NHL 19bietet, anders als etwa die neueren FIFAs, keine Story. Hätte es eine Geschichte, wäre es ein Schicksalsdrama auf Soap-Niveau, basierend auf dem neuen Online-Modus Ones: Das Drehbuch würde von vier arbeitslosen Freunden handeln, die sich nur ein einziges Eishockeytor leisten können. Einer stellt sich ins 1,22 Meter hohe und 1,83 Meter breite Gehäuse, die anderen spielen gegeneinander 1 gegen 1 gegen 1.
Wer in drei Minuten die meisten Treffer verbucht, gewinnt. Ziel ist es, sich mit solchen Siegen vom Hobbyspieler zum Profi aufzuschwingen. Wir leben in NHL 19 quasi den Traum nordamerikanischer Kinder, die dem sogenannten Pond Hockey (= Weiher-Hockey) frönen, was vergleichbar mit Hinterhof-Streetbasketball ist.
Weil es in Ones weder Abseits, Zeitstrafen noch einen Schiedsrichter gibt, sind die Partien schöne, schmutzige Quickies. Lange Rede, kurzer Sinn: Hier wird gehakt und gecheckt, bis einer heult. Insofern ist Ones definitiv nix für Teicheier.
Sportsgaudi mit Plüschgetier
Der neue NHL-Ableger ist umfangreicher als die Wildecker Herzbuben: Er bietet 14 nordamerikanische und europäische Ligen, darunter die Deutsche Eishockeyliga, schweizerische National League und die österreichische Erste Bank Eishockeyliga. Ferner locken 21 Nationalmannschaften und All-Star-Teams für Freundschaftsspiele.
Management-Typen starten eine Franchise-Karriere, Hockey Ultimate Team lässt die Herzen von Trading-Card-Fans höherschlagen. Be a Pro spricht Rollenspieler an, DEL-Jünger oder Anhänger anderer Ligen bestreiten mit ihrer Lieblingsmannschaft eine Saison oder Play-off-Runde. Teamplayer rotten sich indes für die EA Sports Hockey League zusammen, während die CHL den Europapokal-Wettbewerb simuliert, Draft Champions den kleinen Sammelkarten-Hunger zwischendurch stillt und der 3-gegen-3-Wettbewerb Threes durch die im Spiel einsetzbaren Plüschmaskottchen auf lustig getrimmt ist.
Action in den Hockey Mountains
Der neue ProAm-Trainings-Modus erinnert an Threes, geht aber wie Ones in Freiluft-Arenen nahe den kanadischen Rockies über die Bühne. Dort herrschen Festival-Flair und eine Atmosphäre im Forza Horizon-Stil, nur eben bei Arscheskälte und ohne Autos. Die 36 Partien mit und gegen über 200 aktuelle und ehemalige NHL-Legenden sind als Aufpäppelmodus für Ones gedacht.
Unser virtueller Kufenflitzer sammelt Erfahrungspunkte, was Attribute wie Passen, Checken, Beweglichkeit verbessert. Ferner schaltet das Spiel peu à peu 42 Vorteile frei, neudeutsch: Perks. Von diesen kann der Konsolero seinem Schützling drei zuordnen. ProAm ist nicht sehr schwierig und taugt deshalb für unerfahrenere Gamepad-Akrobaten. Veteranen langweilen sich wegen der mangelnden Herausforderung schnell.
Mit Turnbeutel zu Shopping Queen
Last not least arbeitet ProAm mit einem Belohnungsmodell und kredenzt sogenannte "Eishockeybeutel". In Wahrheit sind es natürlich Eishockeytaschen, aber mit der Übersetzung waren bekanntlich Google Translate und das Känguru Yps betraut. Beutel hin, Tasche her, Experten sprechen eh von Lootboxen: Sie liefern Kleidung und Ausrüstung unterschiedlicher Seltenheit. Damit lässt sich das Alter Ego individualisieren.
