Sie gilt als das älteste Gewerbe der Welt und ist auch aus Spielen nicht mehr wegzudenken: Sexarbeit. Gerade in Open-World-Titeln, Action-Adventures und RPGs landen wir auf unseren Streifzügen meist irgendwann in Strip-Clubs, Bordellen, Badehäusern und auf Straßenstrichen. Doch obwohl sexuelle Dienstleistungen ein fester Teil unserer Gesellschaft und auch der Medienlandschaft sind, wird ihre Darstellung bis heute von alten Stereotypen geprägt.
"Sexarbeiter:innen sind immer Beiwerk: Questaufgaben, zu rettende Opfer, oder Deko", sagt Fabienne Freymadl, die in Berlin lebt und dort als Domina arbeitet. "Diese Figuren werden unterkomplex gestaltet."
Am Rande der Gesellschaft
In der Tat zeichnen digitale Spiele Sexarbeiter:innen in der Regel nicht als Individuen, sondern als bloße Plot Devices oder als Schmuckwerk, das der virtuellen Welt einen verruchten Anstrich geben soll.
So befinden sich die Orte, an denen sexuelle Dienstleistungen schwerpunktmäßig angeboten werden, oft wortwörtlich am Rande der Gesellschaft, in heruntergekommenen Außenbezirken und Armenvierteln, wo die Dienstleister:innen ihr Geld nur mangels Alternativen mit Sexarbeit zu verdienen scheinen.
Sie nehmen nicht am öffentlichen Leben der fiktiven Welt teil, sondern verharren in ihren kleinen, dubiosen Nischen und in starren Rollen, die keinerlei Raum für Charakterentwicklung bieten.
"Sexarbeiter:innen werden genutzt, um Gefühle bei den Spieler:innen zu wecken, und werden selten als gleichberechtigte, dreidimensionale Figuren dargestellt. Sie sind immer Objekt, niemals Subjekt", erklärt die US-amerikanische Sexarbeiterin und Spielejournalistin Ana Valens.
Valens kritisiert schon lange die Eindimensionalität, mit der Sexarbeiter:innen in Spielen dargestellt werden. Sie bezieht sich dabei aber nicht nur auf deren Repräsentation als Individuen, sondern ausdrücklich auch auf den Umgang mit Sexarbeit als Arbeit. "Nur selten behandeln Spiele Sexarbeit als eine Arbeit, die Respekt verdient." Stattdessen impliziere ihre Darstellung, dass Sexarbeit gar keine richtige Arbeit sei und etwas im Leben einer Person "schiefgelaufen" sein müsse, wenn sie auf diese Weise ihr Geld verdient.
Nina Kiel
@Beurkeek
Nina Kiel ist Spielejournalistin und befasst sich schwerpunktmäßig unter anderem mit der Darstellung von Geschlecht und Sexualität in Games. Letzterem Thema hat sie bereits eine Artikelreihe und zwei Podcastformate gewidmet, aktuell spricht sie darüber monatlich im Podcast "Random Encounters" bei Insert Moin und arbeitet nebenher an Ihrem zweiten Buch. Ihr Lieblingsssexspiel ist und bleibt "Coming Out On Top".
Weitere Artikel von Nina Kiel auf GamePro.de:
- Warum Sex gerade in Konsolenspielen so keusch ist
- Press F to F*** - Darum ist Sex in Spielen so unbefriedigend
Rabatte, Rabatte, Rabatte
Dieser mangelnde Respekt ist allgegenwärtig und manifestiert sich auch im Umgang der zumeist weiblichen Dienstleisterinnen mit ihrer eigenen Arbeit. So bieten sie mitunter von selbst Rabatte an oder liebäugeln nach dem Sex mit einer Gratis-Zugabe, weil unsere Heldenfigur so attraktiv, ausdauernd, schlicht unwiderstehlich ist.
Das mag zwar dem Ego unseres Avatars – und damit auch unserem – schmeicheln, stellt aber den Wert der gebotenen Dienstleistung in Frage. Kurz: Die Aufwertung unserer Figur bedingt die Abwertung der Sexarbeiterin und ihrer Arbeit.
Selbst wenn der Preisnachlass am Ende nicht erfolgt, vermitteln diese Situationen, dass sexuelle Dienstleistungen keinen eigenen Wert hätten.
Die Arbeiterinnen, so der Eindruck, werden allein dadurch angemessen entlohnt, dass sie Sex mit unserem Helden haben dürfen. Zeichnen Spiele Sexarbeit also nicht als Notsituation, aus der die "Opfer" schnellstmöglich gerettet werden müssen, dann paradoxerweise als Arbeit aus Leidenschaft, bei der der sexuelle Genuss Lohn genug ist. In beiden Extremfällen wird das professionelle Angebot der Sexarbeitenden konsequent entwertet.
Positiv- und Negativbeispiel: GTA 5
Das ist überraschend, denn teilweise schreiben die selben Spiele Sexarbeit auf der Gameplay-Ebene durchaus einen Wert zu – zum einen durch Transaktionssequenzen, die den Sexzenen voran gehen und in denen Preise für Dienstleistungen klar benannt werden, und zum anderen etwa durch verbesserte Statuswerte oder frische Lebensenergie nach dem Geschlechtsverkehr.
