Katastrophale Vertonung
Klar, diese Fan-Ausrichtung mag eine bewusste Entscheidung der Entwickler sein. Trotzdem ist die Präsentation der Geschichte in anderen Lego-Spielen deutlich besser gelungen - wenn man die Hobbit-Filme nicht gesehen hat, verpasst man in der Umsetzung vielleicht einige Anspielungen, man versteht aber trotzdem das grobe Ganze. Bei Marvel's Avengers ist das anders. Allerdings liegt das auch an der komplett missratenen Vertonung.
Im englischen Original wurden viele Dialogzeilen ähnlich wie im Hobbit-Spiel direkt aus der Filmvorlage ausgeschnitten und übernommen. Für die Nebenmissionen in der Open World (dazu komme ich später) und andere Abweichungen hat man darüber hinaus neue Gespräche vertont. Das Ergebnis ist schon auf Englisch eher ein akustischer Flickenteppich als eine schöne Soundkulisse.
Im Deutschen ist es aber noch schlimmer, denn hier hat fast kein Held seinen Originalsprecher - die ganzen Wortschnipsel wurden neu aufgenommen und die Darsteller scheitern daran, aus den ausgeschnittenen Dialogfetzen ein überzeugendes Ganzes zu machen. Die Gespräche in Marvel's Avengers wirken stets merkwürdig, ergeben häufig keinen Sinn und fühlen sich falsch betont an. Das ist schade, denn ansonsten ist die Präsentation in puncto Optik und Soundeffekte wirklich gelungen.
Wenn Superhelden die Putzarbeit erledigen
Die Story-Missionen sind ziemlich umfangreich und beschäftigen insgesamt locker 10 Stunden - wer alle Secrets abgrasen will, kann nochmal fünf Stunden draufpacken. Die Schlüsselszenen der Filme sind unterm Strich sehr gut inszeniert und stimmig ins Lego-Konzept übertragen. Allerdings habe ich mich bei einigen Level-Abschnitten verwirrt am Kopf gekratzt: Erinnern Sie sich an die berühmte Szene, in der Black Widow das Deck des Helicarriers schrubbt, damit Cap America landen kann? Oder das Boxstudio, in dem Steve Rogers Trainingsgerüste aufbaut? Oder die berühmte Sequenz, in der Agent Coulson Tony Stark im Stark Tower besucht und beide im Büro nach Gadgets suchen?
Nicht? Macht nichts, ich auch nicht. Bei einigen Abschnitten hat Traveller's Tales absolut unspektakuläre Filmschnipsel als Spiel umgesetzt, die so ziemlich das Gegenteil von dem sind, was man am Superheldendasein cool findet. Die Krux ist: Diese Level machen mir trotzdem Spaß, weil ich das Lego-Prinzip mag. Aber das zeigt eher, wie unabhängig das launige Sammel-, Rätsel- und Kampfprinzip der Lego-Serie von der Umgebung ist, in der es stattfindet. Es ist kein Beispiel für innovatives Schauplatz-Design oder spielerische Innovation.
Das beste Feature von Marvel's Avengers sind aber die Open-World-Abschnitte. Wer die Kampagne hinter sich lässt, bekommt freien Zugang zu Manhattan, Washington, Südafrika, Asgard und, und, und. In diesen offenen Abschnitten wird das Superhelden-Abenteuer zu einem neuen (und besseren) Spiel.
Open-World-Fanservice
Ich erkunde völlig frei die gigantischen Areale, schwinge mich hinters Steuer diverser Fahrzeuge oder - noch besser - nutze meine Superkräfte, um zu fliegen. Helden wie der Hulk verfügen über einen kräftigen Supersprung, mit dem sie sich in Wolkenkratzer krallen und flugs Richtung Himmel hechten. Quicksilver kann hingegen in einem Wahnsinnstempo durch die Häuserschluchten laufen. In diesem tollen Spielplatz schalte ich durch Nebenmissionen neue Charaktere frei, sammle allerlei Goodies oder mache einfach herrlich viel Quatsch.
Hier löst sich Marvel's Avengers auch von der Filmlizenz. Ich schalte C- und D-Helden wie Squirrel Girl, Moon Knight (!) oder Wonder Man frei, aber auch Serienhelden wie Daredevil und Jessica Jones. Mit der Sandbox hatte ich sogar mehr Spaß als mit der Kampagne - mein Comic-Fan-Herz schlägt hier bis zum Hals. Und um alle Helden und Schurken zu bekommen, bin ich insgesamt locker 50 Stunden beschäftigt. Allerdings hat die Charakterwahl einen großen Haken.
Weil Marvel Avengers nah an der Filmlizenz bleiben muss, fehlen alle Figuren aus X-Men, Spider-Man und den Fantastic Four. Hier liefert der Vorgänger Marvel Super Heroes deutlich mehr, zumal gerade die Spinne von Nebenan zu den coolsten Charakteren gehörte. Klar, dafür gibt es auch diverse neue Figuren, aber als Comic-Fan kann ich mit Scarlet Spider, Venom und den anderen Versionen von Peter Parker einfach mehr anfangen. Ist aber letztlich Geschmackssache.
Die Comic-Grabbelkiste
Unterm Strich ist Lego Marvel's Avengers ein sehr gutes Fan-Spiel. Mit der Hulkbuster-Rüstung gegen den grünen Koloss zu kämpfen und dabei die Stadt in Schutt und Asche zu legen - das ist schon großes Kino. Ich kann zig Stunden damit verbringen, neue Figuren in der Open World freizuschalten und ab und an auch mal im Internet nachzuschlagen, welche Kuriosität ich da gerade entdeckt habe.
Allerdings ist es genau dieser Enthusiasmus für Comics, der mich in Marvel's Avengers bei der Stange hält - und eben nicht das Rätseln oder Kämpfen. Das Spiel zeigt in meinen Augen sehr deutlich, wie sehr das Spielprinzip nach 17 mehr oder minder gleichen Lego-Titeln von der Lizenz-Vorlage abhängt. Wenn ich ein großer Marvel-Fan bin, kriege ich hier eine wirklich umfangreiche und gute Packung für mein Geld. Aber das kriege ich als Herr-der-Ringe-Fan auch bei Lego Der Herr der Ringe. Oder also Dino-Freund bei Jurassic World. Die Kunst hinter diesen Spielen ist eher die clevere Wahl einer Vorlage, die sonst selten von anderen Spielen beackert wird.
So ist Marvel's Avengers wirklich nur für echte Fans wie mich geeignet, die sich ziemlich gut mit der Materie auskennen, die Filme im Kopf rezitieren und Freude daran empfinden, mit ihren Lieblingscharakteren rumzuspielen. Alle anderen müssen sich entscheiden, ob die Lust auf das Sammeln von Studs groß genug ist für eine weitere Runde des altbekannten Spielprinzips - oder ob man lieber auf ein bisschen Bewegung im Lego-Genre wartet.
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