Let’s Play - Die neue Macht - Sprechende Spieler

Stellen Sie sich vor, Sie spielen – und Millionen schauen zu. Eine absurde Vorstellung? Nicht für die wachsende Zahl von Spielern, die das Aufzeichnen ihrer Erlebnisse zum Hobby und Beruf machen. Ein Blick auf das Youtube- Phänomen »Let’s Play«.

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Test, Test, Test, okay. Hier spricht slowbeef. Ich möchte ein Experiment mit The Immortal wagen ...« Ein Mikrofon, ein Spiel, ein Rechner mit Aufnahmesoftware: Michael »slowbeef« Sawyer zeichnet seine Stimme anno 2007 beim Spielen eines Action-Adventures aus den 90ern auf – und hat keine Ahnung, dass er damit einen Meilenstein erschafft.

»Dies ist ein Spielerkommentar«, fährt Sawyer fort, während der Titelbildschirm des Mega- Drive-Abenteuers über den Monitor flackert. »Habt ihr mal eine DVD angeschaut? Dort gibt’s Regiekommentare und solches Zeugs. Und nun stellt euch vor, dass irgendein Vollidiot, der mit der Entstehung des Films nicht das Geringste zu tun hatte, Kommentare darüber abgibt, wie der Film so ist. Ungefähr darum soll es hier gehen.« Um ein durchgehend kommentiertes Spielevideo also.

Fünf Jahre später hat das Experiment zahllose Nachahmer gefunden, Millionen Fans, Aufmerksamkeit weit über die Kreise der Hardcore-Spieler hinaus und mit slowbeef selbst einen gefeierten Urvater. Vor allem aber hat es einen Namen: »Let’s Play«. Die kommentierten Spielevideos sind in aller Munde, sprechende Spieler längst vom Nischen- zum Massenphänomen geworden.

Pionier statt Erfinder

Am absoluten Nullpunkt startet allerdings auch Sawyer nicht. Heute gibt er zu, eher etwas aufgegriffen zu haben, das sowieso in der Luft lag: »›Erfinder‹ klingt arrogant. Wenn man mir schon einen Titel verleihen möchte, dann besser ›Pionier‹. Schließlich habe ich nicht mal den Begriff ›Let’s Play‹ geprägt.«

Tatsächlich lässt sich die Vorgeschichte des Let’s Plays noch weiter zurückverfolgen. Die Nähe zur Live-Sportberichterstattung ist ebenso offensichtlich wie die zu den von Sawyer explizit genannten Regiekommentaren auf Film-DVDs. Doch auch bei Spielen hat das gefilmte Let’s Play seine Ahnen. So lässt sich eine Verwandtschaft zu den ›After Action Reports‹ beobachten, eine militärische Bezeichnung für die Analyse geschlagener Schlachten.

Diesen Begriff übernahmen begeisterte Strategiespieler für die oft detaillierten und erzählerisch ausgeschmückten Berichte über ihre am Küchentisch ausgefochtenen Plastikfiguren-Manöver, die schriftlichen Let’s Plays glichen. Auch Sawyer griff nicht gleich zum Mikrofon: »Ich hab 2004 einen schriftlichen Leitfaden zum Konsolentitel Metal Gear 2: Solid Snake auf meine Website gestellt, in dem Leute später eine Art Proto-Let’s-Play erkannten. Damals kannte ich die Bezeichnung ›Let’s Play‹ noch gar nicht.«

The Immortal
Das Action-Adventure The Immortal, in dem ein Zauberer aus isometrischer Perspektive ein Labyrinth durchquert, ist eines der letzten Spiele des Designers Will Harvey, bekannt vor allem für das Murmel-Spiel Marble Madness.

Ursprünglich (1990) für den Heimcomputer Apple IIGS erschienen, wurde das Spiel in der Folge auf zahlreiche Plattformen übertragen. Während bei einigen Konsolenversionen die für damalige Verhältnisse drastische Gewaltdarstellung entschärft wurde, blieb der brutale Schwierigkeitsgrad in allen Versionen erhalten -- deshalb haftet das das Spiel bis heute im Gedächtnis.

Vom Text- zum Video-Let's-Play

In den drei Jahren zwischen diesem textlichen Proto-Let’s-Play und dem Immortal-Video, das Sawyer seine Vorreiterrolle einbringen sollte, verbreitete sich der Begriff allmählich. Allerdings bezeichnete er zunächst nicht Videos, sondern Screenshots, die im Spielverlauf geknipst und mit unterhaltsamen Kommentaren online gestellt wurden.

