Mit Spielen wie Layers of Fear und Observer hat sich das polnische Studio Bloober Team in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Die klare Expertise: atmosphärischer Psycho-Horror. Auf The Medium, das im Konsolenbereich zunächst exklusiv für die Xbox Series X/S erscheint, durfte man also gespannt sein, schließlich ist das Spiel laut eigener Aussage das bislang ambitionierteste und größte Projekt von Bloober Team. Und im Test verraten wir euch, warum diese Spannung berechtigt war.
Die Geschichte von The Medium spielt im Polen der 90er-Jahre. Wir spielen die junge Frau Marianne, die als titelgebendes Medium dank einer besonderen Gabe in zwei Welten wandeln kann - der echten und einer spirituellen. Schon seit längerer Zeit wird Marianne von einer grausamen Vision geplagt, in der ein Mann an einem See ein kleines Mädchen erschießt. Wer sind die beiden? Und was haben die Visionen zu bedeuten?
Als Marianne sich zu Beginn des Spiels von ihrem verstorbenen Vater verabschieden muss, klingelt das Telefon, und ein mysteriöser Mann namens Thomas bittet sie, zum Niwa-Hotelkomplex zu kommen. Dort würde es Antworten auf Mariannes Fragen geben.
Erst Fragen, dann Antworten
Und ihr ahnt es sicher schon: Natürlich handelt es sich beim Niwa-Hotel um keinen Party-Hotspot im Ballermannstil, sondern um ein düsteres, verlassenes Areal in einem finsteren Wald. Es wurde zu Zeiten des Kommunismus gebaut und war Schauplatz des sogenannten Niwa-Massakers, bei dem viele Menschen ihr Leben verloren.
In den verlassenen Räumen und Gängen von Niwa macht sich Marianne auf die Suche nach Thomas und ihren Antworten. Und was noch als relativ seichte Gruseltour beginnt, entspinnt sich vor allem dank eines recht einfachen Spielprinzips schnell zu einer packenden Geschichte.
Denn während im ersten Teil des Spiels hauptsächlich Fragen aufgeworfen werden, kommt man deren teils recht komplexen Antworten später fast schon fühlbar auf die Spur. Dazu serviert das Spiel einige kleine, aber feine Twists sowie ein Ende, dass auch nach dem Abspann nachhallt und über das zumindest wir noch einige Zeit nach dem Beenden des Spiels nachgedacht haben. Details dazu würden natürlich zu sehr spoilern, aber ihr könnt euch auf eine Story freuen, die vor allem in der zweiten Hälfte merkbar anzieht und bis zum Ende kaum an Tempo verliert.
Dabei stimmt auch die Präsentation: Es gibt einige gut inszenierte Zwischensequenzen, die wie das Gameplay teilweise auf eine Splitscreen-Darstellung setzen. Etwa, wenn Marianne mit Wesen wie dem Geistermädchen Trauer spricht, das Marianne schon früh im Spiel Hinweise gibt und nur in der spirituellen Welt existiert.
Zwei Realitäten, ein innovatives Spielelement
Nach einem kurzen Prolog in Krakau tasten wir uns also mit Marianne durch die düsteren Niwa-Gänge, was durch die festen Kameraperspektiven, die teilweise aber dynamisch mitgehen, wohlige Erinnerungen an Horrorklassiker der 90er-Jahre wie Silent Hill oder Resident Evil weckt. Um das allerdings direkt klarzustellen: The Medium setzt nahezu ausschließlich auf subtilen Horror - erwartet also nicht, mit Shotguns Bleimassen in Horden von Zombiekörpern rotzen zu können.
Stattdessen sind wir einen Großteil der Spielzeit damit beschäftigt, Gegenstände zu untersuchen, den richtigen Weg zum nächsten Ort zu finden und kleinere Rätsel zu lösen, etwa einen Bolzenschneider von einer erhöhten Position zu holen oder die verteilten Fetzen eines Notenblatts zusammenzusetzen.
