Mit Senua’s Saga: Hellblade 2 bekommt eine der ungewöhnlichsten Hauptfiguren der letzten Jahre ihren zweiten Auftritt. Der erste Teil stellte uns im Jahr 2017 mit der Kelten-Kriegerin Senua eine junge Frau vor, die seit ihrer Kindheit mit einer Psychose lebt. Sie hört Stimmen (die Furien), halluziniert und hat übernatürliche Erscheinungen.
Das wurde damals von Entwickler Ninja Theory auf beeindruckende Art und Weise dargestellt. Abseits davon bot Senua’s Sacrifice eine enorm dichte Atmosphäre und einen Mix aus wuchtigen Third Person-Kämpfen und seichten Umgebungsrätseln, die jedoch bestenfalls nettes Beiwerk waren.
Nach langer Wartezeit ist Hellblade 2 jetzt endlich da und je nachdem, welche Vorlieben ihr habt, könnte das Action-Adventure euer Spiel des Jahres werden – oder ein großer Flop.
Transparenzhinweis:
Microsoft hat uns für den Test von Hellblade 2 einen Xbox Series X/S-Key vor dem offiziellen Release zur Verfügung gestellt.
Ein Rachefeldzug mit überraschender Wendung
Die Story von Hellblade 2 spielt im 10. Jahrhundert und setzt nach den Ereignissen des ersten Teils an. Nachdem Senua dort in die düstere Unterwelt zog, sinnt sie jetzt auf Rache an den Nordmännern vom Volk der Björg, die ihr Heimatdorf niederbrannten und ihren Verlobten Dillion ermordeten.
Dafür lässt sie sich gefangen nehmen, um den Feind direkt in seiner Heimat zu attackieren. Doch das Schiff kentert kurz vor der Ankunft vor der isländischen Küste und nachdem Senua dort mit den überlebenden Björg kurzen Prozess gemacht hat, dringt sie ins Innere der Insel vor.
Dort findet sie zahlreiche weitere Seltsam- und Grausamkeiten, etwa ein leer gefegtes Dorf und menschenfressende Draugar-Krieger. Die sind aber längst nicht die größte Bedrohung, die auf Island lauern, weswegen Senua ihren ursprünglichen Plan schnell über den Haufen wirft…
Wie immer bei hauptsächlich storygetriebenen Spielen können und wollen wir natürlich nicht zu viel zur Geschichte von Hellblade 2 verraten. Gerade zu Beginn packt das Spiel aber mit seinen Mysterien und wir wollen unbedingt wissen, was es mit den Bedrohungen und Geheimnissen auf der Insel auf sich hat.
Muss ich den ersten Teil gespielt haben?
Die Geschichte von Hellblade 2 funktioniert größtenteils eigenständig, weswegen ihr auch mit Nichtkenntnis des ersten Teils den Großteil der Story verstehen dürftet. Da es allerdings diverse Rückbezüge auf Ereignisse und Figuren aus dem ersten Teil gibt, ist es trotzdem sinnvoll, Senua's Sacrifice gespielt zu haben. Das unten stehende Video – das übrigens auch zu Beginn von Hellblade 2 gezeigt wird – fasst die wichtigsten Ereignisse des ersten Teils noch einmal zusammen.
Die Probleme der Story von Hellblade 2
In Hit-Regionen stößt die Geschichte dennoch nicht vor. Das liegt vor allem daran, dass Hellblade 2 in der ersten Hälfte einen bestimmten Ablauf von Storyelementen etabliert, der sich danach mehrfach wiederholt und dadurch ziemlich durchschaubar wird. Erst passiert dies, dann das und zum Abschluss folgt ein kleiner Höhepunkt und das alles insgesamt dreimal. Überhaupt baut Hellblade 2 storytechnisch nach dem starken Beginn im Laufe der zweiten Hälfte bis zum ziemlich abrupten Ende merkbar ab.
Außerdem interagiert Senua mit deutlich mehr Charakteren als noch im ersten Teil, etwa dem Björg Thorgestr oder Kriegerin Astridr, mit denen Senua im Verlauf des Spiels immer mal wieder über die Insel streift.
Diese Charaktere bleiben aber trotz prinzipiell interessanter Hintergründe enttäuschend blass, insbesondere im Vergleich zu Senua, die mit ihrer Tiefgründigkeit und den seelischen Wunden aus ihrer Vergangenheit alle anderen Charaktere locker aussticht und wie schon im ersten Teil eine merkbare Entwicklung durchläuft.