Frühe Let’s Plays bestanden aus möglichst unterhaltsam kommentierten Bildern. Frühe Let’s Plays bestanden aus möglichst unterhaltsam kommentierten Bildern.

Beinahe wäre das Ur-Let’s Play ebenfalls diesen Weg gegangen: »Die Immortal-Geschichte war ursprünglich als reines Bilder-Let’s-Play geplant«, erinnert sich Sawyer. »Ich hab dann aber ein Video aufgenommen, das ich fortlaufend kommentierte. Eigentlich war das nur als eine Art Bonus gedacht. Nur haben die Leute es lieber gemocht als die Screenshot-Variante – und ich entschied mich, das Ganze in Videoform fortzusetzen.« Ein Phänomen war geboren.

Sein historisches Erstlingswerk veröffentlichte Michael Sawyer allerdings nicht auf der Plattform, die heutzutage zum Inbegriff des Let’s Plays geworden ist – Youtube –, sondern im Forum der amerikanischen Comedy-Website Something Awful, für das er nach wie vor als Moderator tätig ist. Das Forum ist berühmt-berüchtigt für seine elitären Tendenzen (das Logo ist eine Handgranate, die Zahl der verbannten Nutzer eine Art Ehrenmal), aber auch für sein Potenzial, Witze hervorzubringen, die sich rasch über das gesamte Web verbreiten.

Die Entwicklung des Let’s Plays ließ sich ein wenig mehr Zeit. Wenn man die Zahl der Google-Suchresultate für den Begriff ›Let’s Play‹ als Gradmesser nimmt, zeigt sich, dass seine Popularität in den ersten Jahren langsam, aber stetig zunahm – bis im Jahr 2009 plötzlich ein Wachstumsschub einsetzte, dank dem die kommentierten Videos auch in Deutschland Fuß fassten.

GameTube
Unsere Kollegen Michael Obermeier, Christian Schneider, Martin Le und Daniel Feith betreiben einen eigenen Let’s-Play-Kanal namens GameTube. Schauen Sie mal rein!

» GameTube mit Videos zu Diablo 3, MineCraft, DayZ, Battlefield 3 & Co

Die deutsche Szene formiert sich

»2009 war das Ganze hierzulande noch ziemlich neu«, erinnert sich Kai »k4Zz« Rienow, der schon früh seine Kommentare auf Deutsch einsprach. »Die Community war zu diesem Zeitpunkt wesentlich kleiner.« Kleiner und verstreuter: Im Gegensatz zu den USA fehlte den deutschen Let’s Playern anfangs eine zentrale Anlaufstelle zum Austausch untereinander.

Auf Letsplayforum.de tauschen sich deutsche Let’s Player aus. Auf Letsplayforum.de tauschen sich deutsche Let’s Player aus.

Rienow erkannte den Wert einer solchen Plattform unmittelbar nach seinen ersten Experimenten mit den kommentierten Videos: »Am 7. Oktober 2009 lancierte ich gemeinsam mit einem Freund die Plattform Letsplayforum.de und fragte bei den wenigen damals aktiven Let’s Playern an, ob sie nicht Interesse hätten, sich im Forum anzumelden.« Sie hatten Interesse. »Das Forum wuchs rasch; innerhalb der ersten sechs Monate stieg die Mitgliederzahl auf 1.000 und die Beitragszahl auf beinahe 50.000.«

Heute dient das Forum als Ort des Austausches für alte Hasen, aber auch als Anlaufstelle für neue Let’s Player. Und das Wachstum ist ungebrochen: »Nach nun bald drei Jahren können wir uns über mehr als 12.000 Mitglieder und 600.000 Beiträge freuen«, resümiert Rienow.

Diese Zahlen beeindrucken – und verblassen dennoch angesichts der entsprechenden Zuschauermassen: Der Youtube-Kanal der Briten Lewis Brindley und Simon Lane etwa, der »Yogscast«, hat über anderthalb Millionen Abonnenten und über 800 Millionen Videoaufrufe – er gehört zu den erfolgreichsten Youtube-Kanälen überhaupt. Auch Deutschland führt mit Erik »Gronkh« Range ein Let’s-Play-Schwergewicht ins Feld, das über 400.000 Abonnenten und 260 Millionen Aufrufe vorweisen kann.

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