Ein Beispiel für diese Form der Aufwertung von Sexarbeit ist ausgerechnet Grand Theft Auto 5, das für seinen Umgang mit Sexarbeit seit Jahren kritisiert wird. Möchten wir im Spiel eine sexuelle Dienstleistung in Anspruch nehmen, so haben wir die Wahl aus verschiedenen Preiskategorien, die nicht verhandelbar sind - der Arbeit wird also dadurch und durch die im Anschluss gefüllte Energieleiste unserer Spielfigur ein klar definierter Wert zugeordnet.
Einen harten Kontrast dazu bildet die Spielmechanik, wegen der GTA 5 hauptsächlich in Verruf geraten ist: Die Möglichkeit, Sexarbeiterinnen umzubringen, um das zuvor gezahlte Geld zurückzugewinnen, und die Personen hinter der Dienstleistung auf eine besonders drastische Art zu entwerten: Als Wegwerfware.
Ebenso häufig und vehement wie die Kritik an der Mechanik ist das Gegenargument zu hören, dass das Spiel die Sexarbeiterinnen genauso behandle wie andere NPCs, da man diese schließlich auch umbringen könne. Diese Argumentation lässt jedoch außer acht, dass es für den Mord an den meisten Passant:innen ausdrücklich keine spielinterne Belohnung gibt.
Durch das in Aussicht gestellte Geldbündel, bietet das Gameplay hingegen eine klare Motivation dafür, sexuelle Dienstleisterinnen nicht nur ihres Lohns, sondern auch ihres Lebens zu berauben.
Diskursive Festschreibung von Gewalt
Das Problem: GTA V folgt damit einer langen Tradition, die Sexarbeiter:innen entmenschlicht und damit Gewalt gegen sie legitimiert.
Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass Medienbilder allein zu entsprechenden Straftaten anstiften, aber sie leisten einen Beitrag dazu, ein extrem einseitiges und verzerrtes Bild zu zeichnen, das durch die konstante Abwertung zumindest zu einer höheren Akzeptanz von Gewalt führen kann. Denn wer nicht als vollwertiger Mensch dargestellt und wahrgenommen wird, erfährt weniger Empathie.
"Der gesellschaftliche Diskurs ist sexwork-feindlich und wird vor allem sehr polemisch und ohne die Beteiligung von Sexarbeitenden geführt. In diesem Zusammenhang ist die Wiederholung ausschließlich gewaltvoller, paternalistischer und klischeehafter Erzählungen in meinen Augen fahrlässig, weil sie die Möglichkeit von Gewalt gegen Sexarbeitende diskursiv festschreibt", erklärt Bendix, der als Escort tätig ist. Ihm ist deshalb in erster Linie wichtig, dass die Darstellung von Sexarbeiter:innen nicht immer um Gewalt kreist.
Domina Fabienne geht noch einen Schritt weiter, und wünscht sich eine insgesamt realitätsnähere Darstellung von Sexarbeit im Medium. Eine solche Darstellung könnte auch den Alltag der Sexarbeiter:innen aus deren eigener Perspektive abbilden. Diese Perspektive würde nicht nur potenziell zur Entstigmatisierung von Sexarbeit beitragen, sondern den Weg für spannende Geschichten bereiten, die bislang nicht erzählt wurden.
"Cyberpunk 2077 macht es besser, aber nicht gut"
Einen ersten Schritt in diese Richtung hat im vergangenen Jahr Cyberpunk 2077 gemacht, wie Ana Valens betont. "Ich glaube, dass CD Projekt Red erfolgreich darin war, seine Sexarbeiter:innen mit mehr Empathie und Einfühlsamkeit darzustellen, und das schätze ich sehr."
Sie nennt dabei konkret Charaktere wie Evelyn oder Judy, die als bewundernswerte Personen und wertvolle Verbündete dargestellt werden und tragende Rollen in der übergeordneten Geschichte des Spiels einnehmen. Mit den Mox gibt es sogar eine eigene Gang von Sexarbeiter:innen, die sich gegenseitig im Kampf gegen alle Widrigkeiten ihrer dystopischen Welt unterstützen und deren komplexe Geschichte mehrfach aufgegriffen wird.
Allerdings: Valens verweist darauf, dass diesen positiven Beispielen für Repräsentation zahlreiche tote und misshandelte Sexarbeiter:innen gegenüberstehen, die mitunter nur als Zierrat dienen und deren Präsenz abfällig kommentiert wird. "Cyberpunk 2077 ist besser als die meisten Spiele, aber 'besser' heißt nicht 'gut'."
Die Gaming-Industrie täte gut daran, ihre Erzählungen rund um das Thema Sexarbeit auszudifferenzieren – nicht nur, weil sie mit diesen bisher unerzählten Geschichten frischen Wind ins Medium bringen und ganz nebenbei einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten könnte, sondern auch, weil viele Sexarbeiter:innen gerne spielen, sie als kauffreudige Zielgruppe aber bislang komplett vernachlässigt werden. "Wir waren immer schon ein Teil der Spieleindustrie und verdienen es, mit Respekt behandelt zu werden, in unserer Profession und als Konsument:innen".
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