Gris ist die Geschichte eines Mädchens, das in einer leeren Welt sucht, was sie verloren hat. Das wird jedoch nicht mit Text oder gar vertonten Zwischensequenzen erzählt, wir fühlen es viel mehr schon in den ersten Spielminuten: Die junge Gris wandert anfangs allein durch eine leere, graue Welt voller Ruinen. Sie fällt immer wieder hin, rappelt sich verzweifelt auf, wirkt kraftlos und traurig.
Aber sie gibt nicht auf. Immer wieder kämpft sie sich über steinerne Pfade, auf der Suche nach einer riesigen Frauenstatue. Nur in deren riesiger Hand scheint ihr ein kurzer Moment der Geborgenheit vergönnt zu sein.
So eine Statue steht am Ende jedes Levels und lässt uns als Belohnung eine Farbe in die triste Welt bringen. Als erstes kehrt Rot in die graue Umgebung vom Anfang zurück, und wir können uns im nächsten Level schon durch eine zweifarbige Kulisse bewegen.
Diesen Weg inszeniert Gris durch den Aquarell-Look extrem stimmig, dazu passt der dynamische, abwechslungsreiche Soundtrack. Zusammen mit der tragischen, emotionalen Geschichte erzeugt die Präsentation die einzigartige Atmosphäre des 2D-Plattformers - auch wenn es spielerisch keinen Innovationspreis gewinnt.
Eine emotionale Reise
Gris erzählt diese Geschichte über Verlust, Einsamkeit und Verarbeitung von Schmerz über starke Bilder und das Spielgeschehen statt Worte. Als Spieler sehen wir, dass Gris anfangs am Boden zerstört ist. Aber mit jedem Level werden ihre Schritte leichter.
Sie lernt neue Dinge, kann plötzlich höher springen, sich in einen Felsblock verwandeln oder sogar singen. Zusätzlich füllt sich die Welt mit immer mehr Leben und Farben. Durch unser Handeln kehrt sie zu ihrem alten Glanz zurück, der sich vorher nur anhand von Ruinen erahnen ließ.
Obwohl die Erzählweise ungewöhnlich ist, bleibt es eine klassische Geschichte, die jeder nachvollziehen kann. Wir alle mussten schon mit schmerzhaften Erinnerungen fertigwerden. Genauso wie Gris den Verlust ihrer Welt überwinden und sie schließlich wieder aufbauen muss.
Damit kommt sie uns selbst ohne Worte als Figur sehr menschlich und verletzlich, aber auch stark vor. Wir fühlen mit ihr und wollen, dass sie ihren Weg findet.
Tanz aus Klang und Farbe
Aber Gris wäre nur halb so emotional, wenn Optik und Akustik die Atmosphäre nicht so intensiv unterstützen würden. Der Soundtrack schwillt zu einem mitreißenden Crescendo an, wenn Gefahr droht. Dann wird die Melodie wieder wehmütig oder sogar fröhlich und leicht.
Optisch verzaubert Gris durch einen handgezeichneten Aquarell-Look, der mit jeder Farbe noch beeindruckender und malerischer wird. Wenn ein riesiger Mond auf eine blumenbehangene Stadt scheint, die von Lichtern und Schmetterlingen umtanzt wird, wirkt das schon fast kitschig.
Der insgesamt minimalistische Stil rettet den Eindruck aber und lässt Gris stattdessen wie ein sehr durchdachtes interaktives Kunstwerk wirken, das mit jedem Level bewusst noch eines draufsetzen will.
Jeder Level macht die Welt bunter
Spielerisch ist Gris ein Plattformer, der sich in nach Farben (Grau, Rot, Grün, Blau, Gelb) in passende Level aufteilt. Mit jedem Abschnitt kommt eine neue Farbe hinzu, die Welt wird also immer bunter. Der graue Anfang fungiert als Tutorial und zeigt uns, dass wir aufmerksam spielen sollten.
Selbst scheinbare Hintergrundelemente können sich als Plattform entpuppen, mit der wir etwa versteckte Bereiche oder Abkürzungen erreichen. Später wird Gris immer komplexer: Müssen wir anfangs nur Sprünge gut timen und Windböen ausweichen, kommen dann verschwindende Plattformen oder sogar richtige Rätsel hinzu.
