The Tomorrow Children verbirgt hinter einer absolut stilsicheren Optik die frustrierendsten Spielstunden, die ich seit langer, langer Zeit in einer virtuellen Welt verbracht habe. Doch Moment: Ein Schelm könnte nun behaupten, dass dieses Spiel gar keinen Spaß machen soll, denn es geht immerhin um Kommunismus, Propaganda, Gehirnwäsche und Arbeitslager – und das soll und darf doch gar nicht unterhalten? Hat das Spiel dann nicht etwa alles erreicht, was es wollte? Leider nein, in keinster Weise. Aber lasst mich dort beginnen, wo alles anfängt: im Nichts.
Ein scharfkantig gezeichnetes Männergesicht starrt mich hinter dem Bildschirm eines altmodischen Monitors an und erinnert an die Bösewichte aus russischen Zeichentrickfilmen, wie sie sich Nicht-Russen vorstellen würden. Brüllend werde ich, ein puppenhaftes Mädchen, mit den Grundregeln der Gesellschaft von The Tomorrow Children vertraut gemacht. In Zukunft werde ich offenbar vor allem zwei Dinge tun: Rohstoffe abbauen und mit diesen Rohstoffen Dinge bauen. Die von mir gebastelten Gegenstände sollen dann eine der vielen Städte verschönern, in der ich mich gemeinsam mit anderen Spielern niederlasse – klingt eigentlich ziemlich nett, doch ein erster Blick auf die Landschaft sorgt bereits für enttäuschtes Ausatmen.
Ein weißes Nichts erstreckt sich von meinen Füßen bis zum Horizont und irgendwie werde ich diese nagende Stimme im Hinterkopf nicht los, dass hier überall die Texturen der umliegenden Städte auftauchen sollten, von denen ich schon in den ersten Spielminuten so viel gehört habe. Aber nein, es bleibt bei der Einöde, in der die wunderschönen, wenigen Objekte wie der Monitor oder mein Charaktermodell fast höhnend ein »So hübsch könnte diese Spielwelt überall aussehen« stumm in die karge Spielwelt hinausschreien.
»Aber immerhin befinde ich mich erst im Tutorial und habe quasi noch nichts vom eigentlichen Spiel gesehen«, vermute ich vor mich hin. Also greife ich zur Spitzhacke und versuche mich erstmals an der sehr simplen, eingängigen Steuerung: Ressourcen werden mit gedrücktem Knöpfchen abgebaut, sobald ich vor der Rohstoffquelle meiner Wahl stehe. So löst meine kleine Arbeiterin Gesteinsbrocken um Gesteinsbrocken aus dem Felsen, die ich nun einzeln (!) aus der Tutorial-Mine zu einem Sammelplatz tragen muss. Ich habe zwar einen Rucksack bei mir, in dessen Standard-Variante passen allerdings erschreckend wenig Gegenstände. Backtracking, Backtracking, Backtracking.
Erst überfordert, dann gelangweilt
Aber natürlich lässt mich The Tomorrow Children hier nicht im Stich und bietet mir eine helfende Hand an, die allerdings nur dann zugreift, wenn ich im Gegenzug einige Scheinchen Echtgeld ausgeben. So finde ich im Ingame-Store eine Auswahl an verschiedenen Spitzhacken, Rucksäcken und anderen Ausrüstungsgegenständen vor, die aber teilweise nach einiger Zeit unbrauchbar und ersetzt werden müssen. Und glaubt mir: Ab einem bestimmten Punkt im Spiel ist es unmöglich, den immer zäher werdenden Abbau der Ressourcen mit der Standard-Hacke zu erledigen und dabei nicht den Verstand zu verlieren.
Doch davon weiß ich zu diesem frühen Zeitpunkt im Spiel noch nichts und schließe das Tutorial ab, um mich in die erste Stadt zu begeben, die mir als Wohnort vorgeschlagen wird.
Die Städte sind das Herz von The Tomorrow Children und strotzen auf den ersten Blick nur so vor Langzeitmotivation und potentiellen Spielspaß-Quellen: Regelmäßig finden hier demokratische Wahlen eines KI-Anführers statt. Dessen Eigenschaften sorgen beispielsweise beim Abbau von Ressourcen oder dem Sammeln von Erfahrungspunkten. Zudem winken überall vielversprechend umfangreiche Werktische, an denen ich etwa Generatoren oder Wohnhäuser baue, um mehr Platz für weitere Spieler zu schaffen oder den Stromkreis am Leben zu erhalten. Es ist der Traum eines jeden Spielers, der mit Survival- und Crafting-Mechanismen etwas anfangen kann – doch dieser Traum endet leider nach nicht allzu langer Zeit mit einem Schrei der Verzweiflung.
Sämtliche Informationen, von den Wahlen über mögliche Kandidaten bis hin zur Entwicklung der Stadtbevölkerung, sind vergraben in einem Meer aus Zahlen, Symbolen und Werten, die mir in dem mageren Tutorial nie erklärt wurden. Kurz darauf muss ich außerdem feststellen, dass bereits jedes für die Stadtentwicklung nötigte Gebäude bereits schon irgendwo gebaut wurde. Die tatsächliche Zahl der relevanten Bauoptionen ist unheimlich gering. Auch von meinen Mitspielern ist kaum eine Spur zu entdecken: Hier und da ploppen die Umrisse meiner Mitbewohner auf, wenn diese Ressourcen ins Lager bringen oder die Stadt verlassen. Trotz des Versprechens, »gemeinsam mit anderen Spielern zusammenzuleben«, fühle ich mich ziemlich schnell ziemlich alleine.
Bald habe ich mich an den zwar hübschen, aber erschreckend belanglosen Städten satt gesehen und will wissen, was jenseits der Stadtgrenzen lauert. Aber wieder einmal erstreckt sich ein weißes Nichts bis zum Horizont und verbirgt den Blick auf umliegende Städte. Hier wurde viel Potential verschenkt, das Gefühl einer zusammenhängenden Welt zu schaffen. Stattdessen werde ich einfach nicht mehr die nagende Erkenntnis los, völlig allein in diesem Alptraum aus Überforderung und zerbrochenen Spitzhacken gelandet zu sein.
Und erneut muss ich eure Hoffnungen zerschlagen: Das Leben außerhalb der Städte von The Tomorrow Children ist nicht sonderlich besser. Sobald ich mich zu Fuß zu weit von einer Stadt entfernen, machen riesige Stechmücken und andere Wesen Jagd auf mich, die mir im Kampf keinerlei Chance lassen. Ich kann hier nur auf einen der zahlreichen Glitches oder Bugs hoffen, die die Tierchen immer wieder durch den Boden fallen und mich damit am Leben lassen.
Andere Städte erreiche ich ausschließlich nur mit dem Bus, der zu festen Uhrzeiten in jeder Siedlung hält. Habe ich also den Bus verpasst, muss ich durchaus auch einmal fünf bis zehn Minuten warten, bis die nächste Transportgelegenheit kommt. Die mehrminütige Fahrt schließlich darf ich nicht abbrechen, während der Fahrer mich durch die weiße Einöde kutschiert. Sehr, sehr ermüdend.
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