Rund 1.000 Teile erlauben Millionen von Kombinationen. Einige Klamotten sind so kunterbunt schrill hässlich, dass man erblindet. Sie sehen aus, als habe jemand ein Gemälde des Expressionisten Wassily Kandinsky verspeist und es sofort wieder durch den Mund ausgeschieden. Piepegal! Wenn das grellbunte Trikot "Spektrum" besser ist als "Episch", und zwar "Legendär", nimmt der Homo-ludens-Poser den Verlust des Augenlichts gern in Kauf.
Puckmuckls Lootanfall
Neben den guten, aber wenigen Innovationen im Spiel hat uns vor allem der Modus Hockey Ultimate Team beschäftigt - im Positiven wie Negativen. Eine Neuheit sind Ziele und Meilensteine. HUT registriert etliche statistische Werte, etwa die Zahl an Schüssen, Toren und Checks. Nach dem 50. Treffer bekommt der Verein beispielsweise einen Leihspieler als Belohnung.
Dann geht's gestaffelt weiter, sodass am Ende 2.000 Tore mit 25.000 Münzen und einem Topspieler (Gesamtwert 91) honoriert werden. Die Bedienung von HUT ist nach wie vor "von hinten durch die Brust ins Auge", sprich: unkomfortabel. Das beginnt schon bei der Suchfunktion im Auktionshaus.
Den Vogel schießt EA diesmal in puncto MIKROTRANSAKTIONEN ab. Wir schreiben den Begriff in Großbuchstaben, weil es in Wahrheit Makrotransaktionen sind. Der testende Puckmuckl lässt seinem Lootanfall im Fazit freien Lauf. Schon hier sei aber verraten, dass die dreiste Beutelschneiderei hart auf die Wertung drückt.
Opium fürs Volk
Dann war da noch die Sache mit Wayne Gretzky, den der Autor dieser Zeilen nach wenigen Stunden als Spieler bekam, was er zunächst abfeierte. Bis er feststellte, dass elf von zehn seiner Online-Gegner "The Great One" ebenfalls schon besitzen. Was für ein Schwachsinn, einen solchen Ausnahmesportler derart inflationär ins Volk zu werfen!
Nervig sind ferner die vielen aus Poke-Checks resultierenden Strafzeiten. Wer dieses Defensivmanöver in NHL 18 bevorzugt hat, also gern mit dem Schläger nach dem Puck stocherte, sollte dringend aufs Schlägeranheben umschulen. Ebenso unrealistisch wirkt es, wie präzise und abartig schnell die KI bisweilen ihr Passspiel im Angriffsdrittel aufzieht. Doch genug gemosert, denn sonst verdient die aufgebohrte künstliche Intelligenz viel Lob: Sie blockiert zum Beispiel direkt nach dem Bully den Mittelstürmer.
Damit fällt dieser zunächst als Anspielstation aus und kann nicht sofort ins Angriffsdrittel eindringen. Auch die Torhüter reagieren besser, und das Stellungsspiel der Feldspieler erschwert Konter. Eisbombenstimmung Bei der Be-a-Pro-Karriere gibt's erstmals sechs Fertigkeitenbäume und zusätzlich 35 Spezialisierungen, die die Rollenspielelemente und damit die Identifikation mit dem selbst erstellten Eishockeycrack weiter vertiefen.
Dennoch guckt Otto Eishockeyfan wegen der fehlenden Story neidisch in Richtung FIFA. Das nutzt außerdem die wesentlich leistungsfähigere Frostbite-Grafik-Engine. Doch auch wenn es gerade bei der Optik der NHÖ-Charaktermodelle mittlerweile so staubt wie hinter einem Ford Mondeo 2.0 Duratorq Turbo-Diesel mit Common-Rail-Injection: Die fernsehreife Präsentation und die Stimmung in den Stadien überzeugt. Das Spiel bildet die Dynamik der schnellsten Mannschaftssport 1a ab. NHL 19 ist Puck 'n' Roll!
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