Geht es um zwischenmenschliche Beziehungen in Spielen, hat The Last of Us 2013 für viele neue Maßstäbe gesetzt. Die sensibel erzählte und vielschichtige Geschichte von Ellie und Joel, die sich gemeinsam durch eine brutale Zombieapokalypse kämpfen, hallte noch lange nach. Nur wenigen Spielen gelingt es Figuren wie hier zu erschaffen, die uns wirklich ans Herz wachsen.
A Plague Tale: Innocence vom französischen Indie-Entwickler Asobo Studios könnte jetzt aber ein würdiger Konkurrent für The Last of Us sein, wenn es um die emotionale Erzählkrone geht. Das Stealth-Adventure handelt von der Geschichte eines Geschwisterpaares, das im rauen Mittelalter zusammen ums Überleben kämpft. Dabei zeigt sich im Test schön, wie emotionale Tiefe manchmal über spielerische Schwächen hinweghelfen kann.
Technisch beeindruckend
Der erste Grund, warum uns die Figuren so ans Herz wachsen ist recht simpel: A Plague Tale sieht für eine Indie-Produktion mit kleinem Budget fantastisch aus. Gerade die Zwischensequenzen machen etwas her. Während die Gesichter der Figuren selbst in Hochglanzproduktionen manchmal noch steif und unmenschlich wirken, überzeugen Gestik und Mimik in A Plague Tale komplett und bringen uns die Helden besonders intensiv näher.
Nur abseits der Sequenzen wirken Gesichter und Animationen manchmal holprig, hier zeigt A Plague Tale seine Helden aber fast nur von hinten und fährt nicht zu nahe an Nebenfiguren heran.
Das Spiel ist zudem so gut optimiert, dass man zwischen den hohen Einstellungen auf dem PC und der Grafik auf PS4 und Xbox One kaum einen Unterschied merkt. Die malerischen Wälder, heruntergekommenen Städte oder unheimlichen Keller der Mittelalter-Welt sehen immer fantastisch aus. Sie strotzen nur so vor Licht-Effekten, Details und fast immer scharfen Texturen.
Hinzu kommt eine sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch sehr gut umgesetzte Sprachausgabe und ein passender Soundtrack, der mal traurige Momente melancholisch untermalt oder bei Gefahr zu einem dröhnenden Orchester anschwillt.
Allein gegen den Rest der Welt
Noch mehr als die Optik und Inszenierung überzeugt uns die Geschichte: Unsere Heldin ist die 14-jährige Amicia de Rune. Die lebt im mittelalterlichen Frankreich und erinnert mit ihrer wilden, ungestümen Art sogar etwas an Ellie. Statt wie andere adlige Mädchen brav daheim zu bleiben, jagt sie gemeinsam mit ihrem Vater und übt fleißig mit der Steinschleuder.
Währenddessen wird ihr kranker Bruder Hugo daheim von der Mutter gepflegt. Dadurch wird auch die Beziehung zwischen Schwester und Bruder beeinträchtigt. Sie sehen sich kaum und sind sich zunächst fremd.
Das muss sich aber schnell ändern, als die Inquisition plötzlich vor der Tür steht. Das Land wird von einer unheimlichen Plage heimgesucht: Rattenschwärme brechen aus dem Boden hervor und verschlingen alles Leben. Die Inquisition glaubt, dass Hugos Krankheit damit zusammenhängt, weshalb sie ihn gefangen nehmen will. Amicias Mutter verhilft den Geschwistern deshalb zur Flucht ins Ungewisse.
Unterwegs muss Amicia nicht nur nach einem Heilmittel für Hugo suchen, sondern auch eine Bindung zu ihrem Bruder aufbauen und viele Opfer für ihn bringen. A Plague Tale baut so wunderbar seine Figuren und deren Beziehung auf. Wir fühlen von Anfang an mit den Charakteren, weil die Entwickler sich Zeit nehmen, sie uns näherzubringen.
Blut ist dicker als Wasser
Der Fokus auf die Figuren zieht sich durch das ganze Spiel. Was zunächst nach einer lahmen Eskort-Mission klingt, wird zu einer emotionalen Reise. Wir sehen zum Beispiel, wie Amicia das erste Mal tötet und in Panik verfällt. Sie hat es für ihren Bruder getan, sie weiß das. Aber für sie ist es trotzdem unfassbar schlimm.
Ähnlich ergeht es ihr mit den anderen Herausforderungen und Gefahren, die sie für ihren Bruder überwindet. Wenn sie zum Beispiel ein Schwein in die Falle lockt, um blutrünstige Ratten mit einem Mahl abzulenken oder über Berge von Leichen klettert, um Hugo in Sicherheit zu bringen.
Alles in A Plague Tale dreht sich um die Beziehung der Geschwister und erhält dadurch Gewicht. Beispielsweise hält Amicia beim Schleichen permanent Hugos Hand oder hilft ihm über Hindernisse. Gleichzeitig hilft Hugo aber auch uns, wenn wir ihn durch kleine Mauerlöcher schicken, um Türen von der anderen Seite zu öffnen.
Die beiden werden ein eingespieltes Team beim Schleichen und lernen, einander zu vertrauen. Das macht A Plague Tale sogar besser als The Last of Us, wo Ellie manchmal sogar in den Gegnern hockt, ohne entdeckt zu werden - ein ziemlicher Bruch mit der Atmosphäre.
Der emotionale Eindruck von den Geschwistern wird noch durch optionale Story-Momente unterstützt. Wir dürfen zum Beispiel einen Apfel für den hungrigen Hugo pflücken oder er steckt uns eine Blume ins Haar und erzählt uns von ihrer Bedeutung.
Hugo fühlt sich wie ein echtes Kind an, das mal neugierig ist, mal quengelt und nicht alles versteht, während Amicia als große Schwester ganz natürlich die Rolle der Beschützerin einnimmt. Das macht die Beziehung der beiden, ihre Gefühle und unser Vorgehen glaubhaft. Außerdem werden die beiden immer selbstbewusster, je weiter die Handlung voranschreitet, was auch spielerisch deutlich wird. Am Ende sind sie es leid, wegzulaufen und stellen sich gemeinsam mutig allen Gefahren.
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