Wie im Kino
Wegen der Geschichte bleibt Hellblade 2 bei uns also sicher nicht lange in Erinnerung, dafür aber umso mehr für die Inszenierung. Und wir müssen hier mal kurz euphorisch werden, denn inszenatorisch und audiovisuell ist Hellblade 2 ü-ber-ra-gend.
Ninja Theory entfesselt auf dem Bildschirm an vielen Stellen optische Urgewalten, die uns den Mund haben offen stehen lassen. Und die den Titel zumindest in dieser Kategorie schon jetzt zu einem der besten Spiele des Jahres machen.
Das fängt bei den teils atemberaubend schönen und enorm detaillierten Landschaften an. Ninja Theory hat mit Photogrammetrie-Vermessung des echten Islands mit seinen schroffen Felswüsten und malerischen Fjorden enormen Aufwand betrieben und das merkt man dem Spiel zu jederzeit an.
Die dank toller Licht- und Partikeleffekte fast schon lauschigen Areale kontrastieren dabei stark zur grundlegend ziemlich düsteren Geschichte, denn Hellblade 2 ist oft dreckig und brutal und hat uns stellenweise an The Last of Us Part 2 erinnert. Es gibt aber auch einige wunderbar sanften Momenten, die wir hier aber natürlich nicht spoilern wollen.
Und auch wegen der dank Motion-Capturing enorm flüssigen Animationen, dem nahtlosen Übergang von Zwischensequenzen zu Gameplay und den choreographierten Kämpfen haben wir hier mehr als bei vielen anderen Spielen den Eindruck, einen interaktiven Film zu schauen, der auf der gesamten Emotionsklaviatur – von angespannt bis gerührt – spielt.
Technischer Eindruck
Optisch ist Hellblade 2 eine absolute Wucht – sowohl auf der Xbox Series X als auch auf der Series S. Auf beiden Systemen hatten wir keine merkbaren Probleme, die Ladezeiten waren schnell, Bugs oder ähnliche nervige Fehler gab es nicht. Auf der Xbox Series X läuft das Spiel ausschließlich mit 30 fps und mit dynamischer 4K-Auflösung – einen separaten Performance-Modus mit 60 fps gibt es nicht. Auf der Series gibt es ebenfalls 30 fps, aber eine deutlich geringere Auflösung.
Ein Fest für die Ohren – abgedroschen, aber es stimmt
Was Hellblade 2 aber zum absoluten Atmosphäre-Monster macht, ist das Sounddesign. Die ständig wispernden Stimmen der Furien in Senuas Kopf, die wuchtige Musikuntermalung, sowie die absolut fantastische englische Sprachausgabe zeigen eindrucksvoll, wie moderne Videospiele klingen können.
Eine deutsche Vertonung gibt es übrigens wie schon beim Vorgänger nicht, dafür aber optionale Untertitel in etlichen Sprachen, natürlich auch in Deutsch.
Ninja Theory empfiehlt übrigens, den Titel mit Kopfhörern zu spielen. Und wir schließen uns da vorbehaltlos an – ohne die ist Hellblade 2 in Sachen Sound maximal ein halb so gutes Spiel.
Falls es noch nicht klar geworden sein sollte: Wenn ihr auf kinoreif inszenierte Spiele und dichte Atmosphäre steht, dann ist das hier trotz Story-Schwächen genau euer Spiel! Erwartet ihr dagegen ein möglichst ausgefeiltes Gameplay-Erlebnis… naja, hier kommen wir dann jetzt mal zur anderen Seite von Hellblade 2.
Spielerisch nur ein laues Lüftchen
Denn vom beeindruckenden Inszenierungsorkan bleibt bei Hellblade 2 in spielerischer Hinsicht maximal etwas mehr als ein laues Lüftchen übrig. Grundsätzlich sind die Mechaniken sehr überschaubar. Wir bewegen uns die meiste Zeit des Spiels mit Senua in der Schulterperspektive durch schlauchig angelegten Gebiete und lauschen den diversen Storyfetzen. Hellblade 2 ist also ein sehr lineares Spiel, das die Vermittlung der Geschichte als oberstes Ziel hat.