Das Doppelwelten-Prinzip (von Bloober "Dual Reality" genannt) spielt gerade für die Rätsel eine wichtige Rolle. Denn an bestimmten Stellen lässt uns das Spiel Marianne in beiden Welten gleichzeitig steuern. Mal können wir in der einen Welt einen Durchgang nehmen, der in der anderen Welt versperrt ist, an anderer Stelle müssen wir über Spiegel regelmäßig zwischen echter und spiritueller Welt hin- und herwechseln, um Hindernisse zu umgehen.
Etwas komplexer wird es, wenn wir gefräßige Mottenschwärme überwinden müssen, die bestimmte Wege blockieren. Dafür müssen wir Marianne nämlich an einer Geisterquelle mit Energie aufladen.
Und diese Quellen sind oftmals versteckt oder werden erst nutzbar, wenn wir vorher ein anderes Minirätsel gelöst haben. Aber auch, wenn es bei den Dual Reality-Rätseln einige tolle Ideen gibt und diese in einigen Fällen sogar überraschend knackig sind, haben wir das Gefühl, dass bei diesem spannenden Prinzip insgesamt noch mehr drin gewesen wäre, denn wirkliche Wow-Momente fehlen. Nichtsdestotrotz fordert The Medium auch später im Spiel eine gute Beobachtungsgabe, überstrapaziert werden Rätselarten zudem nicht.
Auf der Flucht
The Medium ist aber kein reines Rätselspiel, sondern streut auch einige andere Sequenzen ein. Fluchten etwa, in denen wir vor etwas davonlaufen müssen - wir verraten natürlich nicht wovor, aber glaubt uns, es ist furchterregend - und sogar ein paar kleinere Schleichpassagen.
Und auch wenn die allesamt ganz okay funktionieren, merkt man deutlich, dass The Medium seine Stärken woanders hat. Dafür sind die Fluchtszenen immer noch zu "Trial and Error", wenn auch nicht so schlimm wie bei Layers of Fear, und die Schleichsequenzen grundsätzlich zu einfach. Generell bewegt sich The Medium spielerisch also eher auf durchschnittlichem Niveau, woran auch die an einigen Stellen hakelige Steuerung und ein paar seltsame Designentscheidungen, wie das altbackene Inventar, Schuld tragen.
Atmosphäreregal ganz oben
Doch während The Medium spielerisch abseits der Dual Reality-Features keine Bäume ausreißt, punktet es in einer anderen, für Horror-Adventures deutlich wichtigeren, Kategorie. Nämlich der Atmosphäre. Und eigentlich ist das noch untertrieben, denn das neue Bloober-Spiel greift direkt ins alleroberste Atmosphärequalitätsregal. Die Schauplätze etwa - neben dem Hotel kommen später noch andere hinzu , etwa ein alter Bunker und ein düsterer Wald - sind enorm detailliert und werden speziell durch die gelungenen Licht- und Schatteneffekte zu Orten, die uns beim Test wirklich den ein oder anderen Schauer über den Rücken gejagt haben.
Ein Highlight ist auch die vom polnischen Künstler Zdislaw Beksinski inspirierte Geisterwelt mit ihren abartigen Hauttüren (ja, wirklich) seltsamen Kokonstrukturen und aus Leichen bestehenden Wänden. Viele kleine Details verdichten die Atmosphäre zudem, etwa wenn Marianne an bestimmten Objekten Erinnerungen oder Echos hervorrufen kann, die dann jeweils kleine Ausschnitte aus der Vergangenheit erzählen. Dazu kommt, dass Bloober Team im Verlauf des Spiels regelmäßig mit unseren Erwartungen spielt und diese dann absichtlich bricht. Als etwas, von dem wir ausgingen, dass es nur in der Geisterwelt existieren könne, plötzlich in die echte Welt spazierte, rutschte uns beispielsweise das Herz in die Hose.
