Bei Pure Farming 2018 macht der Spieler zunächst ein Bäuerchen: Im Charakter-Editor passt er die Optik seines Avatars an. Die Möglichkeiten beschränken sich auf Kleidung und Hautfarbe - aber immerhin! Vergeblich gewartet haben wir, dass Inka Bause aus einer Kiste hüpft, entwaffnend lächelt und uns Frauen vorstellt. Bei der Berufssimulation made in Poland glänzen weibliche Charaktere nämlich durch Abwesenheit.
Dafür verfügt das Spiel über das wahrscheinlich längste Tutorial der Welt: Die unterhaltsame Kampagne, bei der es um einen Bauernhof-Erben geht, fungiert komplett als Anfängerkurs. Während der Landwirtschafts-Simulator (LWS) ähnlich einsteigerfreundlich daherkommt wie ein führerloser Traktor ohne Feststellbremse, spricht Pure Farming neben Dorf- auch Stadttrottel an. Das kristallisiert sich nicht als einziger Pluspunkt gegenüber dem Konkurrenten heraus, aber überraschenderweise als der größte.
Feldweites Firmenimperium
Die Erkenntnis, dass der fluffige Zugang die größte Stärke darstellt, kommt insofern überraschend, weil der Hersteller vorab hauptsächlich andere Merkmale beworben hat. Unter anderem diein fünf Staaten angesiedelten Karten mit landestypischen Aufgaben, exotischen Fahrzeugen und Feldfrüchten.
In Kolumbien baut der geneigte Agrarökonom nicht etwa nur Kaffee, sondern auch Cannabis an. Möchte er sein Imperium vergrößern und feldweit Erfolge feiern, kann er das zum Beispiel auch in Italien und Japan. Er verknüpft die Zweigstellen per Logistikzentrum, um hin- und her zu reisen und nimmt sogar Fahrzeuge und Zubehör mit.
Landwirtschaftssimulator 2017 im Test
So schlägt sich der große Konkurrent
Feld allein macht nicht glücklich
Die Kampagne in Pure Farming bietet nur eine rudimentäre Handlung, präsentiert sich aber abwechslungsreich. Unser Bauer beackert Felder, züchtet Vieh, errichtet umfeldfreundliche Solar- und Windkraftanlagen, kümmert sich um Gewächshäuser sowie Plantagen und genießt die raue Erotik monströser Landmaschinen. Leider gibt's den Storymodus mit seinem motivierenden Erfahrungspunktesystem samt Level-Aufstiegen nur in Montana, USA. Mit 25 virtuellen Quadratkilometern ist die zugehörige Karte die größte, ihre Fläche entspricht der der nordrhein-westfälischen 55.000-Seelen-Stadt Hilden oder 3.500 Fußballfeldern. Die nur für Vorbesteller und Käufer der ersten Auflage kostenlose Deutschland-Map kostet für alle anderen 5,99 Euro extra - das ist mindestens Feldschneiderei.
Pure Farming liefert ab, hat aber auch deutliche Schwächen, insbesondere beim Umfang. Genrefan-Ausschlusskriterium könnte der fehlende Mehrspielermodus sein. Hätte der Landwirtschafts-Simulator einen Mund, er würde ferner wegen eines Lachkrampfs verenden: Gerade mal zwölf Traktoren, acht Mähdrescher, 16 Anhänger, je zwei Autos und Laster und gut 50 Maschinen sowie Anbauteile fährt Pure Farming auf. Abhilfe sollen Add-ons und Mods schaffen.
Schönen Tank auch!
Natürlich gibt's berufsbedingt langatmige, sich wiederholende Tätigkeiten. Wer ein Feld auf und abfahrend pflügt, grubbert, sät, bewässert, düngt, spritzt und erntet, rennt im Anschluss auch verstört in seiner Wohnung hin und her. Diagnose: psychiatrischer Hospitalismus - kennt man beispielsweise von Raubtieren im Zoo. Allein um ein großes Areal zu pflügen, benötigt der Held vom Cannabisfeld in Pure Farming schon mal 50 Minuten. Wenn er nicht Sprit braucht, weil eine Tankfüllung für einen Acker oft nicht reicht.
Demeter sei Dank, das ist die Göttin der Landwirtschaft, übernehmen irgendwann Mitarbeiter die lahmen Phasen. Dass es das Spiel ermöglicht, jedweden Web-Radiosender einzubauen, finden wir grandios, weil es das harte Tagwerk ebenso erträglicher macht. Was die Steuerung angeht, verweigerten während unseres Tests sowohl Gamepad als auch Lenkrad eine korrekte Zusammenarbeit. Der Hersteller arbeite an Lösungen, heißt es. Generell gibt es bei der Steuerung überempfindliche Tendenzen abseits der gemächlichen Feldarbeit. Das liegt auch an der teils albernen Physik. Der geniale und bewundernswerte Stephen Hawking starb einen Tag nach der Veröffentlichung des Spiels, hoffentlich nicht aus Gram. Eine innovative Idee ist die Drohne: Damit verschafft sich der Landwirt einen Überblick und kann sogar aus der Luft neue Felder kaufen, Immobilien bauen und so weiter.
Zombie-Apokalypse
Pure Farming 2018 feiert eine gelungene Feldpremiere. Neben Kampagne und freiem Endlosspiel auch wegen des dritten Modus', der spezielle Herausforderungen serviert. Farmer mit gutem Karma treten als Nothelfer auf, indem sie in 20 Szenarien bestimmte Aufgaben erfüllen. In Kolumbien gilt es zum Beispiel, die Ernte vor einem Waldbrand zu retten. Hübsch modellierte Fahrzeuge, stimmungsvolle Licht-, Partikel- und Schmutz-Effekte machen in puncto Grafik viel wett.
So rücken die Horizont-Kulissen, die so unscharf und detailarm aussehen, als habe jemand eine Modelleisenbahn-Landschaft durch ein Aquarium fotografiert, wortwörtlich in den Hintergrund. Ferner lenken die optischen Vorzüge von den grässlichen, durch die Gegend schlappenden The-Walking-Dead-Passanten ab.Last but not least unschön: die leblose Umgebung. Sie wirkt ausgestorben wie nach einem Atomkrieg. Es gibt wenige Passanten, die auch noch hässlich sind. Es gibt nur herumfahrende Vans, keine Autos. Es gibt nur Nutztiere, keine anderen Viechereien. Vielleicht ist das auch gut so, in der Realität produzieren Mähdrescher aus Rehkitzen bekanntlich immer mal wieder Mett im Kornfeld.
So oder so: In Sachen Umfang schlägt der LWS seinen polnischen Mitbewerber vernichtend, spielerisch hat jedoch Pure Farming die Nase vorn. Und es bleibt spannend - wenn im Herbst der Landwirtschafts-Simulator 19 erscheint, steht der zweite Feldkrieg an.
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