Erinnert ihr euch noch an den Mega Man-Klon Mighty No. 9? Das war der Stoff, aus dem die Alpträume von Retro-Fans gemacht waren. Das überaus erfolgreiche Kickstarter-Projekt sollte damals ein Spiel im Stil von Mega Man werden, nur eben mit moderner 3D-Grafik. Herausgekommen ist im Sommer 2016 aber eine mittelschwere Katastrophe: Unpräzise Steuerung plus aus dem Papierkorb gefischte Charakterdesigns sowie Level, die selten auf die Fähigkeiten des Hauptcharakters abgestimmt waren.
Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums nimmt Capcom mit Mega Man 11 die Zügel aber nun wieder selbst in die Hand. Das Resultat ist weit von dem Kickstarter-Murks entfernt und transportiert den ehrwürdigen Plattform-Klassiker angemessen in unsere Zeit. Es ist die Fortsetzung, auf die Fans jahrelang gewartet haben - und trotzdem fehlt das gewisse Etwas, um auch neue Fans gewinnen zu können.
Einfache Handlung. Schwere Ziele.
Die Handlung von Mega Man 11 ähnelt der seiner Vorgänger: In einer entfernten Zukunft entwickelt Dr. Light putzige Roboter mit eigenständigem Bewusstsein, während sein Rivale Dr. Wiley ihnen jeglichen Willen entziehen will. Sklaven sollen es sein! Und die ganze Welt kann sich bei dieser Gelegenheit auch gleich vor ihm verbeugen.
Dr. Wiley entführt bis auf Mega Man (der ist grade mit Reinemachen beschäftigt) alle Roboter seines Konkurrenten und hetzt sie gegen ihn auf. Der blaue Blechjunge muss nun seinen alten Freunden den Garaus machen, die sich in eigene Welten verkrümelt haben.
Diese Levels passen optisch zu den Sonderfähigkeiten ihrer Bewohner: Torch Man ist gut darin alles abzufackeln, also geht in seiner Welt gleich ein ganzer Wald in Flammen auf. Im Level von Blast Man sieht's aus wie in einer Filmkulisse, bei der alles in die Luft fliegt. Bounce Man? Bei ihm ist alles kunterbunt und voller Trampoline.
Weniger gemütlich ist es bei Acid Man, dort warten Säureseen darauf, Mega Mans Metallhaut anzuknabbern, während Hilfsroboter ihn mit Chemikalien beschießen. Diese Schergen sind ebenso Teil jeden Levels und sowohl optisch als auch bei ihren Fähigkeiten der jeweiligen Welt angepasst. In einer Eiswelt rieseln sie zum Beispiel als überdimensionale, explodierende Schneeflocken vom Himmel.
Neue Fähigkeiten. (Beinahe) alter Schwierigkeitsgrad.
Acht Welten gibt es, und sie sind alle witzig aufbereitet. Aber auch ziemlich kurz. Selbst mit Zwischenbossen und Endgegnern lassen sie sich jeweils in weniger als 10 Minuten bewältigen. Zuschlag gibt es in Dr. Wileys superfinsterer Festung, die in vier weitere Stages unterteilt ist. Insgesamt braucht man etwa zwei Stunden für das Spiel.
Der Umfang klingt nach wenig, ist aber für die Serie üblich. Auf die gesündere Spielzeit von fünf Stunden kommt man durch die vier Schwierigkeitsstufen und zusätzlichen Herausforderungen. Letztere verändern die Spielregeln, etwa indem Mega Man keine Zeitlupe ausführen darf. Ja, da gehen die alteingesessenen Fans der Serie an die Decke: Echte Fingerakrobaten spielen Mega Man ohne Firlefanz wie Zeitlupe! Stimmt, aber durch dieses Element wird das Spiel auch für Einsteiger zugänglicher.
Auch die Möglichkeit, Waffen für eine kurze Zeit stärker zu machen, kommt Neulingen entgegen. Außerdem gibt es außerhalb der Level einen Shop für Hilfsmodule, die Mega Man noch eine Spur schießwütiger, schneller, robuster, einfach mehr mega machen. Die Währung für den Kram sammelt man während der Level ein.
Erst denken, dann schießen.
Alles zu leicht? Die Module lassen sich nach dem Kauf wieder ausschalten, und die zusätzlichen Herausforderungen bringen Retro-Enthusiasten den Kick. Diese Challenges machen das ohnehin schon kniffelige Spiel noch kniffeliger, denn bereits auf der mittleren Schwierigkeit ist durchdachtes Vorgehen extem wichtig.
Die Level sind in einzelne, teilweise über mehrere Bildschirmlängen scrollende Räume unterteilt, von denen jeder eine spezifische Herausforderung bereithält. Plattformen, Gegner, Geschosse, Trampoline, Fahrstühle oder Fallen - alles ist so angeordnet, dass gutes Timing und geplantes Vorgehen nötig ist. Wer einfach drauflos sprintet, wird mit Sicherheit mitten im Sprung erwischt und landet im Graben. Unfair ist das Spiel dabei nie; es verlangt jedoch sehr viel Aufmerksamkeit.
Mega Man kann eigentlich nicht mehr als laufen, springen, auf dem Boden entlang schlittern und ballern. Wobei die Ballerei abwechslungsreicher ist, als sie klingt, denn mit jedem erlegten Endgegner erwirbt der blaue Roboterjunge dessen Fähigkeiten. Über die Schultertasten oder über ein Ringmenü kann man dann zwischen unterschiedlichen Waffen wechseln.
Damit Feuerkanone, Elektroschock, Schlagbohrer oder anderer Schabernack nicht zu übermächtig werden, schränkt eine eigene Energieleiste ihren Einsatz ein. In seiner normalen Form kann Mega Man außerdem noch seinen Robo-Hund herbeirufen. Den nutzt er dann als Trampolin oder surft auf seinem Rücken durch den Level. Sieht bescheuert aus, ist aber praktisch.
Speedrunner werden sich freuen
Klingt gut? Ist es auch. Mega Man 11 macht richtig Spaß und ist eine Rückbesinnung auf seine Stärken - einsteigerfreundliche Zeitlupenfunktion hin oder her. Die Steuerung, Physik und Kollisionsabfrage sind so gut aufeinander abgestimmt, so dass mit ein wenig Übung präzise Manöver möglich sind. Das macht das Spiel ideal für Speedruns, deren Zeiten in einer Online-Rangliste Platz finden. Beim Trainieren mit immer neuen Durchgängen hilft die Optik des Spiels.
Die Hintergründe wirken zwar manchmal etwas trist, aber die Kreaturen und ihre Animationen sind unheimlich putzig. Dabei läuft Mega Man 11 (selbst auf der Switch) superflüssig über den Schirm, während bassige Neuauflagen des klassischen Retro-Soundtracks die Zehen zum Wippen bringt. Kurzum: Es ist technisch sauber und spielt sich erstklassig. Da bleibt dem Nachahmer Mighty No. 9 nichts weiter übrig, als sich noch tiefer in das Erdloch zu verkriechen, in den Mega Man-Fans es zu Recht verbannt haben.
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