscle Cars herumgeschraubt. Vor ein paar Jahren hätten alle id-Mitarbeiter ihre Sportwagen auf einer NASCAR-Strecke ausgefahren, und bei der Gelegenheit habe Dana einen Burnout hingelegt und sie dann alle stehen lassen. Erzählt Tim Willits. Das Familiäre, auch das schätzt man in Texas. Die Empfangstheke ist zugestellt mit Privatfotos der Mitarbeiter, in die Wand dahinter sind Glasvitrinen mit unzähligen Erinnerungsstücken eingelassen, Modelle aus dem Doom-Film, die koreanische Version von Quake, die Plastikschrotflinte, die sie damals für Doom abfotografiert haben. An den Wänden hängen Glanzstücke aus den guten alten Tagen, das Cover des Time Magazines, die Trophäen.
Die guten alten Tage
Sieben Jahre ist es her, dass id Software ein neues eigenes Spiel veröffentlicht hat, Doom 3. Die letzte frische Marke, die id geschaffen hat, war, kurz überlegen ... Quake. Vor 15 Jahren. Zuletzt ist id Software im Wesentlichen damit aufgefallen, dass es sich von Bethesda hat kaufen lassen. Es wäre Zeit für den nächsten großen Wurf: eine neue Welt, eine neue Spielidee, eine neue Technologie. Das Comeback. Der Titel, der id Software mit einem Knall zurück an die Spitze katapultieren soll, kocht in Mesquite seit mehr als fünf Jahren. Er heißt Rage.
Dass id Software unter der Leitung von Tim Willits Rage entwickelt, wie das Spiel aussieht und funktioniert, ist seit langer Zeit bekannt. Aber bislang tut sich Rage schwer damit, die Gemüter der Spieler zu bewegen. Es ist ein Kritikerliebling, wer es schon gesehen hat, ist zumindest beeindruckt und meistens sogar hingerissen. Aber für einen Titel, der in einem halben Jahr auf den Markt kommen soll, halten sich die Vorfreude-Schockwellen in Spielerland in Grenzen. Bei den GameStar-Lesern krabbelt der Titel immer mal wieder in die Top 25 der meisterwarteten Titel, im Monat darauf ist er meist wieder rausgerutscht. Das mag damit zusammenhängen, dass id Software seinen Namen zuletzt für Lizenzarbeiten wie Quake 4und Wolfensteinhergegeben hat, die von anderen Firmen entwickelt wurden und vergleichsweise enttäuschend ausfielen. Vor allem aber gelang es id Software bislang kaum, den unbekannten Namen Rage mit Zauber zu füllen.
Das große FRAGEzeichen
Wenigen Spielern ist klar, was sie von dem Programm eigentlich erwarten dürfen. Ist es am Ende ein Rennspiel? Das hat in erster Linie damit zu tun, dass id Software sich mit Rage vom bewährten Muster seiner Shooter entfernt. Bislang spielte noch jedes id-Programm in engen Korridoren, vom Horror heimgesuchten Düsterkomplexen und bedrückenden Festungsanlagen. Rage reißt die Vorhänge auf und die Wände ein, es führt seine Spieler in sonnendurchflutete Canyon-Landschaften und in die quirligen Siedlungen einer Menschheit, die sich nach der großen Katastrophe in den Trümmern der Zivilisation neu eingerichtet hat.
Nach der Zeitrechnung von Rage ist es kein Atomkrieg, der die Erde verwüstet, sondern der Einschlag des Asteroiden Apophis im Jahr 2029. Weil man das Unglück kommen sah, wurden Spezialisten aller Couleur in unterirdischen Kälteschlaf-Bunkern verstaut, so genannten Archen, damit sie später die Erde neu besiedeln. Als wir zu Spielbeginn als einer dieser Archenbewohner erwachen, stellt sich heraus, dass kaum etwas so gelaufen ist wie geplant. Ein Defekt hat alle anderen Schlafenden ausgelöscht, wir selbst haben statt Erinnerungen nur Blubberblasen im Kopf – fünf Euro ins Amnesie-Schweinderl!
Als unser Gedächtnisloser im Südwesten der USA ans Tageslicht kraxelt, zeigt sich, dass längst nicht alle Menschen durch den kosmischen Einschlag umgekommen sind. Im Gegenteil: Die Wüste lebt, überall sind Siedlungen und Banditenclans entstanden, die ums Überleben ringen. Und dann ist da auch noch die mysteriöse »Authority«, eine gefürchtete High-Tech-Polizei, die ein Kopfgeld auf Archenbewohner ausgesetzt hat. Unter diesen Bedingungen fällt der Wiederaufbau der Zivilisation verständlicherweise schwer, deshalb ändern wir flugs unseren Plan, suchen uns eine Waffe und tragen erst mal zur Dezimierung der verbliebenen Zivilisation bei.
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