Manchmal liegen die guten Ideen wortwörtlich vor der eigenen Haustüre. Das Ubisoft-Studio Annecy (wird »Ansi« ausgesprochen) befindet sich in der gleichnamigen Stadt am Fuße der französischen Alpen und liegt damit nur 30 Kilometer vom heimlichen Hauptdarsteller des Spiels Steep entfernt: dem Mont Blanc, dem höchsten Berg der Alpen.
Inspiriert vom majestätischen Anblick und sicher auch bedingt durch den hohen Anteil von Wintersportlern im Team hatte das Studio die Idee einer »Alpen-Open-World«.
Steep ist nicht nur das erste eigene Spiel des Annecy-Studios (zuvor war man hauptsächlich auf die Umsetzung der Multiplayer-Teile von Assassin's Creed und Co. gebucht), es möchte auch gleich mal die Faszination und das Freiheitsgefühl von vier verschiedenen Sportarten verbinden.
Nach einem kurzen Tutorial steht uns die gesamte Spielwelt mit den vier Bergen Aravis, Les Auguilles, Mont Blanc und Matterhorn als riesiger Schnee-Spielplatz zur Verfügung. Egal ob zu Fuß, mit Snowboard, Skiern, Wingsuit oder per Gleitschirm: der stilisierte Alpen-Nachbau ist von Anfang an fast uneingeschränkt erkundbar.
Gefühl der Freiheit
Ausgehend vom Basislager lädt uns das Spiel direkt auf die ersten Abfahrten und Herausforderungen ein, die wir starten, in dem wir einfach durch den ersten Checkpoint fahren oder uns über die Karte an die Startlinie transportieren lassen. Alternativ ziehen wir einfach auf eigene Faust los, um Schnee und Landschaft zu genießen. Die Open World von Steep gibt uns freie Hand, in welchem Tempo und auf welche Art wir uns durch die Alpen und das Spiel bewegen wollen.
Unterschiede PS4/Pro
Steep profitiert auf der PS4 Pro von einer deutlich besseren Kantenglättung - die Seile der Fallschirme sowie weit entfernte Nadelbäume wirken daher natürlicher, das Bild ist insgesamt ruhiger. Auch der Fahrer sowie die Umgebungen sind leicht knackiger. Steep läuft auf beiden PS4-Konsolen durchweg flüssig.
Ein Beispiel für eine typische Stunde im Spiel: Nach mehreren Versuchen, ein Zeitrennen zu gewinnen, fahren wir nach dem Erreichen der Goldmedaille zur Entspannung einfach gemütlich weiter Richtung Tal. Auf halber Strecke reizt uns eine besonders steile Stelle, also halten wir an und springen mit dem Wingsuit ab.
In luftiger Höhe erspähen wir rechterhand ein kleines Bergdorf, ziehen den Fallschirm und stellen uns selber die Aufgabe, auf dem Dach der Kirche zu landen. Dort suchen wir die nähere Umgebung mit dem Fernglas ab, um weitere geographische Besonderheiten zu finden, die im Spiel grau schraffiert und klar markiert sind. Sind wir diesen Stellen näher als 1.000 Meter, schalten wir diese als »Hotspots« auf der Karte frei und können sie als Schnellreiseziele für neue Ausflüge auf der stufenlos zoombaren 3D-Alpenkarte anwählen.
Der Erkundungs- und Entdeckeraspekt passt gut zur stimmungsvollen Alpenatmosphäre und dem realistischen Anspruch des Spiels. Auf Knopfdruck wechseln wir jederzeit in eine der vier Sportausrüstungen und arbeiten uns so Stück für Stück an neue, unentdeckte Orte vor.
Das gesteckte Ziel, eine möglichst realistische Abbildung der Alpen zu entwickeln, sorgt allerdings dafür, dass die riesige Welt auf eine für ein Videospiel seltsame Art verlassen und leblos wirkt. Verschneite Berghütten und Ruinen formen sich zu menschenleeren, gruseligen Geisterstädten, Tiere lassen sich nicht mal in dichten Waldregionen blicken.
Wer gerne in die Natur geht, um seine innere Ruhe zu finden, wird die Abgeschiedenheit von jeglicher Zivilisation auch in Steep finden und schätzen. Das eher auf hip und jugendlich gemachte Gerede des Sprechers aus dem Off konterkariert diese Idylle leider an vielen Stellen.
Das Anhäufen neuer Kartenpunkte und Challenges führt nach einigen Stunden obendrein unweigerlich dazu, dass die Übersicht verloren geht. Es besteht keine Möglichkeit, Herausforderungen sinnvoll zu filtern oder abzuarbeiten. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, wie viele der Challenges noch zu erledigen und welche schon abgeschlossen sind.