Testvideo zu The Medium
Ihr wollt bewegte Gameplay-Szenen vom Atmosphäre-Hammer? Dann schaut euch unser Testvideo an:
Ich hör mir in die Hosen!
Für ein Gefühl konstanter Anspannung sorgt aber nicht nur die Tatsache, dass wir aufgrund der fixen Kameraperspektiven immer den Eindruck haben, nicht die volle Kontrolle zu besitzen. Das fantastische Sounddesign, das zu großen Teilen von den beiden Komponisten Arkadiusz Reikowski und Akira Yamaoka (komponierte schon für die Silent Hill-Serie) stammt, trägt ebenfalls dazu bei.
Fast immer wird das Spielgeschehen von unheilvoll wabernder Musik untermalt, die in Bruchteilen von Sekunden anschwellen kann, um uns eine Vorwarnung für unschöne Dinge zu geben, die gleich auf uns zukommen könnten. Dazu kommen tolle direktionale Effekte - der Regen im Wald in der zweiten Spielhälfte zum Beispiel hört sich wirklich echt an - und eine hervorragende englische Vertonung, zu der auch Troy Baker (u.a. Joel aus The Last of Us) einen bemerkenswerten Teil beiträgt.
In Sachen Sound ist The Medium also ein echtes Next-Gen-Spiel, keine Frage. Bei der Optik reicht es dagegen nicht ganz zu dieser Einschätzung. Denn obwohl die Schauplätze sehr gut aussehen, Animationen und Charaktermodelle einen guten Eindruck machen und die Xbox Series X-Version auch mit Raytracing-Effekten punkten kann, ärgern uns ein paar kleinere Dinge: Mehrfach kam es bei unserem Test nämlich zu kleinen Hängern, was insbesondere in Zwischensequenzen passierte.
Wesentlich störender waren aber in einigen Situationen spät nachladende Texturen und Details, die vor allem dann auffielen, wenn wir ein Objekt näher begutachten wollten. Und: stellenweise ist The Medium fast schon zu düster. An einer Stelle fanden wir nämlich trotz Gammaregulierung eine Treppe nicht, weil sie in einem stockdunklen Bereich lag.
Unterschiede Xbox Series X/Xbox Series S
Auf der Xbox Series X läuft The Medium in 4K-Auflösung mit 30 fps. Letzteres ist der Tatsache geschuldet, dass das Spiel an vielen Stellen zwei Welten gleichzeitig berechnen muss. Während unseres Tests, für den wir nahezu komplett auf der Series X spielten, fiel die Framerate dank des vergleichsweise langsamen Gameplays aber zu keinem Zeitpunkt negativ auf, die Bildrate war bis auf ein paar ganz wenige Ausnahmen konstant. The Medium bietet auf der Series X zudem Raytracing-Effekte, was noch für einen Tick mehr Atmosphäre sorgt.
Auf der Series S müsst ihr auf Raytracing verzichten, und auch bei der Auflösung gibt es Einbußen. Denn auf Microsofts weißem Kästchen läuft The Medium "nur" in 1080p, was sich zudem je nach Spielsituation anpassen kann. Wir spielten auf der Series S eine knappe Stunde und konnten bis auf die Auflösung keine wirklich signifikanten Unterschiede feststellen, die Bildrate ist auch hier auf 30 fps festgesetzt. Auch auf Microsofts "kleiner" Next Gen-Konsole bekommt ihr also ein optisch ordentliches Horror-Adventure, nur eben mit kleinen Einschränkungen.
Sieben bis zehn Stunden könnt ihr für The Medium einplanen, je nachdem wie gründlich ihr die Areale durchforstet und wie schnell die Lösungen der Rätsel bei euch klicken. Danach gibt es nur wenig Gründe wiederzukommen. Achievement-Jäger*innen freuen sich über recht leicht zu holende Erfolge, abseits davon bietet The Medium aber weder verschiedene Enden noch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Muss es aber auch nicht, denn das, was es erreichen will, schafft es nahezu auf den Punkt.
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