Über die Tomb Raider-Reihe braucht man eigentlich keine großen Worte mehr verlieren – oder doch? Was wohl jeder weiß, ist, dass mit Tomb Raider auch das Phänomen Lara Croft geboren wurde. Die agile Archäologin sorgte für Aufsehen, da sie einer der damals wenigen weiblichen Spielehelden war und vom Entwicklerteam Core Design mit üppigem Vorbau ausgestattet wurde.
Lara wurde gehypt bis zum Gehtnichtmehr: Sie trat beim amerikanischen Verlag »Top Cow« in einer eigenen Comicserie auf, es gab Fanartikel, die von der Actionfigur (sogar Lara-Puppen mit kämmbarem Haar lagen zeitweise in den Regalen der Händler), über den obligatorischen Wandkalender mit Postermotiven oder das flauschige Badetuch bis hin zur originalgetreuen Sonnenbrille reichten.
Selbst für einen Gastauftritt im Musikvideo der Ärzte zu »Männer sind Schweine« und als Werbefigur für Seat oder das Frauenmagazin Brigitte war sich die virtuelle englische Aristokratin nicht zu schade. Sogar ein (kurzlebiges) offizielles Lifestyle-Magazin erschien unter Lady Crofts Namen.
Für eine Kunstfigur aus dem Rechner ziemlich beeindruckend, doch die bisherigen Höhepunkte im Lebenslauf der Grabräuberin, die es übrigens um ein Haar gar nicht gegeben hätte (dazu gleich mehr), sind wohl die beiden Kinofilme mit Hollywoodstar Angelina Jolie in der Hauptrolle. Lara Croft: Tomb Raider (2001) und Lara Croft: Tomb Raider – Die Wiege des Lebens (2003) spielten zusammen weltweit knapp 450 Millionen US-Dollar ein.
Die Popularität der Figur Lara Croft ist zwar mittlerweile nicht mehr auf dem Niveau, das sie kurz nach Veröffentlichung der ersten Spiele der Tomb Raider-Reihe hatte, doch auch wenn Lady Croft nicht mehr allgegenwärtig sein sollte, ist zumindest ihr Name immer noch jedem Spielefan ein Begriff. Der düstere Neustart mit der jungen, realistischeren Lara Croft in der Hauptrolle dürfte das Tomb Raider-Fieber wieder neu entflammen lassen.
Tomb Raider - Featuring Lara Croft (1996)
Systeme: PC, PlayStation, Saturn
Story
Die Abenteurerin Lara Croft begibt sich im Auftrag der Großindustriellen Jaqueline Natla in Peru auf die Suche nach einem sagenumwobenen Artefakt, dem sogenannten Scion von Atlantis. Als sie das antike Ding schließlich in den tiefsten Tiefen eines weitläufigen Höhlensystems findet und zurückkehren will, wartet ein Killer auf sie, der ebenfalls für Natla arbeitet.
Es stellt sich heraus, dass noch zwei weitere Teile des Scion existieren, die zusammengesetzt den Weg zu unvorstellbarer Macht öffnen. Die Suche nach den Bruchstücken führt Lara nach Griechenland, Ägypten und schließlich in das versunkene Reich Atlantis selbst.
Gut zu wissen
Tomb Raider sollte die Videospielversion eines Indiana Jones-Films werden. In der Hauptrolle: ein männlicher Draufgänger mit Army-Hintergrund, Peitsche und Hut – sehr originell! Doch das Entwicklerteam entscheidet sich bekanntlich anders: Vor allem, weil Jeremy Smith, seines Zeichens Mitbegründer von Core Design, der Charakter zu sehr an einen gewissen Kinohelden erinnert und man sich außerdem darauf einigt, dass die Spielfigur viele der Hindernisse mit akrobatischen Fähigkeiten umgehen soll, wird die agile, südamerikanische Draufgängerin Laura Cruz geboren.
Naja, und auch um dem Spieler einen »hübschen Anblick« zu verschaffen, da er der Heldin, die Lara-Erfinder Toby Gard als eine Mischung aus Sängerin Neneh Cherry und der Comicfigur Tank Girl sieht, ja die gesamte Spieldauer über auf den Hintern schauen muss. Zur Selbstverteidigung gibt man der Heldin zwei Automatikpistolen mit unendlicher Munition mit auf den Weg.
Namen und Erscheinungsbild ändert Core Design bereits kurze Zeit später, da die Heldin einen britisch-aristokratischen Hintergrund haben soll – Lara Croft ist geboren. Laut ihrer Biografie kamen die Eltern der jungen Lara bei einem Flugzeugabsturz im Himalaya ums Leben. Hier musste Lara zum ersten Mal beweisen, dass sie stärker und zäher ist, als sie aussieht. Ihre beiden überproportionierten weiblichen Merkmale sind laut Chefentwickler Toby Gard übrigens das Resultat eines verrutschten Schiebereglers im Designprogramm.
Die »Panne« wird fürs fertige Spiel beibehalten und gerät schließlich neben Laras Pferdeschwanz zum bekanntesten Markenzeichen der Figur. Apropos Pferdeschwanz: Wegen technischer Limitierungen trägt Lara im ersten Spiel einen Haarknoten, der lange Zopf ist nur in den vorgerenderten Zwischensequenzen zu sehen. Tomb Raider – Featuring Lara Croft kommt im Oktober 1996 exklusiv für den Sega Saturn in den Handel. PSone- und PC-Versionen folgen erst vier Wochen später, sind dafür aber im Gegensatz zur Saturn-Fassung deutsch synchronisiert und haben eine marginal bessere Optik.
Die Spielmechanik ist 1996 etwas völlig neues: Nie zuvor konnte man sich so frei in einer Spielwelt bewegen. Aus heutiger Sicht ist diese Freiheit natürlich relativ, denn im Grunde hetzt Lara durch fallengespickte, schlauchige Areale und muss dabei Rätsel lösen sowie gelegentlich ballern, um weiterzukommen.
Der Reiz von Tomb Raider liegt darin, dass man selbst herausfinden muss, wie es weitergeht. Man wird nicht mit der Nase auf die Lösung der Rätsel gestoßen, sondern muss durch viel Ausprobieren selbst austüfteln, wie die antiken Mechanismen funktionieren, was man besser nicht tun sollte und welche Objekte mit welchen Artefakten kombiniert werden müssen, um den Weg frei zu machen.
Das dabei zwangsläufige »Backtracking« ist aus heutiger Sicht vielleicht nervig, macht damals aber das Forschererlebnis aus, bei dem man sozusagen selbst zu Indiana Jones wird und im vergessenen Tal sogar auf lebendige Dinosaurier trifft.
Eine erweiterte Version mit eher belanglosen Zusatzlevels (Unfinished Business) erscheint unter dem Titel Tomb Raider: Premier Collection für den PC.
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