In jedem Level gibt es zunächst Plattform-Passagen, die thematisch passende neue Mechaniken einführen. Die grüne Welt bietet zum Beispiel verschwindende Baumkronen als Plattformen, für die wir Sprünge richtig timen müssen.
Zusätzlich können wir an manchen Stellen Äpfel herunterschütteln, um eine kleine roboterartige Klötzchenkreatur anzulocken, die dann für uns Hindernisse aus dem Weg räumt. Einen Hinweis braucht es hier nicht: Wir verstehen intuitiv, was wir tun müssen. Das Rätseldesign ist an jeder Ecke klar verständlich und gut umgesetzt.
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So sammeln wir anfangs in jedem Level zwei kleine Sterne ein, die wir dann gegen eine neue Kraft für unser Kleid eintauschen dürfen. Gris lernt zum Beispiel, sich in einen schweren Block zu verwandeln, mit dem man unter anderem brüchige Oberflächen durchstoßen kann.
Wir bekommen mit der Zeit aber auch noch einen Doppelsprung oder lernen Schwimmen und Tauchen. Oder wir nutzen überall versteckte rote Vogelschwärme für einen Boost, der Gris hoch in die Luft trägt.
Über die Fähigkeit "Gesang" dürfen wir die Welt sogar direkt verschönern, indem wir Blumen oder Kreaturen wieder zum Leben erwecken. Gemeinsam mit den Farben, die mit jedem abgeschlossenen Level zurückkehren, gibt uns das Singen das Gefühl, dass wir wirklich etwas verändern.
Im Metroidvania-Stil können wir damit an bislang unerreichbare Orte zurückkehren und weitere Sterne einsammeln, um das Level abzuschließen und nach und nach eine Brücke in den Himmel zu bauen. Hinzu kommen noch optionale Sterne als Sammelobjekte, die an besonders happige Herausforderungen gekoppelt oder gut versteckt sind.
Kreative Rätsel, große Gefühle
Die wenigen, simplen Fähigkeiten harmonieren überraschend gut miteinander und lassen sich kreativ einsetzen. Wir betreten einmal zum Beispiel ein Areal, in dem alle paar Sekunden ein Kristall-Abbild von uns erzeugt wird.
Stehen wir einfach rum, steht dort dann eine Kristall-Version von uns - zumindest einige Sekunden lang, dann wiederholt sich das Spiel und die nächste Pose wird festgehalten. Das können wir für uns nutzen, indem wir Gris in einen Felsblock verwandeln, sobald die Kristallisierung einsetzt (dann wird der Bildschirm kurz weiß). Dadurch haben wir im Prinzip aus uns selbst eine Plattform erschaffen und können über den Fels-Gris-Würfel nach oben klettern.
Mit so ungewöhnlichen Ideen glänzt das Abenteuer immer wieder, allerdings hat man Vieles davon schon in vergleichbaren Titeln gesehen. Dazu kommt, dass Gris sich sehr einfach spielt, weil das Design der Rätsel so intuitiv nachvollziehbar ist. Dadurch kommen wir in der Regel schnell auf die Lösung. Nur Sprung-Timing und -Präzision sorgen für Herausforderung, durch die genaue Steuerung hüpfen wir aber in der Regel frustfrei durch die Welt.
Zudem gibt es weder Tod noch richtige Feinde. Uns verfolgt zwar hin und wieder eine schwarze Schattenkreatur, was für Dramatik sorgt, vernichten kann sie uns aber nicht. Im schlimmsten Fall werden wir ein paar Plattformen zurückgeworfen. Wir müssen dadurch aber nie allzu viel wiederholen, und auch die Speicherpunkte sind fair gesetzt. So wird Frust vermieden und nie zu viel Tempo aus dem Spielgeschehen genommen.
Für hartgesottene Plattformer-Fans liefert Gris damit eher ein emotionales Erlebnis als einen spielerischen Kick. Durch das geniale Art-Design und die kurze Spielzeit können dafür aber auch Gelegenheitsspieler und Plattform-Muffel ihre Freude mit Gris haben. Es lohnt es sich vor allem für die Gefühle, die beim Spielen ausgelöst werden, und die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
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