Das geht stellenweise aber so weit, dass es negativ auffällt. Denn manche Levelkorridore sind so eng bemessen, dass es nicht mal möglich ist, durch eine Lücke zwischen zwei Steinen zu gehen, um beispielsweise die Aussicht auf eine spektakuläre Klippe zu genießen, was die ansonsten starke Immersion doch etwas trüben kann.
Die Rätsel
Dass Hellblade 2 nicht in spielerische Bedeutungslosigkeit abrutscht, hat vor allem zwei Gründe. Da wären zum einen diverse Umgebungsrätsel, über die Senua in den Gebieten immer mal wieder stolpert.
Es gibt beispielsweise Runenrätsel, bei denen Senua in der Umgebung nach bestimmten Mustern oder Formen suchen und diese dann anvisieren muss, um beispielsweise eine verschlossene Tür zu öffnen. Diese Rätselform wurde im ersten Teil ziemlich überstrapaziert, das ist in Hellblade 2 glücklicherweise nicht mehr so.
Stattdessen gibt es nun auch noch weitere Rätselvarianten. An manchen Stellen müssen wir etwa mithilfe von bestimmten Objekten die Umgebung verändern, um einen Ausgang zu erreichen oder Steinkugeln finden und in Vorrichtungen legen, um einen Mechanismus zu aktivieren. Dadurch sind die Rätsel merkbar abwechslungsreicher als im Vorgänger und fordern zudem auf angenehme Art und Weise, ohne aber zu Kopfnüssen zu mutieren.
Die Kämpfe
Und zum anderen sind Kämpfe ein wesentliches Gameplay-Element in Hellblade 2. Senua duelliert sich im Verlauf des Spiels unter anderem mit Draugur und anderem Gesocks. Und das ist tatsächlich wörtlich zu nehmen, denn anders als im Vorgänger geht es hier immer nur gegen einen Gegner gleichzeitig.
Das ist eine deutliche Verbesserung, weil wir nun nicht mehr von außerhalb unseres Sichtfeldes getroffen werden können und auch die Inszenierung – ihr merkt langsam das Muster? – lässt die Fights beispielsweise dank eingestreuter Mini-Skriptsequenzen wie richtige Choreographien wirken.
So toll und wuchtig die Kämpfe aber auch sind, spielen sie sich gleichzeitig auch ziemlich hakelig. Die Kelten-Kriegerin ist nämlich recht träge und auf wenige Angriffe (leicht, schwer) beschränkt, das Zeitfenster für Pariermanöver nicht immer gut zu erkennen.
Und auch wenn es diverse Gegnertypen gibt – manche werfen beispielsweise Speere oder spucken Feuer – fühlt sich deren Bekämpfung immer ähnlich an, auch weil Senua im weiteren Verlauf keine weiteren Angriffe dazulernt. Nahezu alle Kämpfe bestehen also aus ein bisschen ausweichen, manchmal blocken und den Zeitlupenangriff einsetzen, mit dem Treffer dann kein Problem mehr sind.
Der Schwierigkeitsgrad von Hellblade 2
"Kein Problem" ist übrigens ein gutes Stichwort, denn das trifft auch auf den Schwierigkeitsgrad von Hellblade 2 zu, der aus insgesamt vier Stufen wählen lässt. Darunter auch eine dynamische, die die Kämpfe je nach erkanntem Fähigkeitenlevel einfacher oder schwerer macht.
Außerdem sind uns beim Test ein paar Stellen aufgefallen, in denen nicht sofort klar war, was genau zu tun ist, was uns dann sogar den ein oder anderen Bildschirmtod bescherte – hier fällt Hellblade 2 sein Ansatz, aus Immersionsgründen auf Bildschirmanzeigen zu verzichten, ein wenig auf die Füße. Frust gab es wegen der vielen und fair gesetzten Checkpoints aber nie.
Accessibility-Einstellungen
Hellblade 2 bietet in den Optionen einige Accessibility-Einstellungen, darunter zum Beispiel Standards wie Untertitelgröße oder einen Farbenblindmodus. Außerdem lassen sich Farbschemata für die Menüoberfläche einstellen, der Inhalt der Menüs kann auch vorgelesen werden lassen. Ebenfalls ist eine "Autopilot-Option", bei der das Spiel selbstständig Angriffs- und Defensivmanöver übernimmt.
