Morbide, aber süß
Wer das erste Mal The Binding of Isaac spielt, der wird vielleicht etwas angeekelt reagieren. Überall sind kleine Kothaufen verstreut, dazu kommen die abartigen Ungeheuer, die uns mit undefinierbaren Grunz- und Kreischgeräuschen begrüßen. Trotzdem sieht das alles so süß aus. McMillen schafft es, die morbide Welt von Isaac in eine rosarote Horrorvision zu verwandeln: gleichzeitig verstörend, aber auch auf eine seltsame Weise knuffig.
Die Geschichte wird in nur wenigen Zwischensequenzen erzählt. Dabei bleibt uns viel Raum für Interpretation. Selbst in den Gegenständen spiegelt sich die tragische Geschichte des jungen Helden wieder. Wenn er beispielsweise einen Holzlöffel aufsammelt, sieht man rote Abdrücke auf seinem Gesicht. Ein zerrissenes Foto seiner Familie bringt ihn noch schlimmer zum Weinen. Die Entwickler schaffen es geschickt die komplexen Themen mit ins Spiel einzubeziehen.
Synergien
Eine Neuerung der Rebirth-Version sind die vielen möglichen Synergien, also bestimmte Gegenstandkombinationen, die unsere Angriffsmuster komplett verändern. Schon im Original gab es Gegenstände wie »Brimstone«, mit dem Isaac einen Blut-Laserstrahl hervorwürgen konnte, oder »Mom's Knife«, das unsere Tränen mit einer tödlichen Nahkampfattacke ersetzte. Diese Items verändern die Attacken des Helden auf ungeahnte Weise und bringen Komplexität ins Spiel.
Rebirth verbessert das bestehende Item-System: Viele Gegenstände reagieren miteinander und erschaffen damit zum Teil interessante, zum Teil absurd starke Synergien. Ein Favorit der Community ist beispielsweise »Brimstone« plus »Ludovico-Technique«, auch der »Rote Ring des Todes« genannt. Anstatt einen geraden Strahl zu feuern, kontrollieren wir einen riesigen, roten Laserkringel, der jedem Gegner innerhalb von Sekunden den Garaus macht.
Aber da es über 300 Gegenstände gibt, lassen sich bestimmte Items nur sehr schwer finden. Und diese Items sind, wie schon im Ur-Spiel, das Herz von The Binding of Isaac. Sie definieren unseren Run. Die Jagd nach den besten Kombinationen hat eine süchtig machende Wirkung, die uns immer und immer wieder in die Tiefen lockt. Die enorme Vielfalt solcher Gegenstände lässt einfach keine Langeweile aufkommen und schafft tatsächlich das Gefühl von einem abwechslungsreichen Spielerlebnis.
Zwickmühle Grafikwertung
The Binding of Isaac: Rebirth ist im Pixel-Look gehalten. Es läuft in 2D. Die Auflösung aller Grafiken sind grob. Es wäre Unsinn, diese Grafik mit der eines fotorealistischen Spiels zu vergleichen. Fotorealistisch soll diese Ästhetik nämlich gar nicht wirken. Sie ist ein Stilmittel - zugegeben, ein derzeit sehr häufig genutztes.
Und prinzipiell ist Rebirth von der technischen Seite sehr solide und wirkt alles andere als altbacken: Die Lichteffekte sind schön gestaltet, die Gegner und die Umgebungen liebevoll animiert, und das Gameplay wirkt modern. Der Pixelstil kann obendrein sogar abgeschaltet werden, wenn man sich gar nicht damit anfreunden kann. Dann erinnert das Spiel mehr an das Original mit verbesserten Animationen. Dass der grobkörnige Look sehr speziell ist und nicht jedem gefällt, haben wir in der Wertung berücksichtigt, sonst wäre sie noch höher ausgefallen.
500 Stunden Spiel?
Das Entwicklerteam bewirbt Rebirth mit einer Spielzeit von circa 500 Stunden. Da muss aber eine Menge drinstecken, um so eine Zahl zu rechtfertigen. Aber es gibt wirklich viel zu entdecken: Zehn Charaktere, über 300 auffindbare Gegenstände, 174 freischaltbare Geheimnisse und eine komplett neue Ebene führen selbst abgebrühte Isaac-Veteranen in neue Gefilde. Dazu kommen 20 Herausforderungen, die uns mit vorgefertigten Gegenstandskombinationen in den Keller schicken und uns weitere Item-Räume verwehren.
Bis wir nahezu alle Neuerungen gesehen hatten, vergingen bereits über 50 Stunden, und damit sind wir immer noch nicht am Ende. Uns fehlen noch eine Vielzahl von Gegenständen und Achievements, und die treiben uns immer wieder aufs Neue in die unheimlichen Keller. Vielleicht kriegen nur die Hardcore-Fans, die wirklich alles sehen wollen, 500 Stunden voll. Aber wir haben die 100 schon überschritten und noch lange nicht genug.
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