Spielmechaniken: Zwischen Freiheit und menschlichen Bedürfnissen
"Mal schnell noch dies oder das", funktioniert in Kingdom Come 2 grundsätzlich nie. Wir müssen nämlich zwischen Missionen immer darauf achten, dass Heinrich ausgeschlafen, sein Magen gefüllt und seine Ausrüstung in gutem Zustand ist.
Das nächste Bett, in dem der Protagonist legal schlafen kann, um Fitness und Gesundheit zu regenerieren, kann bei einer Quest in einem abgelegenen Waldstück schon mal in weiter Ferne sein. Lebensmittel in Heinrichs Tasche verderben außerdem nach einiger Zeit.
Wer besonders zu Beginn nicht ständig gnadenlos aufs Dach bekommen will, muss clever planen und sich vorbereiten. Das ist besonders fordernd, weil Heinrich mit leeren Taschen startet und Groschen – die Währung im Spiel – nicht so leicht verdient sind.
Ein Punkt, der dabei zusätzlich für Frust sorgen kann, ist das etwas umständliche Speichersystem. Wir haben nur einen Spielstand, auf dem das Spiel gelegentlich Autosaves anlegt, die aber nur in großen und unregelmäßigen Abständen.
Manuell speichern können wir nur im eigenen Bett oder mit einem Gebräu namens Retterschnaps, das wir erst mal aus gesammelten Kräutern brauen oder kaufen müssen. Das soll zwar dafür sorgen, dass wir mit den Konsequenzen unserer Handlungen leben müssen, kann aber auch nerven, wenn wir dank einer zufälligen Banditenbegegnung fernab der nächsten Ortschaft ordentlich Spielfortschritt verlieren.
Verhandlungsgeschick und Heimlichkeit
Dafür fühlen sich Nebenmissionen in der offenen Welt aber auch wie ein Abenteuerspielplatz an, auf dem wir uns austoben können. Vieles lässt sich dabei auch kampflos lösen.
Bittet uns ein Questgeber beispielsweise, eine bestimmte Waffe zu stehlen, können wir nicht nur annehmen oder ablehnen, sondern ihn auch verpfeifen. Oder uns mit der Person, die wir bestehlen sollen, verbünden und dem Auftraggeber eine billige Replik anzudrehen.
Oft stecken allein schon zahlreiche Lösungswege in Dialogoptionen mit unterschiedlichen Beteiligten. Wie erfolgreich wir verhandeln, hängt von Heinrichs Charakterwerten in mehreren Bereichen ab. Ein kompliziertes fachliches Argument benötigt zum Beispiel einen hohen Wissenschaftssert, eine Drohung dagegen eine hohe Zahl bei “Einschüchtern”.
Wir können aber von vornherein auch Taten sprechen lassen und uns beispielsweise nachts, wenn alle schlafen, anschleichen, um den Gegenstand zu stibitzen. Dabei kommen dann das Schlösserknacken- oder Taschendiebstahl-Minispiel zum Einsatz.
Bei Ersterem haben wir mit dem Controller aber wie schon im Vorgängerspiel das Gefühl, uns die Finger zu brechen. Was haben wir geflucht, wenn uns ein Dietrich nach dem anderen zerbrochen ist. Das bessert sich zwar, sobald der entsprechende Skill gelevelt ist, wirkt von der Bedienung aber trotzdem nicht ideal.
Sprache & Barrierefreiheit: In Sachen Barrierefreiheit bietet Kingdom Come: Deliverance 2 nur ein paar Basics. Einen eigenen Accessibility-Reiter gibt es nicht, aber ein paar Parameter lassen sich an anderer Stelle einstellen:
- sichtbares Fadenkreuz
- automatische Wegfindung
- Untertitel für Cutscenes und NPC-Gespräche
- Motion Blur: an/aus
Sprache: Kingdom Come 2 verfügt über eine herausragende englische und deutsche Sprachausgabe.
Heinrich ist, was wir aus ihm machen
Unsere Vorgehensweise und unser Verhalten gegenüber anderen Personen beeinflussen nicht nur den Ausgang von Missionen, sondern formen auch Heinrichs Charakter ganz unterschiedlich.
Wir können den Protagonisten hilfsbereit und einfühlsam spielen oder als egoistischen Widerling und teilweise sogar skrupellosen Brutalo.
Auch was romantische Abenteuer angeht, bietet Kingdom Come: Deliverance 2 Freiheiten: Heinrich kann so manchen intimen Moment mit Frauen, aber auch Romanzen mit Männern erleben. Oder wir geben anfangs an, dass Theresa aus Teil 1 auf ihn wartet und bleiben ihr wahlweise treu.
Kämpfen ist immer ein Risiko
Dass wir Kämpfe erst so spät in diesem Test erwähnen, hat einen Grund: Direkte Konfrontationen bergen (fast) immer ein Risiko und sind daher abseits von obligatorischen Story-Gefechten meist nur die letzte Notlösung. Zumindest, solange Heinrich noch nicht richtig gut aufgelevelt ist – worauf wir später noch mal zu sprechen kommen.