Kürzer als Teil 1
Reden wir zum Schluss noch über den Umfang. Schon Hellblade 1 war mit knapp 8 Stunden Spielzeit kein besonders langes Spiel, der Nachfolger unterbietet diese Zeit aber noch. Wir hatten bei unserem Testlauf schon nach etwas mehr als 6 Stunden den Abspann erreicht. Wer sich Zeit lässt und die Umgebungen etwas mehr erkundet, kann aber nur unwesentlich Zeit oben drauf rechnen.
Denn es gibt zwar ein paar Collectibles – Steingesichter, die bei genauerer Betrachtung den Weg zu blühenden Bäumen frei machen und Lehrensäulen, die isländische Sagen erzählen – deren Suche beschäftigt aber nicht für mehrere Stunden. Nach Beenden der Story werden übrigens weitere Erzähler*innen freigespielt, ein enormer Wiederspielreiz ist das allerdings nicht.
Kurios: Obwohl das Spiel vergleichsweise kurz ist, fühlen sich einige Abschnitte trotzdem künstlich in die Länge gezogen an. Der Abstieg in eine Höhle etwa, um ein verborgenes Volk zu finden, dauert eine gefühlte Ewigkeit und es gibt Stellen, in denen sich Senua durch schmale Passagen zwängen muss, die deutlich flotter hätten sein können.
Ob Senua’s Saga für euch GOTY- oder Flop-Charakter hat, hängt also letztendlich ganz davon ab, ob und wie viel ihr bereit seid, dem Spiel aufgrund seiner fantastischen Inszenierung und Atmosphäre zu verzeihen. Wenn ihr nach einem echten Next-Gen-Spiel – zumindest technisch – sucht, ist Hellblade 2 dafür sicherlich ein echtes Vorzeigeexemplar.
Wer dagegen Wert auf Gameplay legt, sollte vorsichtig sein, denn das portioniert Hellblade 2 nur in sehr kleinen Mengen. Solltet ihr übrigens ein Game Pass-Abo besitzen, müsst ihr gar nicht großartig abwägen, sondern könnt Senua's Saga einfach spielen – im Microsoft-Spieleservice ist der Titel nämlich direkt zum Launch verfügbar.
Fazit der Redaktion
Tobias Veltin
@FrischerVeltin
Hellblade 2 zu bewerten ist mir nicht leicht gefallen. Mehr als bei vielen anderen Spielen hängt es nämlich stark von den eigenen Präferenzen ab, ob ihr Ninja Theorys neuestes Werk gut findet oder nicht. Wenn ihr wie ich Fan von kinoreifer Inszenierung oder auf der Suche nach einem Spiel für eure Xbox Series X seid, das die Grafik-Power der Konsole demonstriert, dann seid ihr hier genau richtig. Audiovisuell ist Hellblade 2 mit das Beste, was ihr derzeit auf Konsolen bekommt und ein echtes "Next-Gen"-Spiel.
Zumindest technisch. Denn die Quintessenz aus den Gesprächen mit den Kolleg*innen, die Hellblade 2 ebenfalls gespielt haben, war stets: "Es sieht toll aus, aber.." oder "Es ist fantastisch inszeniert, aber...", daher rührt auch die Überschrift dieses Tests.
Denn Hellblade 2 ist nunmal eben auch ein Spiel und in dieser Hinsicht hat der Titel leider nicht viel zu bieten – auch wenn er an vielen Stellen besser funktioniert als sein Vorgänger. Die Rätsel und Kämpfe sorgen für angenehme Abwechslung, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass hier mit ein paar weiteren Kniffen deutlich mehr möglich gewesen wäre.
Das Zünglein an der Waage ist für mich persönlich aber die Story. Denn für eine Wertung jenseits der 80 hätte die Geschichte in diesem storygetriebenen Action-Adventure eben auch entsprechende Qualitäten mitbringen müssen. Da sie das aber nicht tut – vor allem wegen der schwachen zweiten Hälfte – rutscht der Titel für mich nicht über diese Marke.
Hellblade 2 ordnet insgesamt zu viel seiner Inszenierungswucht unter, es kaschiert. Und das wird vielen aus nachvollziehbaren Gründen sauer aufstoßen. Ich kann euch trotzdem nur empfehlen, euch das Action-Adventure mal genauer anzuschauen – denn alleine die starke Heldin Senua ist es wert.
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