Ein Menschenleben nehmen
Der sichere Umgang mit der Waffe ist wichtig, wie wir gleich lernen, denn auf der Insel treiben struppige Wölfe ihr Unwesen, auf deren Speisekarte junges Mädchenfleisch ganz oben steht. In einer besonders furchteinflößenden Situation steckt Lara mit dem Fuß in einer Falle fest, während es im nächtlichen Unterholz um sie herum immer lauter raschelt.
Ein Knurren ertönt, die Äste des Gebüschs bewegen sich. Dann springt ein geifernder Wolf auf seine scheinbar wehrlose Beute zu. Doch mit einem schnellen Tastendruck ist der Bogen zur Hand, und während das Raubtier in Zeitlupe in Richtung Laras Kehle springt, bleibt genug Zeit, das Fadenkreuz direkt in seinem Schlund zu positionieren, den Bogen zu spannen und das Biest mit einem Schuss zu Fall zu bringen.
Solche Momente sollen die Hilflosigkeit der späteren Abenteurerin verdeutlichen, ihre Angst auf den Spieler projezieren. Das klappt auch recht gut. Besonders eine Szene, in der Lara einem muskulösen Mann gegenüber steht, gewürgt wird und sich in ihrer Chancenlosigkeit nicht anders zu helfen weiß, als dem Typen das Ohr abzubeißen. Er geht zu Boden, seine Waffe gerät in Laras Reichweite. Der Bursche richtet sich auf, will seinem Opfer den Garaus machen. Fast instinktiv ballert sie ihm eine Kugel in den Unterleib.
Doch der Mann gibt nicht auf, ringt mit ihr um die Waffe. Hier ist wieder schnelles Tastendrücken angesagt, um die Pistole in einem Kräftemessen auf das Gesicht des Gegners zu richten und schließlich abzudrücken. Die Schädeldecke zerplatzt, Blut und Gehirn spritzen. Lara Croft hat soeben einen Menschen umgebracht. Zitternd steht sie auf, ist fassungslos. Sie hat ein Leben genommen, um ihr eigenes zu retten.
Dann verhärtet sich ihre Miene, und als sie mit der Waffe in der Hand und einem entschlossenen Gesichtsausdruck da so steht, kommt uns Lara Croft zum ersten Mal wie eine alte Bekannte vor. Und zwar die, die wir zu Beginn des Spiels so schmerzlich vermissten. Es brauchte also einen Mord (wenn auch in Notwehr), um aus dem süßen Mädchen die toughe Frau zu machen, die wir als »Tomb Raider« kennen.
Die alte Liebe kehrt zurück
Zugegeben: Zunächst war uns der grimmige, fast schon todernste Unterton des Spiels sehr suspekt. Teilweise spielt das ganze schon bedenklich in Richtung solcher Terrorfilme wie »The Hills have Eyes« oder »Texas Chainsaw Massacre«. Das sollte der Neubeginn unserer liebgewonnenen Action-Adventure-Reihe sein, die sich statt in der Realität schon immer hart an der Grenze zu einer bunten Comic-Welt bewegte? Lara muss Folter, Angst und schlimme Verletzungen erleiden, um zu der lässigen Frau zu werden, als die wir sie kennen? Schwer vorstellbar.
Obwohl serientypische Elemente wie das Klettern im Wald, versteckte Kisten und über die Insel verstreute Sammelobjekte (wie etwa drei japanische Masken, über die Lara bei ihrer Erkundungstour mehr oder weniger stolpert) vorhanden sind, ist uns das zunächst alles etwas zu viel. Zu viel Dunkelheit auf einmal, zu viel Brutalität. Doch als uns Lara am Ende der Demo mit diesem vertrauten Gesichtsausdruck und der Waffe in der Hand anblickt, wissen wir, dass das Experiment »Neubeginn« durchaus funktionieren kann.
Und wie man uns versichert, werden im Lauf des Spiels Schritt für Schritt vertraute Elemente eingeführt. Man erfährt, wie die neue Lara tickt und wie sie schließlich zu unserer vertrauten Lara wird. Endlich wagt jemand ein echtes Experiment mit einer der traditionsreichsten aktuellen Videospiel-Serien. Wir ziehen unseren Hut und drücken alle Daumen. Und sind gespannt. Sehr.
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