Gerade am Anfang knickt er bei Gefechten so schnell um, wie ein Grashalm im Wind. Die Kämpfe funktionieren nach demselben Grundprinzip wie im ersten Teil: Im Nahkampf ist das Schwert die wichtigste Waffe und wir messen uns mit Gegnern, indem wir diese gut beobachten und gezielt in einer von vier Schlagrichtungen angreifen.
Paraden, Konter, beziehungsweise spezielle direkte Gegenangriffe, angetäuschte Schläge und gutes Ausdauermanagement entscheiden über Sieg und Niederlage. Das System ist für Neulinge gewöhnungsbedürftig und erfordert schnelles Taktieren, ist aber richtig befriedigend, wenn man es mal gemeistert hat.
Es fühlt sich außerdem präziser an als noch im etwas hakeligen Vorgänger. Bereits die Entscheidung, von früher fünf auf jetzt vier Schlagrichtungen zu reduzieren, ist eine sinnvolle Vereinfachung, da man in Teil 1 doch im Eifer des Gefechts mal die falsche erwischen konnte.
Was aber im Duell richtig gut funktioniert, wird im Kampf mit mehreren Feinden aber schnell ziemlich frickelig. Hier kommt auch die Steuerung an ihre Grenzen, wenn wir wegen der automatischen Gegneraufschaltung nahezu an unserem Gegenüber "kleben", einfach nicht wegkommen, nur um dann einen tödlichen Schlag von der Seite zu kassieren.
Auch der Fernkampf, etwa mit Bögen oder Armbrüsten, fühlt sich für uns nicht ganz befriedigend an. Hier fehlt uns nämlich Feedback beim Spannen und bei Treffern. Neben den genannten Waffen gibt es übrigens beispielsweise auch Stangenwaffen wie Hellebarden, schwere Waffen wie den Kriegshammer oder erste martialische Feuerwaffen.
Übung macht den Meister – auch dank extrem nützlicher Perks
Was uns bei unserem Spieldurchlauf besonders und auch durchgehend motiviert hat, sind das Perk-System und weitere nützliche Verbesserungen, die sich richtig stark bemerkbar machen. Bei nahezu jeder Tätigkeit gewinnt Heinrich ganz nebenbei Erfahrung und steigert entsprechende Werte.
Eine Reise zu Pferd wirkt sich beispielsweise auf “Reitkunst” aus, hetzt er seinen Hund Köter auf Feinde, was bei mehreren Feinden lebensrettend sein kann, schaltet er “Hundeflüsterer”-Perks frei. Beim Lesen von Büchern verbessert er “Wissenschaft”.
Selten haben wir uns in einem RPG bei jeder Freischaltung mit so großem Appetit aufs Perk-Menü gestürzt. Die Punkteverteilung fiel teilweise richtig schwer, weil so viel Sinnvolles zur Wahl stand:
Gesundheitswiederherstellung unter bestimmten Bedingungen, unauffälligeres Schlösserknacken, schnellere Ausdauerregeneration oder mehr Geschick in Verhandlungen mit Wachen. Wirklich alles kann in einer Situation den entscheidenden Unterschied machen und sorgt zudem für ein sehr befriedigendes Fortschrittsgefühl.
Wir kamen daher mit dem einen Schwierigkeitsgrad durchweg gut zurecht und haben fordernde Quests eher als spannende Herausforderung erlebt, die sich kreativ oder mit etwas Anpassung lösen ließen.
Wer viele Nebenmissionen absolviert oder sich einfach in der Entdeckung der Welt oder Nebentätigkeiten wie Schmieden oder Tränke brauen, verliert, kann mit Heinrich daher auch eine echte Reise “from Zero to Hero” erleben. Auch Kampftrainings zahlen sich aus. Wer dagegen sehr zügig der Hauptstory folgt, hat es schwerer, trotzdem ist es möglich, denn als unschaffbar schwer haben wir das Spiel nicht empfunden.
Nicht perfekt, aber in manchen Bereichen herausragend
Kingdom Come: Deliverance 2 fühlt sich immer dann herausragend an, wenn uns das Spiel in die extrem lebendige offene Welt schmeißt und unseren eigenen Weg suchen lässt. Gerade in sehr freien Sidequests, optionalen Dialogen oder bei Zufallsbegegnungen und Nebentätigkeiten zeigt sich das ungewöhnliche RPG von seiner Schokoladenseite.
Die lineareren Hauptmissionen bilden zwar einen stimmigen roten Faden mit einigen Highlights, können im Vergleich zum Großteil der Nebenmissionen aber nicht ganz mithalten.
Die teilweise fummelige oder umständliche Controllersteuerung bei manchen Tätigkeiten oder im Menü, können auch mal nerven. Auf diese durchaus auch gewollte Sperrigkeit muss man sich einlassen, um Kingdom Come: Deliverance 2 wirklich genießen zu können.
Wenn euch das gelingt , dann verliert ihr euch wie wir schon nach zwei Pferdelängen wieder komplett in dichten Wäldern, hinter dicken Burgmauern oder über der knisternden Esse – und die kleineren Kritikpunkte treten in den Hintergrund.
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