Nicht der erste, aber der größte Fußabdruck
Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg, dessen bekanntesten historischen Schlachtfelder längst zum Einmaleins des Shooter-Genres gehören, heftet dem Ersten Weltkrieg als Kulisse für Videospiele noch immer das Image als unbearbeiteter Acker an, obwohl das so eigentlich gar nicht stimmt: Neben einer Vielzahl von Flugsimulatoren aus den 90er Jahren griffen zuletzt auch vielgespielte Adventures und Shooter wie der Kickstarter-Erfolg Verdun oder Ubisofts Drama Valiant Hearts unter dem teils großzügig gestreckten Oberbegriff »Indie" den ersten der beiden Weltkriege auf.
Battlefields Fußabdruck in den virtuellen Schützengräben wird somit nicht der erste, aber der größte sein. Hinter dieser Expedition steht ein riesiges Kapital und wirtschaftliches Interesse - und das hat schließlich auch spürbare Folgen für die Art und Weise, wie der Krieg im Spiel erlebbar sein wird.
Und so wurden vielen Fragen gestellt, nachdem EA den Schauplatz von Battlefield 1 enthüllte: Tragen die Entwickler nun eine Verantwortung dafür, wie sie den vermeintlich unberührten Stoff der Geschichte verarbeiten? Ist es ein ethisches Problem, dass Bonuspunkte locken, wenn wir besonders gut Senfgas-Bomben geworfen haben?
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Die geschlossene Alpha, die eine Woche für ausgewählte Spieler zur Verfügung stand, lieferte erste Hinweise darauf, in welchem Verhältnis das neue Battlefield zum historischen Hintergrund seines Setting stehen wird. Die Kampagne, die noch einmal ganz anders mit dem Thema umgehen kann, wird sich dieser Betrachtung noch stellen müssen, doch ich persönlich bin viel mehr daran interessiert, wie der Weltkrieg dort aussieht, wo ihn die meisten Fans nachspielen werden: im Multiplayer. Und der erste Eindruck ist durchaus aufschlussreich.
Das Entwicklerteam von EA Dice hat sich dafür entschieden, ihre Vision vom Ersten Weltkrieg in einem ganz bestimmten Licht zu präsentieren: Dreckig, matschig, blutig, chaotisch, echt. Der Nahkampf wurde komplett überarbeitet und bietet erstmals in der Geschichte des Franchises mehr als lediglich ungelenkes Drücken des Controller-Sticks.
Das Ringen Mann gegen Mann soll zur echten und bestenfalls vielgewählten Alternative werden, denn dort, im Chaos des Nahkampfes, spielt Battlefield 1 die meisten seiner Neuerungen aus: Eine Vielzahl von animierten Exekutionen beenden die Angriffe der einzelnen Waffen von Schaufel über Axt bis zum Hammer, die ihr an eurem Gürtel ins Feld führt. Und hier erlebt ihr auch die beeindruckenden Frostbite 3-Effekte in all ihrer faszinierenden Wirkungskraft, etwa wenn euch Schlamm um die Ohren und Blut ins Gesicht schleudert. Garniert werden Szenen wie diese mit den Schreien, gebrüllten Befehlen und heiseren Hilferufen von Soldaten, die das Erbe der intimen Schlachtfeld-Atmosphäre von Battlefield Hardline nach Verdun & Co. tragen.
In diesem Licht waren die ersten Spielstunden wirklich befremdlich, auch für mich als langjährigen Battlefield- und Shooter-Fan. Die realistisch anmutenden Schlachtfelder, die für das Franchise ungewohnt brutalen Nahkämpfe, die spitzen Schreie überall, das schleifende Geräusch der Waffen und Fahrzeuge und schließlich das Gefühl, mal eben nicht vor den klassischen Kulissen des Genres unterwegs zu sein, hinterließen einen tiefen Eindruck. Keine Spur von Anonymiserung: Jedes Polygon strotzt nur so vor Geschichte.
Doch egal, wie tief sich diese ersten Bilder in meinen Kopf eingruben, irgendwann setzte schließlich ein unvermeidbarer Gewöhnungseffekt ein. Und so fühlte ich mich nach ein, zwei Tagen schon deutlich enthemmter dabei, Soldaten mit Senfgas zu bewerfen oder im Panzer über Kaiserreich-Truppen zu rollen - allerdings nicht etwa, weil sich meine Sicht auf den Ersten Weltkrieg zu einer kriegsbegeisterten Schießlaune verändert hatte, sondern weil ich schlicht und einfach den Kontext mehr und mehr ignorieren konnte.
So wurde aus Senfgas eine schlichte Granate, aus der Schlacht zwischen Franzosen und Deutschen der Kampf zwischen Armee 1 und Armee 2. Die Kämpfe hatten so zwar nicht unbedingt an Schrecken verloren, aber dafür ihre ständige unterbewusste Mahnung aufgegeben, dass wir mehr oder weniger einen der größten und blutigsten Kriege des 20. Jahrhunderts nachspielen.
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Die Erkenntnis aus dieser Erfahrung liegt auf der Hand: Battlefield 1 ist kein Anti-Kriegsspiel, obwohl das einige Stimmen angesichts des vermeintlich behüteten und unbenutzten Schauplatzes gefordert hatten. Weder die Kampagne, die zwar bestenfalls eine mitreißende Geschichte erzählen, aber dennoch die Spieler nicht vor einer Ausweitung des Kampfes auf den Multiplayer abschrecken darf, noch der Multiplayer selbst können diesen Status erreichen. Am Ende des Tages muss ein AAA-Koloss wie Battlefield Geld einspielen und dieses Geld kommt von Spielern, die regelmäßig zumindest halbwegs motiviert und unterhalten auf die virtuellen Schlachtfelder ziehen und in Premium Packs investieren.
Doch zumindest in meinen Augen erreicht Battlefield 1 bereits jetzt im Multiplayer das, was in den Grenzen des Möglichen für ein Kriegsspiel dieser Dimension derzeit liegen kann: Der anfängliche Schockmoment, das Inszenieren eines Schlachtfeldes, das spielmechanisch zwar Spaß machen soll und muss, atmosphärisch aber zumindest eine kurze Zeit lang tatsächlich den Schrecken und Horror eines Krieges darzustellen vermag.
Es sei dahingestellt, ob diese Wirkung nur ein Nebeneffekt der bedienten Begeisterung an Gewalt ist oder nicht, doch das Ergebnis ist zunächst einmal das gleiche: Wir horchen auf, bemerken einen Unterschied, brauchen Eingewöhnungszeit. Wir erkennen die vielen Unterschiede, mit denen sich Battlefield 1 nicht nur von seiner eigenen Franchise-Geschichte, sondern auch von den Konventionen des ganzen Genres ein Stück weit entfernt. Diese Unterschiede tragen dazu bei, dass der erste Weltkrieg damit auch in AAA-Sphären ein eigenes Kapitel erhält, das die Entwickler diesem historischen Konflikt am Ende des Tages tatsächlich auch schuldig sind.
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