Überflüssiges aus der Flasche
Aber das Spiel ist nicht nur Gedankenexperiment und wilder Philosophie-Mischmasch, es ist auch ganz viel Shooter; mehr noch als es sein Unterwasser-Vorgänger in Rapture war. Bis auf ganz wenige Momente, die wir an dieser Stelle nicht entzaubern wollen, verzichtet Infinite auf moralische Entscheidungen. Little Sisters töten oder nicht? Solche Dilemmas suchen wir vergeblich. Stattdessen geht's mit Bleispritzen in offene Auseinandersetzungen. Über große Strecken mit Elizabeth an unserer Seite. Die ersten Schießereien müssen wir allerdings ohne die reizende Begleiterin bestreiten, aber dafür drückt uns das Spiel schon früh unsere erste Spezialfähigkeit in die Hand.
Mit einem Schluck aus einer grünen Flasche verleiben wir uns »Beherrschung« ein und können anschließend Automaten und Menschen manipulieren. Beherrschen wir einen Automaten, dann spuckt er Geld aus oder wechselt kurzerhand die Seite, falls es sich um ein stationäres oder fliegendes Geschütz handelt. Von uns beherrschte Menschen wechseln ebenfalls die Seite und begehen nach Abklingen des Effekts einen sehr spektakulären (und teils extrem brutalen) Selbstmord. Ja, auch dieses Bioshock ist nun wirklich kein zimperliches Spiel.
Im weiteren Verlauf kommen insgesamt noch sieben Fähigkeiten hinzu: So können wir Krähenschwärme beschwören und auf Gegner hetzen, Brandbomben in unseren Händen materialisieren und damit um uns werfen, Feinde in die Luft schleudern und sie dort für eine Weile wehrlos rumhängen lassen oder Geschosse abfangen und sie dem Absender zurückschicken. Die jeweiligen Flaschen liegen übrigens auf unserem Weg, wir müssen sie also nicht kaufen. An den Bioshock-typischen Automaten erstehen wir stattdessen Munition und Upgrades für unsere Waffen sowie Verbesserungen für unsere Fähigkeiten (Beherrschung kostet dann beispielsweise weniger, Brandbomben verursachen höheren Schaden, von Krähen dahingeraffte Feinde werden zu Krähenfallen für weitere Feinde).
Das dafür nötige Kleingeld wiederum finden wir überall: in Automaten (Beherrschung, ihr wisst schon), in Schubladen, in Tresoren, in Leichen, in Geldbeuteln. Wer in Bioshock Infinite nicht genug Klimpermünzen im Säcklein hat, um nach Herzenslust einzukaufen und upzugraden, der macht was Grundlegendes falsch. Das Blöde daran: Wir brauchen den ganzen Spezialkräftekram eigentlich gar nicht. Als reiner Ballermann kommen wir mindestens genau so leicht durch das Spiel, nur eben weniger spektakulär; wobei die Spezialfähigkeiten ohnehin nicht sonderlich kreativ sind, das Experimentieren macht zum Beispiel bei Dishonored deutlich mehr Spaß.
Bioshock Infinite ist deshalb selbst auf dem höchsten von drei anfänglichen Schwierigkeitsgraden zu einfach. Den »bockenden Bronco« (schleudert Gegner in die Luft) beispielsweise zücken wir hauptsächlich, um die Kämpfe optisch cooler und somit unterhaltsamer zu gestalten. Spannender wäre es in jedem Fall, wenn unsere Gegner die immerhin dick in Columbia auf Plakaten und in Shows beworbenen Kräfte ebenfalls nutzen würden. Aber das tun bedauerlicherweise nur verschwindend wenige. Infinite verhält sich zum ersten Bioshock also ganz ähnlich, wie sich das erste Bioshock zu System Shock 2 verhielt: viele Spielelemente wurden vereinfacht, die dezenten Rollenspiel-Elemente so weit zurückgefahren, dass sich das Ergebnis nun endgültig wie ein Ego-Shooter spielt.
Wer's anspruchsvoller möchte, der muss Bioshock Infinite erst auf Leicht, Normal oder Schwer durchspielen, erst dann gibt's Zugriff auf den sogenannten 1999er-Modus. Der unterscheidet sich aber nicht so stark von den anderen Modi, auch wenn die Kämpfe dann doch spürbar härter werden. Nach einem virtuellen Tod ohne das für übliche Wiederbelebungen an Ort und Stelle grundsätzlich nötige Kleingeld geht's eben am letzten Speicherpunkt weiter. Also so, wie es in anderen Spielen eigentlich immer üblich ist. Toller wäre es obendrein, der 1999er-Modus wäre von vornherein verfügbar.
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