Challenge accepted!
Mit ansteigendem Erfahrungs- und Erkundungslevel schalten sich über 100 verschiedene Herausforderungen in den vier Sportarten frei. Diese sind wiederum in fünf Kategorien unterteilt und entsprechen unterschiedlichen Spielstilen: Fahren wir viele Downhill-Rennen, sammeln wir Punkte im Pro- oder Freerider-Stil, führen wir viele Tricks aus und gewinnen Showrennen, steigt unsere Freestyler-Wertung.
Gehen wir besonders viel Risiko mit dem Wingsuit ein, fallen wir als Extreme Rider auf und sammeln dort Erfahrung. Der Explorer-Spielstil sammelt Punkte für das Erkunden und Freischalten neuer Gebiete, während spektakuläre Stürze und Knochenbrüche zweifelhaften Ruhm für die »Bone Collector«-Karriere einbringen.
Der Großteil dieser Aufgabenstellungen besteht aus simplen Zeitrennen durch Checkpoints oder es gilt, eine bestimmte Punktzahl mit Tricks oder riskante Manöver zu erlangen. Außer einem kontinuierlichen Anstieg des Schwierigkeitsgrads der Challenges spüren wir keine Auswirkung der gesammelten Punkte. Da eine Spezialisierung zumindest keine neuen Tricks oder eine bessere Konstitution bringen, fehlt die Motivation, einen Bereich gezielt auszubauen.
Alpiner Maskenball
Die in Challenges verdienten Münzen können in rein kosmetische Veränderungen wie bunte Wollmützen, Helme, Jacken, Hosen und natürlich neue Lackierungen für Skier und Snowboard investiert werden. Bestimmte Events stellen ausgefallenere Trachten wie ein Ganzkörper-Tigerkostüm, ein Flughörnchen-Wingsuit oder Helme mit Hörnern gezielt als Belohnung in Aussicht und bieten so einen zusätzlichen Anreiz, die Goldmedaille zu erreichen.
Immerhin erhalten wir mit steigender Bekanntheit, der durch einen übergreifenden Level repräsentiert wird, Einladungen zu speziellen Events, die sich zum Beispiel »Red Bull Invitational« nennen und eine Art Karriere andeuten. Spielerisch unterscheiden sich die von Markensponsoren begleiteten Aufgaben kaum von regulären Challenges. Auch hier fahren oder fliegen wir überwiegend durch Checkpoints und versuchen einen bestimmten Highscore zu erreichen.
Lichtblicke beim insgesamt eher durchwachsenen Missionsdesign sind die sogenannten Bergstories, in denen mit professionell eingesprochenen Texten der Berg selber teils märchenhaft, teils lustig und verspielt mit uns spricht. In diesen etwas längeren Spezialmissionen folgen wir beispielsweise einmal einer mysteriösen Spur aus schwarzen Blumen bis ins Tal, läuten eine Glocke auf einer alten Kirche oder werden auf eine gefährliche Verfolgungsjagd durch einen dichten, dunklen Wald geschickt.
Der Simulant
Steep verlässt auch beim Tricksystem nicht den eingeschlagenen Simulationspfad. Zwar laden jede Menge Rampen, Schneeparks und Felsvorsprünge zu waghalsigen Manöver ein, doch das enge Zeitfenster für den richten Absprung sorgt auch nach Stunden des Übens noch für große Frustmomente. Mit den Analagosticks werden Drehungen des Körpers ausgeführt und die rechte Schultertaste dient zum Springen und Greifen.
Bestimmte Tricks und Kunststücke gezielt auszuführen, gelingt jedoch nur in den seltensten Fällen, zusätzlich lässt sich die Entscheidung der Engine darüber, was eine geglückte Landung ist, nur schwer nachvollziehen. Schmerzlich vermisst haben wir außerdem Grinds und Slides im Repertoire des Trickfahrers. Vom Hausdach einer eingeschneiten Berghütte bis zu umgestürzten Bäumen, alte Kloster-Ruinen oder scharfkantige Eisblöcke: Möglichkeiten dazu gäbe es in der Landschaft genügend.
Man bekommt den Eindruck, dass die Leveldesigner diese Möglichkeiten bereits eingeplant hatten, aber die Features gestrichen wurden. Schade, denn so fehlt auch die aus vielen Genrevertretern bekannte Mechanik, Tricks miteinander zu kombinieren. Spieler, die Steep in erster Linie als Ski- oder Snowboard-Trickspiel erleben wollen, werden eher enttäuscht sein.
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